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»Bestimmt willst du, dass sie mich so sehen«, beharrte sie und wandte sich ihm zu. »Denn wir wissen doch, dass du es so vorziehst. Du hast mich so am liebsten. So willst du mich haben. Man könnte fast glauben, du hast Santos Tod herbeigeführt, um mich auf Kurs zu bringen. Das kommt dir ja so entgegen, nicht wahr?«

Ben stand abrupt auf. Er wandte sich ab, damit sie sein Gesicht nicht sah.

Sofort sagte sie: »Es tut mir leid. O Gott, Ben! Ich weiß gar nicht, was ich rede! Warum verlässt du mich nicht? Ich weiß, dass du das willst. Das willst du schon seit Ewigkeiten. Du trägst unsere Ehe wie ein härenes Gewand. Warum?«

»Bitte, Del«, erwiderte er, ohne zu wissen, worum er sie bat. Er wischte sich die Nase am Ärmel seines Hemdes ab und ging zu ihr zurück. »Lass mich dir helfen. Sie werden nicht gehen, ehe sie mit uns gesprochen haben.« Wohlweislich verschwieg er, dass die Beamten sicher noch einmal wiederkommen würden, um mit Kerra zu sprechen, und ebenso gut dann mit Dellen würden reden können. Doch das durfte nicht passieren, beschloss er. Er musste dabei sein, wenn sie Dellen vernahmen, und kamen sie später zurück, bestand die Gefahr, dass sie sie allein antrafen.

Er trat an den Schrank und holte Kleidungsstücke für sie heraus. Schwarze Hose, schwarzer Pulli, schwarze Sandalen. Er suchte Unterwäsche zusammen und trug alles zum Bett hinüber.

»Lass mich dir helfen«, sagte er.

Es war der Imperativ all ihrer gemeinsamen Jahre gewesen: Er lebte, um ihr zu dienen. Sie lebte, um sich bedienen zu lassen.

Er schlug Decke und Laken zurück. Dellen war nackt, ihr Geruch säuerlich, und er betrachtete sie ohne das geringste Flackern der Begierde. Sie hatte nicht mehr die Figur der Fünfzehnjährigen, mit der er zwischen den Dünen im Strandhafer herumgetollt war. Ihr Körper drückte den Abscheu aus, den ihre Stimme nicht aussprach. Sie war angespannt, das Haar gebleicht, das Gesicht bemalt — sie war im selben Maße beinahe irreal und gar zu körperlich. Sie war die fleischgewordene Vergangenheit, Verstrickung und Entfremdung.

Er schob einen Arm unter ihre Schultern und richtete sie auf. Sie hatte zu weinen begonnen. Es war ein stummes Weinen, hässlich anzusehen. Es verzerrte ihren Mund, rötete ihre Nase und ließ ihre Augenlider anschwellen.

Sie sagte: »Das willst du doch. Also tu es. Ich halte dich nicht hier. Ich habe dich nie gehalten.«

Er murmelte: »Sch-sch. Zieh das an.« Er streifte ihr die BH-Träger über die Arme. Trotz seiner Ermunterung half sie ihm nicht. Ihm blieb nichts anderes übrig, als ihre schweren Brüste zu umfassen und in die Körbchen zu führen, ehe er den BH hinter ihrem Rücken zuhaken konnte. So zog er sie an, und als er fertig war und sie auf die Füße hob, erwachte sie endlich zum Leben.

Sie sagte wieder: »Ich kann nicht zulassen, dass sie mich so sehen.« Aber ihr Tonfall hatte sich geändert. Sie trat an die Frisierkommode und zog aus dem Wirrwarr von Kosmetika und Modeschmuck eine Bürste hervor. Damit fuhr sie sich emsig durch das lange blonde Haar, bis es entwirrt war. Dann schlang sie es zu einem passablen Knoten zusammen. Sie schaltete die kleine Messinglampe ein, die Ben ihr vor vielen Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte, und beugte sich vor, um ihr Gesicht zu begutachten. Sie legte Puder und ein bisschen Mascara auf, dann wühlte sie in den Lippenstiften, fand die Farbe, die sie wollte, und trug sie auf.

»In Ordnung«, sagte sie, als sie sich zu ihm umwandte.

Von Kopf bis Fuß in Schwarz, aber ihre Lippen waren rot. Rosenrot. Blutrot.

Während sie gemeinsam mit Constable McNulty und Sergeant Collins die Ermittlungen vorbereitete, war Bea Hannaford schnell zu dem Schluss gekommen, dass sie es bei diesen beiden mit den polizeilichen Äquivalenten von Stan Laurel und Oliver Hardy zu tun hatte. Diese Erkenntnis war relativ plötzlich über sie hereingebrochen, als Constable McNulty ihr mit kummervoller Miene eröffnet hatte, er habe die Familie darüber informiert, dass es sich bei Santo Kernes Tod wahrscheinlich um einen Mord handelte. Das an sich war noch keine miserable Polizeiarbeit, wohl aber die Tatsache, dass er den Angehörigen bedenkenlos die Fakten bezüglich der Kletterausrüstung des toten Jungen offenbart hatte.

