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»Du Ärmster.«

»Kerra, das alles sieht dir überhaupt nicht ähnlich. Wovor hast du solche Angst?«

»Vor gar nichts«, gab sie zurück. »Ich habe überhaupt keine Angst. Du versuchst, über Dinge zu reden, die du nicht verstehst.«

»Dann hilf mir, sie zu verstehen!«

»Das ist nicht mein Job«, sagte sie. »Ich habe dich gewarnt.«

»Du hast mich davor gewarnt, hier zu arbeiten. Das hier — du, das, was mit dir passiert und was mit Santo passiert ist — hat nichts mit meiner Stellung hier zu tun.«

Sie lächelte freudlos. »Bleib nur noch ein Weilchen. Dann wirst du schon noch herausfinden, was alles zu deiner Stellung gehört, falls du das nicht schon längst weißt. Und wenn du mich jetzt bitte entschuldigst, ich würde gerne losfahren. Ich bezweifle, dass du noch hier bist, wenn ich zurückkomme.«

»Kommst du heute Abend rüber?«

Sie zog die Brauen in die Höhe. »Ich glaube, dieser Teil unserer Beziehung ist vorbei.«

»Was soll das heißen? Irgendetwas ist passiert seit gestern. Mal ganz abgesehen von Santo. Irgendetwas ist passiert.«

»Oh, das weiß ich.« Sie stieg aufs Rad, legte den geeigneten Gang ein, um die steile Auffahrt zu bewältigen, und fuhr in Richtung Stadt.

Sie nahm die südöstliche Flanke des St. Mevan Down, wo das ungemähte Gras sich unter dem Gewicht der Regentropfen bog und ein paar Hunde umhertollten, dankbar für die Regenpause. Auch sie war dankbar und beschloss, in Richtung Polcare Cove zu fahren. Sie hatte keineswegs die Absicht, die Stelle aufzusuchen, wo Santo gestorben war, aber wenn der Zufall sie dorthin verschlagen sollte, würde sie es als eine Fügung des Schicksals betrachten. Eigentlich wollte sie der Strecke überhaupt keine Beachtung schenken. Einfach radeln, so schnell sie konnte, abbiegen, wenn ihr danach war, und geradeaus fahren, wann immer sie wollte. Doch sie wusste, sie brauchte irgendetwas, was ihr die nötige Energie für diesen Kraftakt verschaffte, darum hielt sie rechter Hand an der Ecke Burn View Lane bei der Großbäckerei Casvelyn of Cornwall an einem riesigen Betrieb, der Restaurants, Geschäfte, Pubs und kleinere Bäckereien entlang der ganzen Küste mit den herzhaften Pasteten belieferte, für die Cornwall so berühmt war. Im hinteren Teil befand sich die beinahe fabrikgroße Bäckerei, die zehn Bäcker beschäftigte, vorne der Laden, wo zwei Verkäuferinnen bedienten.

Kerra lehnte ihr Rad ans Schaufenster ein beeindruckendes Monument aus Pasteten, Brotlaiben, Törtchen und süßen Brötchen. Während sie eintrat, entschied sie sich für eine Steak-und-Bier-Pastete, die sie auf der Fahrt stadtauswärts vertilgen wollte.

An der Ladentheke gab sie ihre Bestellung bei einem jungen Mädchen auf, dessen gewaltige Oberschenkel die Vermutung nahelegten, dass es nur allzu häufig selbst von seiner Ware kostete. Die Pastete wurde eingetütet und der Preis gerade in die Kasse getippt, als die zweite Verkäuferin mit einem Blech frischen Gebäcks für die Glastheke in den Laden trat. Kerra hörte, wie die rückwärtige Tür zufiel, und schaute auf. In dem Moment, als sie die junge Frau mit dem Tablett entdeckte, blickte diese in Kerras Richtung. Ihr Schritt stockte. Sie stand mit ausdrucksloser Miene da, das Blech vor sich ausgestreckt.

»Madlyn«, sagte Kerra. Erst viel später ging ihr auf, wie dämlich sie sich anhörte. »Ich wusste gar nicht, dass du hier arbeitest.«

Madlyn Angarrack ging zu einer der Glastheken, öffnete und befüllte sie mit den frischen Teigtaschen. Sie fragte das andere Mädchen, das dabei war, Kerras Pastete zu verpacken: »Was für eine ist das, Shar?« Ihre Stimme klang barsch.

»Steak und Bier.« Es war Kerra, die antwortete. Und dann: »Madlyn, ich habe vor kaum zwanzig Minuten mit Cadan über dich gesprochen. Wie lange bist du schon…«

»Gib ihr eine von denen hier, Shar. Die sind frischer.«

Shar blickte von Madlyn zu Kerra, als nähme sie die Witterung der Spannung auf, die plötzlich im Raum lag, und fragte sich, woher sie kam. Doch sie tat, worum Madlyn gebeten hatte.

