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Dieses Mal lachte sie. »Schick? Wo in aller Welt kam das jetzt her? Egal. Sagen Sie nichts! Essen Sie einfach bei mir! Ich habe etwas vorbereitet, und für zwei reicht es allemal. Ich muss es nur noch aufbacken.«

»Aber dann werde ich doppelt in Ihrer Schuld stehen.«

»Und das ist genau, wo ich Sie haben will, Mylord.«

Sein Ausdruck veränderte sich; ihr Lapsus hatte alle Heiterkeit fortgewischt. Sie verfluchte sich für ihre mangelnde Umsicht. Hoffentlich verhieß diese Unachtsamkeit nicht, dass sie auch andere Dinge in seiner Gegenwart nicht für sich behalten konnte.

»Ah. Sie wissen es also«, sagte er.

Sie suchte nach einer Erklärung und entschied sich für eine, die selbst in seinen Augen plausibel klingen musste. »Als Sie gestern Abend sagten, Sie seien von Scotland Yard, wollte ich wissen, ob das stimmt. Also habe ich mich darangemacht, es herauszufinden.« Sie wandte einen Moment den Blick ab. Sie sah, dass die Möwen sich auf der nahen Klippe für die Nacht versammelten. Paarweise ließen sie sich auf Vorsprüngen und in Felsspalten nieder und sträubten die Federn, dicht zusammengedrängt gegen den Wind. »Es tut mir furchtbar leid, Thomas«, sagte sie.

Nach einem kurzen Schweigen, währenddessen weitere Möwen landeten und andere kreischend davonflogen, erwiderte er: »Sie haben keine Veranlassung, sich zu entschuldigen. Ich hätte in Ihrer Situation das Gleiche getan. Ein Fremder in Ihrem Haus, der behauptet, ein Polizist zu sein. Draußen ein Toter. Was sollten Sie da glauben?«

»Das meinte ich nicht.« Sie sah ihn wieder an. Er stand mit dem Gesicht, sie mit dem Rücken zum Wind, und trotz der Spange schlugen ihr die Haare ins Gesicht.

»Was sonst?«, fragte er.

»Ihre Frau«, antwortete sie. »Es tut mir so furchtbar leid, was mit ihr passiert ist. Grauenhaft, was Sie durchmachen mussten.«

»Ah«, sagte er. »Ja.« Sein Blick schweifte zu den Seevögeln. Daidre wusste, er betrachtete jene genauso wie sie selbst: Die Möwen schlossen sich zusammen, nicht weil sie sich in der Masse sicherer fühlten, sondern weil eine bestimmte zweite Möwe Geborgenheit versprach.

»Für sie war es noch weitaus grauenhafter als für mich«, bemerkte er.

»Nein«, entgegnete Daidre. »Das glaube ich nicht.«

»Wirklich nicht? Ich würde sagen, es gibt kaum etwas Grauenhafteres, als durch eine Schussverletzung zu sterben. Vor allem wenn der Tod nicht sofort eintritt. Das musste ich nicht durchmachen. Helen schon. Gerade steht sie noch da und versucht, ihre Einkäufe durch die Haustür zu bugsieren, und im nächsten Moment wird sie angeschossen. Ziemlich erschreckend, denken Sie nicht?« Er klang bitter, und er schaute sie nicht an, während er sprach. Aber er hatte sie missverstanden, und das wollte Daidre aufklären.

»Ich glaube, der Tod ist lediglich das Ende dieses Teils unserer Existenz, Thomas. Die menschliche Erfahrung des spirituellen Wesens. Dann verlässt der Geist den Körper und wandert zur nächsten Ebene. Und was immer diese nächste Ebene ist, sie ist besser als das hier, denn wo läge sonst der Sinn?«

»Glauben Sie das wirklich?« Sein Tonfall lag irgendwo zwischen verdrossen und ungläubig. »Himmel und Hölle und dieser ganze Unsinn?«

»Nicht Himmel und Hölle. Das kommt einem doch alles ziemlich albern vor. Gott oder wer auch immer soll da oben auf seinem Thron sitzen, die eine Seele hinabstürzen in die ewige Verdammnis, die andere emporheben, auf dass sie mit den Engelein jubiliere? Das kann es nicht sein, was all das hier zu bedeuten hat.« Sie wies über die Klippen und das Meer. »Aber dass es etwas gibt, was über das alles hier hinausgeht, was wir in diesem Moment begreifen können? Ja, daran glaube ich allerdings. Sie… Sie sind immer noch das spirituelle Wesen, das die menschliche Erfahrung durchläuft, während Ihre Frau jetzt weiß…«

»Helen«, unterbrach er. »Ihr Name war Helen.«

»Helen, ja. Entschuldigung. Helen weiß jetzt, was all das zu bedeuten hatte. Aber für Sie ist das ein schwacher Trost. Ich meine… zu wissen, dass Helen weitergezogen ist.«

»Es war nicht ihre Entscheidung«, wandte er ein.

