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Ihr Lächeln konnte einen geradezu blenden. Es zwängte ihm das Herz zusammen. »Das bin ich«, versicherte sie.

»Dann auf in den Norden.«

Nach den Ereignissen des Tages wollte Bea Hannaford von allen möglichen Dingen am dringendsten einen Schuldigen finden. Sie fing mit Ray an. Er schien der naheliegendste Quell all jener Schwierigkeiten, die dazu geführt hatten, dass ein Mörder ungestraft davonkam. Hätte Ray ihr das Team von Kriminalbeamten geschickt, das sie von Anfang an gebraucht hätte, sagte sie sich, hätte sie sich nicht auf die Taucherstaffel verlassen müssen, auf Beamte, deren Fachwissen sich auf das Bergen schwerer Lasten beschränkte, die aber keine Ahnung von einer Mordermittlung hatten. Ebenso wenig hätte sie sich auf Constable McNulty als Teil ihres Teams verlassen müssen, der entscheidende Informationen an die Familie des Mordopfers ausgeplaudert hatte, sodass die Polizei praktisch nichts mehr in Händen hielt, was nur sie und der Täter wussten. Sergeant Collins war ja noch erträglich gewesen, denn der hatte die Wache nie lang genug verlassen, um Mist zu bauen. Aber was Detective Sergeant Havers und Thomas Lynley betraf… Bea wollte auch ihnen irgendetwas vorwerfen, und sei es nur diese nervtötende Loyalität zueinander, doch sie brachte es nicht übers Herz. Abgesehen davon, dass Lynley Informationen über Daidre Trahair zurückgehalten hatte, die sich dann jedoch als unmaßgeblich erwiesen hatten, ganz gleich wie stur sie selbst an das Gegenteil geglaubt hatte, hatten die beiden mehr oder minder nur das getan, was sie angeordnet hatte.

Was sie lieber nicht allzu genau bedenken wollte, war, dass die Verantwortung letztlich bei ihr selbst gelegen hatte, denn schließlich hatte sie ja diese Ermittlung geleitet und in mehr als einer Hinsicht eine störrische Uneinsichtigkeit an den Tag gelegt. Angefangen von Daidre Trahairs Verwicklung in das Verbrechen bis hin zu ihrer beharrlichen Forderung, hier in der Stadt eine Einsatzzentrale einzurichten und nicht, wo Ray vorgeschlagen hatte: nämlich dort, wo sich Einsatzzentralen üblicherweise befanden und wo besser qualifiziertes Personal stationiert war. Sie hatte sich in ihre Forderung verbissen, von Casvelyn aus zu arbeiten, weil Ray gesagt hatte, es sei ein Fehler.

Auch wenn also Ray die Schuld trug, war sie selbst doch gleichermaßen verantwortlich. Und ein Scheitern dieser Größenordnung brachte ihre Zukunft in Gefahr.

Kein Fall fürs Gericht. Konnte es vier schrecklichere Wörter geben? Oh, vielleicht: Unsere Ehe ist vorbei. Die waren genauso schlimm, und weiß Gott genug Polizisten bekamen sie von Partnern zu hören, die das Leben mit einem Cop nicht mehr aushielten. Aber Kein Fall fürs Gericht bedeutete, eine trauernde Familie in der Schwebe zu lassen, ohne dass ein Schuldiger zur Rechenschaft gezogen wurde. Es hieß, dass ihnen trotz der vielen Arbeitsstunden, all der Mühsal, des Durchsiebens von Daten, der rechtsmedizinischen Berichte, der Vernehmungen, der Diskussionen, des Betrachtens der Fakten von allen Seiten nichts mehr übrig blieb, als noch einmal von vorn zu beginnen und auf ein anderes Ergebnis zu hoffen oder die Akte offen zu lassen und irgendwann als ungeklärt abzulegen. Aber wie konnte der Fall ungeklärt bleiben, wenn sie doch genau wussten, wer der Mörder war, er aber einfach davonkam? Das hier war kein offener Fall. Eine offene Akte enthielt immer noch den Hoffnungsschimmer, dass sich etwas Neues ergeben konnte. Aber in diesem Fall schimmerte rein gar nichts. Die regionale Polizeibehörde würde sie eventuell fragen, welche Mittel sie benötigte, um die Angelegenheit in Casvelyn in Ordnung zu bringen, aber das war wohl eher ein Wunschtraum. Viel wahrscheinlicher war, dass die regionale Polizeibehörde sie fragen würde, wie sie es geschafft hatte, diese Sache so gründlich zu versenken.

Einzig und allein dank Ray hatte sie dies geschafft, redete sie sich ein. Ray hatte kein Interesse an ihrem Erfolg. Im Gegenteiclass="underline" Er hatte ihr fünfzehn Jahre der Entfremdung heimzahlen wollen, ganz gleich ob er sie nun selbst verschuldet hatte oder nicht.