Kerra ging einen Schritt auf Madlyn zu, die ihre Ware in Reih und Glied anrichtete. »Seit wann arbeitest du hier?«

Madlyn warf ihr einen flüchtigen Blick zu. »Was interessiert dich das?« Sie ließ die Tür der Glastheke geräuschvoll zuschnappen. »Würde das irgendetwas für dich ändern?« Mit dem Handrücken strich sie sich die Haare aus dem Gesicht. Sie waren kurz geschnitten, dunkel und lockig. Die kupferfarbenen Strähnen, die die Sommersonne im vergangenen Jahr hineingebleicht hatte, waren verschwunden. Kerra ging auf, wie ähnlich Madlyn und Cadan sich sahen. Die gleichen Locken, der gleiche dunkle Teint, dunkle Augen, die gleiche Gesichtsform. Mit den Kerne-Geschwistern verhielt es sich hingegen völlig anders. Äußerlich wie auch in jeder anderen Hinsicht waren Kerra und Santo vollkommen verschieden gewesen.

Der plötzliche Gedanke an Santo zwang Kerra, heftig zu blinzeln. Sie wollte ihn nicht nicht in ihren Gedanken und ganz sicher nirgendwo in der Nähe ihres Herzens. Madlyn verstand dies als Reaktion auf ihre Frage und deren feindseligen Tonfall, denn sie fügte hinzu: »Ich habe das mit Santo gehört. Tut mir leid, dass er abgestürzt ist.«

Doch es klang förmlich, so als erfüllte sie lediglich eine Pflicht. Darum erwiderte Kerra schonungsloser, als sie es sonst vielleicht getan hätte: »Er ist nicht abgestürzt. Er wurde ermordet. Die Polizei war eben da, um es uns zu sagen. Als er gefunden wurde, wussten sie es nicht gleich. Man konnte es nicht sehen.«

Madlyns Mund öffnete sich, und ihre Lippen formten die erste Silbe des Wortes ermordet, aber sie sprach es nicht aus, sondern fragte nur: »Warum?«

»Weil sie erst noch seine Ausrüstung untersuchen mussten. Unter dem Mikroskop oder so. Ich schätze, den Rest kannst du dir denken.«

»Ich meinte, warum sollte irgendwer Santo ermorden?«

»Ich kann kaum glauben, dass ausgerechnet du diese Frage stellst.«

»Willst du etwa sagen…« Madlyn stemmte das leere Backblech auf ihre Hüfte. »Wir waren befreundet, Kerra.«

»Ich glaube, ihr wart sehr viel mehr als befreundet.«

»Ich rede nicht von Santo. Ich meine dich und mich. Wir waren Freundinnen. Enge Freundinnen. Man könnte sagen, beste Freundinnen. Wie kannst du nur glauben, ich würde je…«

»Du hast unsere Freundschaft beendet.«

»Ich hatte eine Beziehung mit deinem Bruder. Das war alles, was ich getan habe. Punkt.«

»Tja.«

»Und von da an hast du alles bestimmt. Niemand ist mit meinem Bruder zusammen und gleichzeitig meine Freundin. Das war deine Position. Nur hast du das nicht einmal klar und deutlich gesagt. Du hast einfach einen Schnitt mit einer rostigen Schere gemacht, und das war's dann. Wenn jemand etwas tut, was dir nicht passt, ist es aus mit der Freundschaft.«

»Es war zu deinem Besten.«

»Ach wirklich? Was genau? Plötzlich abgeschnitten zu sein von… von einer Schwester? Denn das warst du für mich, eine Schwester, kapiert?«

»Du hättest…« Kerra wusste nicht, wie sie fortfahren sollte. Sie verstand auch nicht, wie sie an diesen Punkt gelangt waren. Es stimmte, sie hatte mit Madlyn reden wollen. Darum war sie zu Cadan gegangen und hatte ihn nach seiner Schwester gefragt. Aber die Unterhaltung, die sie in ihrer Fantasie mit Madlyn Angarrack geführt hatte, war eine völlig andere als die, welche sich nun hier entwickelte. Ihre Fantasieunterhaltung hatte beispielsweise nicht vor einer Zeugin stattgefunden, die ihren Streit mit der gierigen Aufmerksamkeit verfolgte, die normalerweise eine Mädchenschlägerei auf dem Schulhof begleitete.

Kerra sagte leise: »Es ist nicht so, als hätte ich dich nicht gewarnt.«