»Verdammte Sache, die Liebe«, sagte Selevan.
»Ein Killer«, stimmte Jago zu.
10
Lynley betrachtete das Gertrude-Jekyll-Buch, die Fotos und Zeichnungen von Gärten, die in Frühlingsfarben leuchteten. Die Töne waren weich und beruhigend, und während er sie ansah, konnte er fast fühlen, wie es wäre, auf einer jener verwitterten Steinbänke zu sitzen und sich in der pastellfarbenen Blütenpracht zu ergehen. Gärten sollten so sein wie diese hier, dachte er. Nicht wie die formalen Parterres des elisabethanischen Zeitalters: zurechtgestutzte Büsche und beschnittene Vegetation. Sie sollten die üppige Imitation dessen sein, was die Natur hervorbringen würde, wenn alles Unkraut verbannt wäre, die übrigen Pflanzen sich jedoch frei entwickeln durften: Farbranken, die sich ungehindert auf Rasenflächen ergossen, Beeteinfassungen aus blühenden Kräutern und Pfade, die sich dazwischen hindurchschlängelten, wie sie es auch in freier Natur getan hätten. Ja, Gertrude Jekyll hatte gewusst, was sie tat.
»Sie sind wunderschön, nicht wahr?«
Lynley sah auf. Daidre Trahair stand vor ihm und streckte ihm ein Stielglas entgegen. Sie vollführte eine kleine, entschuldigende Geste, nickte auf das Glas hinab und sagte: »Ich habe nur Sherry als Aperitif. Ich glaube, er steht hier, seit ich das Cottage habe, und das sind… vier Jahre?« Sie lächelte. »Ich trinke nicht viel, darum weiß ich nicht… Kann Sherry überhaupt schlecht werden? Ehrlich gesagt, weiß ich nicht einmal, ob er trocken oder süß ist. Aber ich schätze mal, süß. Auf der Flasche stand "cream".«
»Dann ist er süß«, bestätigte Lynley. »Danke.« Er nahm das Glas. »Sie trinken keinen?«
»Meiner steht in der Küche.«
»Und Sie erlauben wirklich nicht, dass ich Ihnen helfe?« Er nickte in die Richtung, wo eben noch Küchengeräusche zu hören gewesen waren. »Ich bin nicht besonders geschickt in diesen Dingen. Ehrlich gesagt, ich bin ein hoffnungsloser Fall. Aber ich könnte vielleicht irgendetwas schnippeln. Oder abmessen. Ich darf wohl mit Fug und Recht behaupten, dass ich das reinste Genie im Abmessen mit Tassen und Löffeln bin.«
»Das tröstet mich«, antwortete sie. »Sind Sie in der Lage, einen Salat zuzubereiten, wenn alle Zutaten vor Ihnen liegen und Sie keine kritischen Entscheidungen treffen müssen?«
»Solange ich kein Dressing anrühren muss. Sie sollten mir lieber keine Essig- und Ölflaschen anvertrauen oder was immer man auch braucht, um ein Salatdressing zuzubereiten.«
»So hoffnungslos können Sie doch gar nicht sein«, entgegnete Daidckre lachend. »Ich bin sicher, Ihre Frau…« Sie brach ab. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich vermutlich, so nahm er an, weil der seine sich verändert hatte. Bedauernd senkte sie den Kopf. »Es tut mir leid, Thomas. Es ist schwierig, sie nicht zu erwähnen.«
Lynley erhob sich, das Jekyll-Buch noch immer in Händen. »Helen hätte diese Gärten geliebt«, sagte er. »In unserem Garten in London hat sie immer die verblühten Rosen zurückgeschnitten. Das fördere die Knospenbildung, hat sie gesagt.«
»Und damit hatte sie völlig recht. Mochte sie die Gartenarbeit denn?«
»Sie hielt sich gern in Gärten auf. Ich glaube, sie mochte eher die Ergebnisse als die Gartenarbeit selbst.«
»Aber Sie wissen es nicht genau?«
»Nein.« Er hatte sie nie danach gefragt. Manchmal war er nach Hause gekommen und hatte sie im Garten angetroffen, die Rosenschere in der Hand und einen Eimer mit abgeschnittenen Blüten zu ihren Füßen. Dann hatte sie ihn angesehen, sich das dunkle Haar aus dem Gesicht gestrichen und irgendetwas über Rosen gesagt, über Gärten im Allgemeinen, und was sie sagte, zwang ihn zu einem Lächeln. Und das Lächeln wiederum brachte ihn dazu, die Welt jenseits der Ziegelmauern ihres Gartens zu vergessen, eine Welt, die tunlichst vergessen und weggeschlossen werden musste, damit sie sich nicht in das Leben drängte, das er und Helen sich teilten. »Sie konnte übrigens auch nicht kochen«, erzählte er Daidre. »Sie kochte schauderhaft. Absolut grässlich.«
