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Daidre war verwirrt, und sie verabscheute dieses Gefühl. Ihre Lebenserfahrung konnte sich mit Aldaras nicht messen ganz zu schweigen von den sexuellen und emotionalen Erfahrungen, und das verunsicherte sie. Sie nahm einen erneuten Anlauf und verkündete unverblümt, denn Direktheit war ihre einzige Waffe: »Aldara, Santo Kerne ist tot.«

»Was sagst du da?«, fragte Aldara.

»Hast du mich nicht verstanden, oder willst du es nicht verstehen?«

»Was ist passiert?«

Daidre verspürte Befriedigung, als sie sah, wie Aldara das Stück Käse zurück auf den Teller legte. »Anscheinend war er an den Klippen klettern«, berichtete sie.

»Wo?«

»In Polcare Cove. Er ist abgestürzt. Ein Wanderer auf dem Küstenpfad hat die Leiche gefunden. Er ist zum Cottage gekommen.«

»Warst du da, als es passiert ist?«

»Nein. Ich bin erst heute Nachmittag aus Bristol gekommen. Aber als ich am Cottage ankam, war dieser Mann dort, auf der Suche nach einem Telefon. Ich hab ihn überrascht.«

»Du bist in dein Cottage gekommen und hast einen Fremden vorgefunden? Mein Gott. Du musst einen furchtbaren Schreck bekommen haben! Wie ist er…? Hat er den Ersatzschlüssel gefunden?«

»Er hat ein Fenster eingeschlagen, um hineinzukommen. Er hat mir gesagt, da liege ein Junge auf den Felsen, und ich bin mit ihm nachsehen gegangen. Ich habe behauptet, ich wäre Ärztin…«

»Aber das bist du ja auch! Du hättest ihm vielleicht…«

»Nein. Das ist es nicht. Oder vielleicht doch, denn ich hätte etwas tun können, nehme ich an.«

»Wieso nimmst du das nur an, Daidre? Du hast eine gute Ausbildung, bist qualifiziert, du hast einen Job mit enorm großer Verantwortung, und du kannst doch nicht sagen…«

»Aldara. Ja, in Ordnung, ich weiß. Aber es ging nicht nur darum, dass ich helfen wollte. Ich musste ihn sehen. Ich hatte so eine Ahnung.«

Aldara schwieg. Harz knisterte in einem der Scheite, und das Geräusch erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie starrte einen Moment lang ins Feuer, ganz so als wollte sie sichergehen, dass das Holz dort blieb, wo sie es aufgeschichtet hatte. Schließlich fragte sie: »Du hattest eine Ahnung, es könnte Santo Kerne sein? Warum?«

»Das ist doch wohl offensichtlich, oder?«

»Wieso ist es offensichtlich?«

»Aldara. Das weißt du genau.«

»Das weiß ich nicht. Du musst es mir sagen.«

»Wirklich?«

»Bitte.«

»Du bist…«

»Ich bin gar nichts. Sag mir, was immer du mir darüber erzählen willst, warum die Dinge in deinen Augen so offensichtlich sind.«

»Selbst wenn man denkt, dass man alles bedacht, jede Eventualität ausgeschlossen und wirklich gründlich seine Hausaufgaben gemacht hat…«

»Du wirst ein bisschen weitschweifig«, warf Aldara ein.

Daidre zog scharf die Luft ein. »Jemand ist gestorben. Wie kannst du da bloß so reden?«

»Na schön. "Weitschweifig" war eine unglückliche Wortwahl. "Hysterisch" trifft es wohl besser.«

»Wir reden hier über ein menschliches Wesen! Einen Teenager! Nicht einmal neunzehn Jahre alt. Tot auf den Felsen.«

»Jetzt bist du wirklich hysterisch.«

»Wie kannst du nur so sein? Santo ist tot!«

»Und das tut mir leid. Ich will gar nicht daran denken, dass ein so junger Mensch von einer Klippe stürzt und…«

»Falls er gestürzt ist, Aldara.«

Aldara griff nach ihrem Weinglas. Daidre bemerkte nicht zum ersten Mal, dass die Hände das einzig Unschöne an ihrer griechischen Freundin waren. Aldara selbst nannte sie Bauernhände, wie geschaffen dafür, Kleidungsstücke in einem Bach gegen Felsen zu schlagen, Brotteig zu kneten und auf dem Feld zu arbeiten. Kräftige, dicke Finger und breite Handflächen. Sie schienen nicht für diffizile Betätigungen geschaffen. »Was soll das heißen: falls er gestürzt ist"?«

»Du weißt die Antwort selbst.«

»Aber du hast doch gesagt, er ist zum Klettern rausgefahren. Du kannst doch nicht glauben, irgendwer…«

»Nicht irgendwer, Aldara. Santo Kerne? Polcare Cove? Es ist nicht schwer zu erraten, wer da seine Hand im Spiel gehabt haben könnte.«

