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Sie wollte ihm ausweichen. »Ray…«

Er hatte offenbar nicht die Absicht, das zuzulassen. »Du bist nicht ausschließlich ein Cop«, sagte er. »Herrgott noch mal, Beatrice, du bist doch keine Maschine.«

»Das bezweifle ich manchmal.«

»Nun, ich nicht.«

Dröhnende Musik kam von oben: Pete bei der CD-Auswahl. Einen Moment lauschten sie dem Kreischen einer elektrischen Gitarre. Pete bevorzugte Oldies. Jimi Hendrix war sein Idol, aber im Notfall tat es auch Duane Allman mit seinem Bottleneck.

»Gott«, sagte Ray. »Kauf dem Jungen einen iPod!«

Sie grinste und kicherte dann schelmisch vor sich hin. »Es ist schon was Besonderes, dieses Kind.«

»Unser Kind, Beatrice«, verbesserte Ray leise.

Sie antwortete nicht. Stattdessen nahm sie die Packung Karamellbiskuit und warf sie in den Mülleimer. Dann wusch sie den Löffel ab und legte ihn auf die Spüle.

Ray fragte: »Können wir jetzt darüber reden?«

»Wirklich großartiges Timing…«

»Beatrice, ich will schon seit Ewigkeiten mit dir darüber reden. Das weißt du ganz genau.«

»Das stimmt. Aber im Moment… Du bist doch ein Cop und nicht mal ein schlechter. Du siehst genau, was mit mir los ist. Du schnappst den Verdächtigen in einem schwachen Moment. Du führst den schwachen Moment herbei, wenn du kannst. Das ist simples, polizeiliches Grundwissen, Ray.«

»Das hier nicht.«

»Was?«

»Das hier ist nicht simpel. Beatrice, wie oft muss ein Mann dir sagen, dass er im Irrtum war? Und wie oft willst du erwidern, dass Vergebung nicht Bestandteil deines… was? Deines Repertoires ist? Als ich dachte, dass Pete nicht…«

»Sprich es nicht aus.«

»Ich muss es sagen, und du musst es hören. Als ich dachte, dass Pete nicht zur Welt kommen sollte… als ich gesagt habe, du solltest abtreiben…«

»Genau das wolltest du.«

»Ich wollte so viele Dinge. Ich will noch immer viele Dinge. Und manchmal äußere ich meine Wünsche, ohne nachzudenken. Besonders wenn ich…«

»Was?«

»Ich weiß nicht. Wenn ich Angst habe, nehm ich an.«

»Vor einem Kind? Wir hatten doch schon eines großgezogen.«

»Nicht davor. Aber vor Veränderungen. Die Veränderungen, die es in unser Leben bringen würde, so wie wir es uns eingerichtet hatten.«

»Solche Dinge passieren.«

»Ich weiß. Und ich wäre damals auch zu dieser Einsicht gekommen, wenn du mir die Zeit zugestanden hättest…«

»Es war nicht nur eine einzelne Debatte, Ray.«

»Ja. In Ordnung. Das will ich auch nicht behaupten. Aber was ich sagen will, ist, dass ich im Irrtum war. In absolut jeder einzelnen Debatte, die wir darüber geführt haben, war ich im Irrtum, und seit Jahren bereue ich das. Seit vierzehn Jahren, um genau zu sein. Länger, wenn du die Schwangerschaft dazurechnest. Ich wollte nicht, dass es so kommt. Und das will ich immer noch nicht.«

»Und… die anderen?«, fragte sie. »Du hast doch Ablenkung gefunden.«

»Was? Frauen? Meine Güte, Beatrice, ich bin kein Mönch. Ja, es gab Frauen im Laufe der Jahre. Eine ganze verdammte Karawane. Janice und Sheri und Sharon und Linda und wie sie alle hießen, denn ich kann mich nicht an alle erinnern. Was daran liegt, dass ich sie gar nicht wollte. Ich wollte nur… das hier vergessen.« Seine Geste umfasste die Küche, das ganze Haus und die Menschen darin. »Also, worum ich dich bitte, ist, mich wieder hineinzulassen, denn hier gehöre ich hin, und das wissen wir beide.«

»Wirklich?«

»Wirklich. Und Pete weiß es auch. Sogar die verdammten Hunde wissen es.«

Sie schluckte. Es wäre so einfach… Aber andererseits auch nicht. Ein Mann und eine Frau zusammen — das war niemals einfach.