»Das heißt, es hat keiner von Ihnen beiden je gekocht?«
»Genau so war's. So etwas wie Eier auf Toast habe ich natürlich schon zustande gebracht, und Helen war unschlagbar darin, Konservendosen mit Suppe, Bohnen oder Räucherlachs zu öffnen, obwohl man anschließend damit rechnen musste, dass sie die Dose in die Mikrowelle stellte und einen Kurzschluss verursachte, der das ganze Haus lahmlegte. Nein, wir hatten jemanden eingestellt, der für uns gekocht hat. Das war die einzige Alternative zu Curry vom Inder an der Ecke oder Verhungern. Und kein Mensch kann Tag für Tag Curry essen.«
»Bedauerlich«, sagte Daidre. »Kommen Sie! Vielleicht können Sie von mir noch etwas lernen.«
Sie ging zurück in die Küche, und er folgte ihr. Aus einem Schrank zauberte sie eine Holzschüssel, deren Rand mit primitiven Schnitzereien von Tänzerfiguren verziert war, fand ein Schneidebrett und eine Auswahl an Lebensmitteln, die selbst für ihn allesamt leicht zu identifizieren waren und die die Grundlage für den Salat bilden sollten, drückte ihm ein Messer in die Hand und hieß ihn, sich an die Arbeit zu machen. »Werfen Sie einfach alles zusammen. Das ist das Wunderbare an einem Salat. Und wenn die Schüssel voll ist, bringe ich Ihnen bei, wie man ein schlichtes Dressing zubereitet, das auch Ihre erbärmlichen Kochkünste nicht überfordern wird. Irgendwelche Fragen?«
»Ich bin überzeugt, sie werden sich während der Entstehung dieses Werkes ergeben.«
Sie arbeiteten in einträchtigem Schweigen. Lynley bereitete den Salat zu, Daidre ein Gericht aus grünen Bohnen und Minze. Aus dem Ofen duftete es bereits nach Pastete, während irgendetwas anderes auf dem Herd vor sich hinsimmerte. Nach einer Weile war das Essen fertig, und Daidre instruierte Thomas Lynley in der Kunst des Tischdeckens. Er wäre dazu durchaus in der Lage gewesen, doch er ließ zu, dass sie es ihm vormachte; das gab ihm die Möglichkeit, sie zu beobachten und einzuschätzen.
Er war sich nur zu bewusst, welche Instruktionen DI Hannaford ihm mit auf den Weg gegeben hatte, und auch wenn ihm der Gedanke nicht gefiel, Daidre Trahairs Gastfreundschaft für seine Erkundungen zu missbrauchen, statt sie lediglich als Einladung in ihre Welt zu betrachten, so gewann der Ermittler in ihm doch die Oberhand. Also beobachtete er und wartete und blieb wachsam für etwaige Brosamen an Informationen, die er womöglich über sie würde sammeln können.
Es waren nicht viele. Daidre war äußerst umsichtig. Was an sich schon eine wertvolle Brosame war.
Sie nahmen ihr Mahl in dem winzigen Esszimmer zu sich, wo ein Stück Pappe über dem Fenster ihn daran erinnerte, dass er immer noch die Scheibe für sie reparieren musste. Daidre hatte ein Gericht zubereitet, das sie Portobello Wellington nannte, dazu gab es Kuskus mit getrockneten Tomaten, grüne Bohnen mit Knoblauch und Minze und seinen Salat, der mit Öl, Essig, Senf und italienischen Kräutern angemacht war. Wein gab es keinen, nur Zitronenwasser. Sie entschuldigte sich dafür, genau wie zuvor für den Sherry. Sie hoffe überdies, er habe nichts gegen ein vegetarisches Essen einzuwenden. Sie sei zwar keine Veganerin, erklärte sie; sie sehe weiß Gott keine Sünde darin, Tierprodukte wie Eier zu verspeisen. Aber was das Fleisch anderer Kreaturen betreffe, die diesen Planeten mit ihr teilten — das scheine ihr dann doch zu… na ja, kannibalisch. »Was immer den Tieren widerfährt, widerfährt auch den Menschen«, führte sie aus. »Alle Dinge sind miteinander verbunden.«
Irgendwie klang dies in seinen Ohren wie ein Zitat, und noch während er das dachte, erklärte sie ohne jede Verlegenheit, dass es dies tatsächlich sei. »Das sind nicht meine Worte. Ich weiß nicht mehr, wer es gesagt oder geschrieben hat, aber als ich vor Jahren zum ersten Mal darüber gestolpert bin, hatte es für mich irgendwie den Klang von Wahrheit.«