Weil sie nicht wusste, welche Richtung sie sonst hätte vorgeben sollen, hieß sie ihr Team, alle Fakten nochmals zu sichten und nach irgendetwas zu suchen, um Jago Reeth alias Jonathan Parsons diesen Mord nachzuweisen. Was hätten sie, fragte sie sie, das sie dem Staatsanwalt geben konnten, das ihm Feuer unterm Hintern machte und seinen Jagdinstinkt weckte? Es musste irgendetwas geben! Also würden sie am folgenden Tag mit diesem Prozess beginnen, und bis dahin sollten alle nach Hause fahren und sich einmal vernünftig ausschlafen, denn bis diese Geschichte erledigt sei, würden sie nicht mehr zur Ruhe kommen. Und dann befolgte sie ihren eigenen Befehl.

Als sie nach Holsworthy kam, öffnete sie den Schrank, wo sie Schrubber und Wischmopp ebenso verwahrte wie ihre Weinvorräte. Wahllos griff sie nach einer Flasche und nahm sie mit in die Küche. Rot, stellte sie fest. Ein Shiraz. Ein Wein aus Südafrika mit dem Namen Alte Ziegen streifen durchs Dorf. Das klang interessant. Sie konnte sich nicht erinnern, wann und wo sie ihn gekauft hatte, aber sie war einigermaßen überzeugt, dass sie ihn nur wegen des Namens und Etiketts erworben hatte.

Sie öffnete ihn, füllte einen Kaffeebecher bis zum Rand und setzte sich an den Küchentisch. Ihr Blick fiel auf den Wandkalender. Dies erwies sich als ebenso deprimierend, wie über die vergangenen sechs Tage nachzusinnen, weil es sie an ihr letztes Internetdate erinnerte, das ungefähr vier Wochen zurücklag. Ein Architekt. Auf dem Bildschirm hatte er gut ausgesehen; am Telefon hatte er sich gut angehört. Ein bisschen geschwätzig, ein nervöses Lachen, aber damit war ja zu rechnen, oder etwa nicht? Schließlich war das nicht der normale Weg, auf dem Männer und Frauen sich kennenlernten. Was immer man heute auch normal nennen mochte — sie wusste es nicht mehr. Vielleicht gehen wir mal einen Kaffee trinken?, hatten sie einander gefragt. Ein Bier? Sicher. In Ordnung. Er war mit Fotos von seinem Ferienhaus gekommen, noch mehr Fotos von seinem Boot, von sich selbst im Skiurlaub und von seinem Auto, bei dem es sich möglicherweise um einen Mercedes-Oldtimer handelte, aber als sie bei dem Auto angekommen waren, war es Bea so oder so egal. Ich, ich, ich. Etwas anderes hatte es für ihn nicht gegeben. Nur ich, Baby, und immer nur ich. Ihr war danach gewesen zu heulen oder zu schlafen. Als sie sich schließlich trennten, hatte sie zwei Martini intus und hätte eigentlich nicht mehr fahren dürfen, aber ihr Fluchtinstinkt war stärker gewesen als der Verstand, also war sie die Straßen entlanggeschlichen und hatte gebetet, dass sie nicht angehalten würde. Mit einem liebenswürdigen Lächeln hatte er gesagt: »Verdammt. Jetzt habe ich die ganze Zeit nur von mir geredet, was? Beim nächsten Mal…« Und sie hatte gedacht: Ein nächstes Mal wird's nicht geben, Herzchen. Und das hatte sie bei allen gedacht.

Gott, wie erbärmlich! Das konnte doch nicht alles im Leben sein. Und jetzt… Sie kam nicht einmal mehr auf seinen Namen. Nur auf den Spitznamen, den sie ihm gegeben hatte und der ihn von all den anderen Wichsern unterschied: Boots-Wichser. Gab es einen Weg, fragte sie sich, in ihrer Altersgruppe einen Mann ohne Altlasten zu finden, vielleicht einen, der in erster Linie eine Persönlichkeit war und erst in zweiter der Repräsentant eines Berufes, der ihm die Anschaffung aller möglichen Eigentümer ermöglichte? Nein, fing sie an zu glauben, es sei denn, es handelte sich um einen Repräsentanten der Kategorie Scheidungsopfer, die sie jedoch gleichermaßen getroffen hatte. Männer, die nichts vorzuweisen hatten außer eine alte Schrottkarre, ein Einzimmerapartment und einen Berg von Kreditkartenrechnungen. Aber es musste doch noch etwas zwischen diesen beiden Extremen geben. Oder war das hier, so wie es sein sollte, wenn eine ungebundene Frau das erreichte, was man früher mit "ein gewisses Alter" umschrieben hatte?

Bea kippte ihren Wein hinunter. Sie wusste, sie sollte etwas essen. Sie konnte sich nicht erinnern, ob sie noch irgendetwas im Kühlschrank hatte, aber eine Dosensuppe würde sie bestimmt auftreiben können. Oder vielleicht ein paar von diesen Minisalamis, die Pete so gern als Snack aß? Einen Apfel? Vielleicht. Ein Glas Erdnussbutter? Wenigstens Marmite und altes Brot. Das hier war schließlich England.