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»Das ist Gordie Lisie«, stellte Hannaford vor. »Niemand auf der Welt macht den Y-Schnitt so zackig wie er, und Sie wollen gar nicht wissen, wie schnell er Rippen zersägt.«

»Zu viel der Ehre«, sagte Lisie.

»Ich weiß. Das hier ist Thomas Lynley. Was haben wir?«

Lisie stellte sein Saftglas beiseite, trat an seinen Schreibtisch und nahm ein Blatt Papier auf, das er überflog, und begann seinen Bericht. Die Verletzungen stammten eindeutig von einem Sturz, sagte er einleitend. Er zählte sie auf: gebrochene Hüfte, der rechte Malleolus medialis zertrümmert. »Für den Laien: Das ist der Knöchel«, fügte er hinzu.

Hannaford nickte wissend.

»Rechtes Schien- und Wadenbein gebrochen«, fuhr Lisie fort. »Mehrfache Brüche der rechten Elle und Speiche. Ebenfalls rechts sechs Rippenbrüche. Und die rechte Scapula zertrümmert, beide Lungen durchstoßen, Milzriss.«

»Was zum Henker ist eine Scapula?«, wollte Hannaford wissen.

»Schulterblatt«, erklärte er.

»Böse Sache, aber hätte das ausgereicht, um ihn umzubringen? Was hat ihn denn nun ins Jenseits befördert? Schock?«

»Ich habe uns natürlich das Beste für den Schluss aufgehoben: eine massive Fraktur des Schläfenbeins. Sein Schädel ist aufgeplatzt wie ein Ei. Sehen Sie hier.« Lisie legte das Schriftstück auf den Tisch und schlenderte zur Wand hinüber, wo eine großformatige Darstellung des menschlichen Skeletts hing. »Er muss während seines Sturzes an einen vorstehenden Felsen angeschlagen sein. Er wurde mindestens einmal herumgeschleudert, nahm im Lauf des Sturzes weiter Tempo auf, landete hart auf der rechten Seite und schlug sich den Schädel auf dem Schiefer ein. Als der Knochen brach, ist er wie ein Messer in die Schädelbasisarterie gestoßen. Das hat ein akutes epidurales Hämatom hervorgerufen. Es entstand Druck auf das Gehirn, der nirgendwohin entweichen konnte, ohne den Jungen umzubringen. Er dürfte innerhalb von fünfzehn Minuten gestorben sein, war aber sicher die ganze Zeit bewusstlos. Lag denn kein Helm in der Nähe? Irgendeine andere Kopfbedeckung?«

»Kinder«, entgegnete Hannaford. »Sie glauben, sie sind unsterblich.«

»Dieses hier war es nicht. Wie dem auch sei. Die Schwere der Verletzungen deutet darauf hin, dass er abgestürzt ist, sowie er begann, sich abzuseilen.«

»Was wiederum bedeutet, die Schlinge ist gerissen, sowie sie mit seinem Gewicht belastet wurde.«

»Dem stimme ich zu.«

»Was ist mit dem blauen Auge? Es war schon abgeheilt, oder? Womit passt das zusammen?«

»Mit einem verdammt gut platzierten Fausthieb. Irgendwer hat ihm ein ordentliches Ding verpasst, das ihn zu Boden geschickt haben dürfte. Man kann die Knöchelabdrücke immer noch sehen.«

Hannaford nickte. Sie blickte zu Lynley, der aufmerksam zugehört und sich gleichzeitig gefragt hatte, warum Hannaford ihn hieran Anteil nehmen ließ. Das war vollkommen ungewöhnlich obendrein sogar unverantwortlich, wenn man seine Rolle in diesem Fall berücksichtigte. Und sie machte eigentlich nicht den Eindruck, als wäre sie eine verantwortungslose Frau. Sie hatte irgendeinen Plan. Darauf hätte er gewettet.

»Wann?«, fragte Hannaford.

»Der Faustschlag?«, erwiderte Lisie. »Ich würde sagen, vor einer Woche.«

»Sieht es so aus, als hätte er eine Schlägerei gehabt?«

Lisie schüttelte den Kopf.

»Warum nicht?«

»Er weist keine weiteren Blessuren auf, die zur selben Zeit entstanden sein könnten«, mischte Lynley sich ein. »Irgendwer hat ein einziges Mal ordentlich hingelangt, und das war alles.«

Hannaford sah ihn an, als hätte sie völlig vergessen, dass sie ihn mitgebracht hatte. Lisie stimmte zu: »Das würde ich auch sagen. Jemand hat für einen Moment die Kontrolle verloren oder wollte ihn bestrafen. Entweder war die Angelegenheit damit erledigt, oder ihm ist die Lampe ausgegangen, oder er war einfach nicht der Typ, der sich provozieren ließ, nicht einmal durch einen Fausthieb ins Gesicht.«

»Wie steht es mit Sadomasochismus?«, fragte Hannaford.