Bea hatte den Constable ungläubig angestarrt. Dann hatte sie erkannt, dass sie ihn nicht missverstanden hatte, sondern er tatsächlich entscheidende Informationen an Personen weitergegeben hatte, die zum Kreis der Verdächtigen zählten. Zuerst war sie explodiert. Dann hatte sie den Wunsch verspürt, ihn zu erwürgen. Schließlich hatte sie sich in schneidendem Tonfall erkundigt: »Was genau tun Sie eigentlich den ganzen Tag? Sich auf öffentlichen Toiletten einen runterholen? Denn Sie sind das traurigste Exemplar eines Polizeibeamten, das mir je unter die Augen gekommen ist. Ist Ihnen eigentlich klar, dass es jetzt kein Detail mehr gibt, das ausschließlich wir und der Mörder kennen? Verstehen Sie, in welche Situation uns das bringt?« Danach hatte sie ihm befohlen, sie zu begleiten und den Mund zu halten, bis ihm ausdrücklich Redeerlaubnis erteilt wurde.

Wenigstens in dieser Hinsicht hatte er Verstand bewiesen. Von dem Moment an, da sie zum King-George-Hotel gekommen waren — einem baufälligen Art-déco-Kasten, der nach Beas Ansicht reif für die Abrissbirne war, hatte Constable McNulty kein Wort gesprochen. Er hatte sich sogar Notizen gemacht und kein einziges Mal von seinem Schreibblock aufgesehen, als sie sich mit Alan Cheston unterhalten hatte, während sie auf Ben Kernes Rückkehr wartete. In Begleitung seiner Frau, stand zu hoffen.

Cheston geizte nicht mit Details. Er sei fünfundzwanzig, Partner der Kerne-Tochter, in Cambridge als einziges Kind einer Physikerin und eines Unibibliothekars aufgewachsen. Er hatte an der Trinity Hall studiert, dann weiter an der London School of Economics, in Birmingham bei einer Unternehmensberatung gearbeitet, bis seine Eltern sich in Casvelyn zur Ruhe gesetzt hatten und er ebenfalls nach Cornwall gezogen war, um in ihrer Nähe zu sein, wenn sie älter wurden. Er besaß ein Reihenhaus am Lansdown Close, das derzeit saniert wurde, auf dass es eines fernen Tages für die Frau und die Kinder angemessen sei, die er sich erhoffte. Bis es jedoch so weit war, wohnte er in einem Apartment am Ende der Breakwater Road.

»Nun ja, Apartment ist nicht ganz richtig«, fügte er hinzu, nachdem er Constable McNultys emsiges Kritzeln einen Moment lang beobachtet hatte. »Es ist eher ein möbliertes Zimmer in dem großen rosa Cottage am Ende der Straße, gegenüber dem Kanal. Ich kann die Küche mitbenutzen und… Na ja, die Vermieterin ist sehr großzügig.«

Womit er sicherlich meinte, die Vermieterin habe moderne Ansichten, nahm Bea an. Was wiederum wohl hieß, dass er und das Kerne-Mädchen es dort nach Herzenslust trieben.

»Kerra und ich wollen heiraten«, fügte er hinzu, als befürchtete er, Bea wäre in Sorge um die Tugend der jungen Frau.

»Ah. Wie nett. Und Santo?«, fragte sie. »Welche Art von Beziehung hatten Sie zu ihm?«

»Großartiger Junge«, lautete Alans Antwort. »Es war schwer, ihn nicht zu mögen. Er war vielleicht kein Intellektueller, aber er strahlte so etwas Glückliches aus. Etwas Unbekümmertes. Das hatte eine ansteckende Wirkung, und soweit ich sehen konnte, waren die Menschen gern in seiner Nähe. Menschen ganz allgemein.«

 Joie de vivre, dachte Bea. Sie hakte nach. »Und wie stand es mit Ihnen im Besonderen? Waren Sie auch gern in seiner Nähe?«

»Wir waren nicht oft zusammen. Ich bin Kerras Freund, Santo und ich waren also… eher so etwas wie Schwäger, nehme ich an. Herzlich und verbindlich, wenn wir uns unterhalten haben, aber nicht viel mehr. Wir hatten keinerlei gemeinsame Interessen. Er war sehr körperlich. Ich bin eher… ein Kopfmensch.«

»Ich schätze, das bedeutet, Sie sind eher geeignet, ein Unternehmen zu führen«, bemerkte Bea.

»Ja, natürlich.«

»Dieses Unternehmen, zum Beispiel.«