»Mum!«, rief Pete von oben. »Wo hast du meine Led-Zeppelin-CD hingetan?«

»Mein Gott«, murmelte Bea mit einem Schaudern. »Könnte irgendwer diesem Jungen bitte auf der Stelle einen iPod kaufen?«

»Mum! Mummyyyyyyy!«

Sie sagte zu Ray: »Ich liebe es, wenn er mich manchmal noch so nennt. Oft kommt es nicht mehr vor. Er wird so groß.« Und dann rief sie zurück: »Keine Ahnung, Liebling! Sieh mal unter deinem Bett nach! Und wenn du schon da unten bist, wirf alle Kleidungsstücke, die du da findest, in die Wäsche! Und die alten Käse-Sandwiches in den Müll. Aber scheuch vorher die Mäuse runter.«

»Sehr witzig!«, brüllte er und fuhr fort, oben herumzupoltern. »Dad!«, rief er dann. »Bring sie dazu, es mir zu sagen! Sie weiß ganz bestimmt, wo die CD ist! Sie kann sie nicht leiden, und darum hat sie sie irgendwo versteckt.«

Ray rief zurück: »Ich kann diese Frau schon seit Jahren nicht mehr dazu bringen, irgendetwas zu tun, mein Sohn!« Dann fuhr er leise fort: »Ist es nicht so, Liebes? Denn wenn ich es könnte, wüsstest du genau, was es wäre.«

Sie erwiderte: »Aber das kannst du nicht.«

»Zu meinem unendlichen Bedauern.«

Sie dachte über die Dinge nach, die er gerade und die er zuvor gesagt hatte. Dann antwortete sie: »Na ja, unendlich…«

Sie hörte ihn schlucken. »Ist das dein Ernst, Beatrice?«

»Ich schätze schon.«

Sie sahen einander an, und das Fenster hinter ihnen spiegelte das Bild von Mann und Frau, die in exakt demselben Moment einen zögernden Schritt aufeinander zumachten. Pete kam die Treppe heruntergestapft. Er brüllte: »Hab sie! Bereit zum Aufbruch, Dad!«

»Bist du das auch?«, fragte Ray Bea leise.

»Zum Essen?«

»Und für alles, was nach dem Essen kommt.«

Sie atmete genauso tief durch wie er. »Ich glaube, ja«, antwortete sie.

30

Sie sprachen wenig auf der Rückfahrt von St. Agnes, und wenn doch, dann von bedeutungslosen Dingen. Sie müsse einen kleinen Umweg fahren, um zu tanken, wenn er nichts dagegen habe.

Er hatte ganz und gar nichts dagegen. Ob sie bei der Gelegenheit für eine Tasse Tee anhalten wolle? Es gebe doch gewiss ein Hotel oder Café an der Straße, sodass sie vielleicht sogar einen anständigen Cornish Cream Tea einnehmen könnten. Scones, Sahnebutter und Erdbeermarmelade.

Sie erinnere sich an Zeiten, erzählte sie, da es außerhalb von Cornwall beinah unmöglich gewesen sei, Sahnebutter zu bekommen. Er auch?

Ja. Genau wie anständige Würstchen. Ganz zu schweigen von Pasteten. Er habe Pasteten immer geliebt, aber zu Hause hätte es sie nie gegeben, denn sein Vater habe sie immer… Er unterbrach sich.

Gewöhnlich. Sein Vater hatte sie für gewöhnlich gehalten. Vulgär im wahrsten Sinne des Wortes.

Sie beendete den Satz für ihn, und dann fügte sie hinzu: »Aber das waren sie ganz und gar nicht, richtig? Sie waren nicht gewöhnlich.«

Er erzählte ihr von seinem Bruder und dass dieser drogensüchtig war. Von der Universität in Oxford geflogen, die Freundin tot mit einer Nadel im Arm, Peter selbst seither in einer Therapieklinik nach der anderen. Lynley gestand, er habe das Gefühl, bei seinem Bruder vollkommen versagt zu haben. Als er für den Jungen hätte da sein sollen — anwesend, meinte er, und zwar anwesend in jeder Hinsicht, nicht nur ein warmer Körper auf einem Sofa, — war er nicht da gewesen.

»Nun, solche Dinge kommen vor«, sagte sie. »Und Sie hatten Ihr eigenes Leben.«

»So wie Sie das Ihre.«

Sie sagte nicht, was eine andere Frau am Ende dieses ereignisreichen Tages, den sie zusammen verbracht hatten, vielleicht gesagt hätte: Und glauben Sie, das macht uns ebenbürtig, Thomas? Aber er wusste, dass sie es dachte, denn was sonst sollte sie denken, nachdem er ihr ohne jeden Bezug von Peter erzählt hatte. Trotzdem verspürte er das Bedürfnis, ihr mehr Details aus seinem Leben zu erzählen, sie vor ihr aufzuhäufen, bis sie gezwungen war, mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede zu erkennen. Er wollte ihr davon berichten, dass sein Schwager vor rund zehn Jahren ermordet worden war, dass er selbst als Verdächtiger festgenommen und vierundzwanzig Stunden eingesperrt gewesen und verhört worden war, denn er hatte Edward Davenport und das, was Edward Davenport seiner Schwester eingebracht hatte, gehasst und daraus auch nie ein Geheimnis gemacht. Doch ihr das zu erzählen, hätte bedeutet, etwas von ihr zu erbetteln, was sie ganz offensichtlich nicht zu geben hatte.