»Du redest Unsinn! Du gehst zu oft ins Kino! Menschen benehmen sich nicht so, als wären ihre Rollen in Hollywood erdacht worden! Die Tatsache, dass Santo beim Klettern abgestürzt ist…«

»Und ist nicht gerade das ein bisschen seltsam? Warum würde er bei so einem Wetter klettern gehen wollen?«

»Du stellst die Frage, als würdest du erwarten, dass ich die Antwort kenne.«

»Oh, um Himmels willen, Aldara…«

»Genug.« Aldara stellte entschlossen ihr Weinglas ab. »Ich bin nicht du, Daidre. Ich hatte nie diese… diese… oh, wie soll ich es nennen? Diese Ehrfurcht vor Männern wie du, dieses Gefühl, als wären sie tatsächlich bedeutender, als sie es wirklich sind, dass sie lebensnotwendig sind, unerlässlich für die Vollständigkeit einer Frau. Es tut mir schrecklich leid, dass der Junge tot ist, aber das hat nichts mit mir zu tun.«

»Nein? Und das hier?« Daidre zeigte auf die zwei Weingläser, die zwei Teller und Gabeln, die Manifestation dessen, was die Zahl zwei implizieren mochte, was hier aber nicht der Fall war. Und dann Aldaras Aufmachung: das duftige Kleid, das bei jeder Bewegung ihre Hüften umspielte, die Schuhe, die vorne zu offen und deren Absätze zu hoch waren, um sich damit auf einer Farm umherzubewegen, die Ohrringe, die ihren langen Hals betonten. Daidre hatte keinen Zweifel daran, dass Aldaras Bett frisch bezogen war, die Laken nach Lavendel dufteten und Kerzen im Schlafzimmer parat standen und nur darauf warteten, angezündet zu werden.

Ein Mann war auf dem Weg zu ihr. Vielleicht malte er sich gerade in diesem Moment aus, wie er ihr die Kleider auszog. Überlegte, wie bald nach seiner Ankunft er zur Sache kommen würde. Und womöglich, wie er sie zu nehmen gedachte hart oder zärtlich, im Stehen, auf dem Fußboden oder im Bett und in welcher Position, ob er es mehr als zweimal schaffen würde, denn er wusste, nur zweimal wäre nicht genug, nicht für eine Frau wie Aldara Pappas: triebhaft, sinnlich, bereit. Er musste ihr verdammt noch mal geben, was sie wollte, denn wenn er das nicht schaffte, würde er achtlos weggeworfen, und das durfte er nicht riskieren.

Mit fester Stimme fuhr Daidre fort: »Ich glaube, du wirst feststellen, dass das nicht stimmt, Aldara. Du wirst herausfinden, dass diese… was Santo passiert ist… was immer es ist…«

»Blödsinn«, fiel Aldara ihr ins Wort.

»Wirklich?« Daidre legte die Hand auf den Tisch zwischen ihnen und wiederholte ihre Frage: »Wen erwartest du?«

»Das geht dich nichts an.«

»Bist du vollkommen verrückt geworden? Die Polizei war in meinem Cottage.«

»Und das macht dir Sorgen? Warum?«

»Weil ich mich verantwortlich fühle. Du etwa nicht?«

Aldara schien über die Frage nachzudenken, denn es dauerte einen Moment, ehe sie antwortete: »Kein bisschen.«

»Also ist die Sache damit für dich erledigt?«

»Ich schätze, ja.«

»Deswegen? Der Wein, der Käse, das anheimelnde Feuerchen? Ihr beide? Wer immer er sein mag?«

Aldara erhob sich. »Du musst jetzt gehen«, sagte sie. »Ich habe wieder und wieder versucht, dir zu erklären, wie ich bin. Aber du siehst meinen Lebenswandel als ein moralisches Problem und nicht als das, was er ist: nämlich die einzige Art und Weise, wie ich funktionieren kann. Also. Ja, es ist jemand unterwegs hierher, und nein, ich werde dir nicht sagen, um wen es sich handelt, und mir wäre ganz recht, wenn du bei seiner Ankunft nicht mehr hier wärst.«

»Du lässt dich wohl von gar nichts berühren, was?«, fragte Daidre.

»Das musst du gerade sagen, meine Liebe.«

5

Cadan war guter Dinge, dass er Pooh mit den Schinkenchips zu einem Kunststück würde bewegen können. Schinkenchips waren das bevorzugte Leckerchen des Papageis, und in der Regel spornten sie ihn zu Höchstleistungen an. Allein dass Cadan die Tüte in die Hand nahm, reichte normalerweise bereits aus, um die Aufmerksamkeit des Vogels zu erregen. Er führte artig sein Repertoire vor, selbst wenn er den knusprigen Inhalt der Tüte noch gar nicht zu Gesicht bekommen hatte. Pooh mochte ein Papagei sein, aber wenn es ums Fressen ging, war er alles andere als dumm.