»Ist es das denn jemals, Thomas?«

»Freitod.« Er sah ihr direkt ins Gesicht.

Sie schauderte. »Das ist kein Ausweg. Es ist eine Entscheidung, die auf der Überzeugung basiert, dass es keinen Ausweg gibt.«

»Gott.« In seiner Wange zuckte ein Muskel.

Sie bereute ihre Indiskretion bitterlich. Ein einziges Wort Mylord hatte ihn auf seinen Schmerz reduziert. So etwas brauche Zeit, wollte sie ihm sagen. Nur ein Klischee, aber es lag so viel Wahrheit darin.

Sie fragte: »Thomas, hätten Sie Lust, einen Spaziergang zu machen? Es gibt da etwas, was ich Ihnen gerne zeigen möchte. Es ist ein Stück zu laufen… vielleicht eine Meile den Küstenpfad entlang. Aber das macht uns ordentlichen Appetit aufs Abendessen.«

Sie dachte schon, er würde ablehnen, aber das tat er nicht. Stattdessen nickte er, und sie bedeutete ihm mit einer Geste, ihr zu folgen. Sie gingen in die Richtung, aus der sie gerade gekommen war, stiegen zuerst hinab in eine weitere Bucht, wo große Schieferflossen aus der Brandung ragten und sich einer tückischen Klippe aus Sandstein und Ton entgegenreckten. Der Wind und die Wellen machten das Sprechen schwierig, genau wie die Tatsache, dass sie hintereinander gingen, also sagte Daidre nichts, und auch Thomas Lynley schwieg. Es war besser so, befand Daidre. Einen Augenblick kommentarlos verstreichen zu lassen, war manchmal eine heilsamere Methode, als an eine frische Wunde zu rühren.

An einigen windgeschützten Stellen hatte der Frühling Wildblumen hervorgelockt. Der Pfad war vom Gelb des Jakobskrauts gesäumt, durchbrochen vom Rosa der Grasnelken und Erika. Traubenhyazinthen zeigten an, wo in grauer Vorzeit Wälder gestanden hatten. In unmittelbarer Nähe der Klippen, wo sie kletterten, gab es kaum Bauwerke. Doch in der Ferne duckten sich steinerne Farmhäuser neben einer Handvoll größerer Scheunen, und die dazugehörigen Rinder grasten auf Weiden, umgeben von Cornwalls typischen Hecken, in denen Wildröschen und Nabelkraut wuchsen.

Das nächstgelegene Dorf war Alsperyl, wo sich auch ihr Ziel befand. Das Örtchen bestand aus einer Kirche, dem Pfarrhaus, einer Ansammlung von Cottages, einer uralten Schule und einem Pub: allesamt aus dem typischen Stein dieser Gegend erbaut und unverputzt und etwa eine halbe Meile östlich des Küstenpfads jenseits einer buckligen Weide gelegen. Nur der Kirchturm war von ihrer derzeitigen Position aus sichtbar. Daidre zeigte in die Richtung und erklärte: »St. Morwenna. Aber wir gehen noch ein Stück weiter, wenn Sie können.«

Er nickte, und sie kam sich ob ihrer letzten Bemerkung albern vor. Er war kein Invalide; Trauer nahm einem schließlich nicht die Fähigkeit zu laufen. Sie nickte ihrerseits und führte ihn vielleicht noch zweihundert Meter weiter, wo eine Unterbrechung in der windzerzausten Heide auf der Seeseite des Pfades eine grob gehauene Steintreppe enthüllte.

»Es ist kein langer Abstieg, aber seien Sie vorsichtig«, mahnte sie. »Es ist ein tückischer Abgrund, und wir sind an die fünfzig Meter oberhalb der Wasserlinie.«

Die Treppe schmiegte sich an die Rundung der Klippe und führte zu einem weiteren schmalen Pfad, der mit Ginster und Mauerpfeffer überwuchert war, der hier trotz des Windes gedieh. Nach weiteren zwanzig Metern endete der Weg abrupt, jedoch nicht an einem plötzlichen Abgrund, wie man hätte annehmen können. Vielmehr war hier ein Unterstand in den Fels geschlagen worden. Die Vorderseite war aus dem Treibholz gesunkener Schiffe gezimmert, und die Seitenwände, die aus der Klippe ragten, waren aus kleinen Sandsteinblöcken aufgeschichtet worden. Die Holzfront war altersgrau. Die Scharniere der groben zweigeteilten Tür bluteten Rost auf die schartigen Bohlen.