Es würde kein einfaches Projekt werden. Die Anlage sah aus, als wäre sie mindestens sechzig Jahre alt und als wäre in den letzten dreißig Jahren kein Strich daran getan worden. Das war irgendwie schade, denn selbst Minigolf hätte eine bescheidene Geldquelle für Adventures Unlimited sein können. Andererseits war es aber auch ein Pluspunkt, denn eine heruntergekommene Anlage verbesserte die Chancen, dass wer immer hier die Entscheidungen über die Zukunft traf, sich von Cadans Vorschlag würde überzeugen lassen. Aber um Vorschläge unterbreiten zu können, musste man erst einmal Pläne haben, und Cadan gehörte nicht zu der Sorte Mensch, die Pläne machte. Also spazierte er zwischen den ersten fünf Löchern umher und überlegte, was getan werden müsste, abgesehen vom Herausreißen der kleinen Windmühlen, Scheunen und Schulhäuser und dem Auffüllen der Löcher.
Er war immer noch in Gedanken an die BMX-Bahn, als er einen Streifenwagen vom St. Mevan Crescent auf den Parkplatz des alten Hotels einbiegen sah. Der Fahrer ein uniformierter Constable stieg aus und ging hinein. Wenige Minuten später fuhr er wieder davon.
Kurz darauf kam Kerra aus dem Gebäude. Sie blieb auf dem Parkplatz stehen, stemmte die Hände in die Hüften und sah sich um. Cadan hockte gerade neben einem kleinen Bootswrack, das als Hindernis am sechsten Loch diente, und ihm ging auf, dass Kerra nach jemandem Ausschau hielt, möglicherweise nach ihm. Unter anderen Umständen hätte er sich wie üblich versteckt gehalten, denn wenn jemand nach ihm suchte, dann in aller Regel, weil er etwas vermasselt hatte und von seinen Missetaten in Kenntnis gesetzt werden sollte. Doch eine schnelle Revision seiner heutigen Lackiererleistung brachte ihn zu der Erkenntnis, dass er hervorragende Arbeit abgeliefert hatte, also richtete er sich auf und zeigte sich.
Kerra kam umgehend in seine Richtung. Sie hatte sich umgezogen, war von Kopf bis Fuß in Lycra gehüllt, und Cadan erkannte das Outfit: Sie trug ihre Langstrecken-Fahrradmontur. Seltsame Tageszeit für eine Fahrradtour, fand er, aber wenn man die Tochter des Chefs war, konnte man sich seine Regeln selber setzen.
Als Kerra die Ruine des Minigolfplatzes erreichte, sagte sie ohne Vorrede: »Ich habe auf der Farm angerufen, aber man hat mir gesagt, sie arbeitet dort nicht mehr.« Sie klang geschäftsmäßig. »Dann habe ich es bei euch zu Hause probiert, aber da ist sie auch nicht. Weißt du, wo sie steckt? Ich muss sie sprechen.«
Cadan nahm sich einen Moment Zeit, um ihre Ausführungen und die Frage zu überdenken und was das alles implizierte. Er versuchte, Zeit zu schinden, indem er zu seinem Fahrrad trat, Pooh von der Lenkstange nahm und auf seine Schulter setzte. »Spreng Löcher im Speicher«, bemerkte Pooh.
»Cadan.« Kerras Stimme war beherrscht, enthielt aber eine gewisse Schärfe. »Würdest du mir bitte antworten? Und zwar jetzt gleich und nicht irgendwann einmal?«
»Es ist nur… Es ist komisch, dass du fragst«, erwiderte Cadan. »Ich meine, es ist ja nicht so, als wärt du und Madlyn noch befreundet, darum frag ich mich…« Er neigte den Kopf, sodass seine Wange Poohs Federn berührte. Er fand das Gefühl angenehm.
Kerra verengte die Augen. »Was fragst du dich?«
»Santo. Die Polizei war hier. Und jetzt kommst du hier raus, um mit mir zu reden. Fragst mich nach Madlyn. Hängt das alles irgendwie zusammen?«
Kerra trug die Haare in einem Pferdeschwanz, aber jetzt zog sie das Gummi heraus, und das Haar fiel ihr auf die Schultern. Sie schüttelte es, dann fasste sie es wieder zum Zopf zusammen. Es schien ebenso eine Methode, Zeit zu gewinnen, wie Cadan es eben getan hatte, indem er Pooh von seinem Fahrrad holte. Dann sah sie ihn wieder an und schenkte ihm ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. »Was ist mit deinem Gesicht?«
»Einfach Glück gehabt. Es ist das, mit dem ich zur Welt gekommen bin.«
»Mir ist nicht nach Scherzen zumute, Cadan. Du weißt genau, was ich meine. Die Blutergüsse und Abschürfungen.«
»Ich bin ausgerutscht. Berufsrisiko. Ich hab einen No-Foot Can-Can ausprobiert und bin auf den Beckenrand geknallt. Drüben im Freizeitzentrum.«
»Beim Schwimmen?«, fragte sie ungläubig.