Lisie wirkte nachdenklich, und Lynley antwortete: »Ich glaube nicht, dass Sadomasochisten eine Vorliebe für Faustschläge ins Gesicht hegen.«

»Hm. Ja«, stimmte Lisie zu. »Ich schätze, der handelsübliche SM-Freak lässt sich lieber in die Genitalien zwicken. Oder den Hintern versohlen oder obendrein auspeitschen. Aber wir haben keinerlei Spuren an der Leiche, die auf dergleichen hindeuten.« Er kehrte zu seinem Sandwich zurück. Sie standen alle drei einen Moment da und betrachteten die Schautafel mit dem Skelett. Völlig unvermittelt fragte Lisie Hannaford: »Wie sieht es an der Datingfront aus? Hat das Internet Ihre Träume schon erfüllt?«

»Täglich«, versicherte sie ihm. »Sie müssen es unbedingt noch einmal probieren, Gordie. Sie haben viel zu schnell das Handtuch geworfen.«

Er schüttelte den Kopf. »Damit bin ich fertig. Das Internet ist nicht der richtige Ort, um nach der Liebe zu suchen.« Er schaute sich betrübt in der Pathologie um. »Das hier schreckt sie einfach ab, da muss man gar nicht drumherumreden. Sobald ich damit herausrücke, ist alles gelaufen.«

»Was meinen Sie?«

Er umschrieb den Raum mit einer Geste. Eine weitere von einem Laken bedeckte Leiche mit einem Schild am Zeh wartete bereits auf ihn. »Wenn sie erfahren, was ich beruflich mache. Darauf stehen sie nicht besonders.«

Hannaford tätschelte ihm die Schulter. »Das macht nichts, Gordie. Sie stehen darauf, und das allein zählt.«

»Wie wär's denn mit uns zwei Hübschen?« Er sah sie mit musterndem Blick an, abschätzend und abwägend.

»Führen Sie mich nicht in Versuchung, mein Lieber. Sie sind viel zu jung, und außerdem bin ich im Grunde meines Herzens eine Sünderin. Ich brauche den schriftlichen Bericht hierüber so schnell wie möglich.« Mit dem Kinn wies sie auf die frisch gesäuberte Rollliege.

»Ich werde dafür eine der Schreibkräfte bestechen«, versprach Lisie.

Als sie die Pathologie hinter sich gelassen hatten, schritt Hannaford auf einen Lageplan des Krankenhauses in der Vorhalle zu, studierte ihn kurz und führte Lynley dann in die Cafeteria. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie nach dem Besuch im Sektionssaal etwas essen wollte, und wie sich herausstellte, hatte er recht. Hannaford blieb am Eingang stehen und sah sich um, bis sie an einem Tisch einen Mann entdeckte, der eine Zeitung las.

Lynley erkannte den Mann, der am Abend zuvor in Daidre Trahairs Cottage aufgetaucht war und ihn nach New Scotland Yard gefragt hatte. Gestern hatte er sich nicht vorgestellt, aber Hannaford holte das nun nach: Dies sei Assistant Chief Constable Ray Hannaford von der Polizei in Middlemore, erklärte sie. Der Mann erhob sich und streckte Lynley höflich die Hand entgegen.

»Ja«, fügte Detective Inspector Hannaford erklärend hinzu.

»Ja?«, fragte Lynley verdutzt.

»Familie«, warf sie ein.

»Ehemals«, ergänzte Ray Hannaford. »Bedauerlicherweise.«

»Du schmeichelst mir, Liebling«, frotzelte sie.

Keiner von beiden ging näher darauf ein, doch das Wort "ehemals" räumte alle Zweifel aus. Mehr als ein Cop in der Familie, schloss Lynckley. Das dürfte nicht einfach gewesen sein.

Ray Hannaford griff nach einem großen Umschlag, der auf dem Tisch gelegen hatte. »Hier ist er«, sagte er zu seiner Exfrau. »Wenn du das nächste Mal auf einem Kurier bestehst, lass ihn wissen, wo er dich findet, Beatrice.«

»Das hab ich ihnen gesagt«, entgegnete sie. »Offenbar hatte der Mistkerl, der diesen Umschlag aus London gebracht hat, keine Lust, bis nach Holsworthy oder Casvelyn zu fahren. Oder hattest du auch noch mal angerufen und die Sachen angefordert?«, fragte sie argwöhnisch. Sie wedelte mit dem Umschlag.

»Nein«, versicherte er. »Aber wir sollten langsam über eine Art Gegenleistung reden. Dein Schuldensaldo wächst. Die Fahrt von Exeter hierher war die Hölle. Jetzt schuldest du mir in zweierlei Hinsicht etwas.«