»Der Pool ist leer. Ich hab dort trainiert. Mit dem Bike.« Er fühlte, wie er rot anlief, und das ärgerte ihn. Er hatte sich geschworen, sich seiner Leidenschaft niemals zu schämen, und er wollte lieber nicht darüber nachdenken, wieso er jetzt verlegen war. »Was ist denn eigentlich los?«, fragte er und nickte zum Hotel hinüber.
»Er ist nicht einfach nur abgestürzt. Er wurde ermordet. Deswegen war die Polizei da. Sie schicken uns ihren… wie immer man das nennt. Opferbetreuer. Ich glaube, seine Aufgabe soll sein, bei uns zu bleiben und Tee zu kochen, um uns daran zu hindern… keine Ahnung… Was machen Menschen in der Regel, wenn ein Familienmitglied ermordet wird? Rasten sie aus und nehmen Rache? Laufen sie Amok in der Stadt? Knirschen sie mit den Zähnen? Und was zum Geier soll das eigentlich sein, Zähneknirschen? Wo ist sie, Cadan?«
»Sie weiß schon, dass er tot ist.«
»Dass er tot ist oder dass er ermordet wurde? Wo ist sie? Er war mein Bruder, und da sie seine… Freundin war…«
»Und deine Freundin auch«, erinnerte Cadan sie. »Jedenfalls früher mal.«
»Hör auf«, sagte sie. »Hör einfach auf damit, okay?«
Cadan hob die Schultern. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Minigolfplatz und bemerkte: »Diese Anlage hier… Das alles muss verschwinden. Vermutlich könnte man einen Teil davon sogar noch reparieren, aber ich schätze, die Kosten wären höher als der Profit. Kurzfristig gesehen. Langfristig… wer weiß?«
»Alan kennt sich damit aus. Gewinn und Verlust, langfristige Investitionen. Er weiß über all das Bescheid. Aber darüber brauchen wir uns jetzt wohl keine Gedanken mehr zu machen.«
»Worüber?«
»Über Adventures Unlimited. Ich bezweifle, dass mein Vater die nötige Energie aufbringt, um das Hotel zu eröffnen, nach dem, was mit Santo passiert ist.«
»Was soll denn werden, wenn ihr nicht eröffnet?«
»Alan würde vorschlagen, dass wir einen Käufer suchen, um unsere Investition zurückzubekommen. Aber so ist Alan. Ein Kopf für Zahlen, wenn auch für nichts anderes.«
»Klingt, als wärst du sauer auf ihn.«
Sie ging nicht darauf ein. »Ist sie zu Hause und geht einfach nur nicht ans Telefon? Ich könnte vorbeifahren, aber wenn sie nicht da ist, würde ich mir die Mühe lieber sparen. Also, wärst du vielleicht gewillt, mir wenigstens das zu verraten?«
»Ich schätze, sie ist noch bei Jago«, antwortete Cadan.
»Wer ist Jago?«
»Jago Reeth. So 'n Typ, der für meinen Vater arbeitet. Sie war die ganze Nacht bei ihm. Soweit ich weiß, ist sie immer noch da.«
Kerra lachte kurz auf. Es war ein humorloser Laut. »Na, da hat sie sich ja schnell getröstet. Die Wunderheilung eines gebrochenen Herzens. Wie entzückend.«
Cadan wollte sie fragen, was es sie eigentlich anging, ob seine Schwester einen neuen Freund hatte oder nicht. Doch stattdessen entgegnete er: »Jago Reeth ist ungefähr siebzig Jahre alt. Er ist so was wie ein Großvater für sie, okay?«
»Was macht er dann für deinen Vater, wenn er schon so alt ist?«
Sie ging ihm wirklich auf den Wecker. Sie führte sich auf wie die verzogene Tochter des Chefs, frei nach dem Motto: Sei ja höflich zu mir — und das ging Cadan gegen den Strich. »Spielt das irgendeine Rolle, Kerra?«, erkundigte er sich. »Warum zum Henker willst du das wissen?«
Von einer Sekunde zur nächsten schlug ihre Stimmung um. Sie räusperte sich ganz komisch, und er sah Tränen in ihren Augen glitzern. Dieses Glitzern rief ihm ins Gedächtnis, dass ihr Bruder gestorben war, und zwar erst gestern, und gerade eben erst hatte sie erfahren, dass er ermordet worden war.
Er sagte: »Kunstharzgießer.« Und als sie ihn verwirrt anschaute: »Jago Reeth. Er beschichtet die Boards. Er ist ein alter Surfer, den mein Vater vor etwa sechs Monaten aufgegabelt hat. Jago ist genauso detailversessen wie er. Und das ist das Wichtigste — nicht so wie ich.«