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»Aber trifft das nicht auch auf Zoos zu?«

»Sie meinen, Tiere in Unfreiheit zu halten, führe zur Unfreiheit der Menschen?«

»So ungefähr. Ich… Entschuldigen Sie, aber ich habe für Zoos nicht sonderlich viel übrig.«

»Ich auch nicht. Sie sind ein Relikt aus viktorianischen Zeiten: die kompromisslose Beschlagnahme der Natur im vermeintlichen Dienste der Forschung ohne den dazugehörigen Respekt dafür. Ich persönlich hasse Zoos, um ganz ehrlich zu sein.«

»Aber Sie haben sich dafür entschieden, in einem Zoo zu arbeiten.«

»Ich habe mich dafür entschieden, die Lebensbedingungen der Tiere zu verbessern.«

»Das System von innen zu unterwandern.«

»Es nützt mehr, als mit einem Protestplakat herumzulaufen, oder etwa nicht?«

»Etwa so, als ginge man auf Fuchsjagd und binde einen Hering an den Schweif seines Pferdes.«

»Mögen Sie Fuchsjagden?«

»Ich finde sie grauenhaft. Ich habe nur eine einzige miterlebt, an Weihnachten vor vielen Jahren. Ich muss ungefähr elf Jahre alt gewesen sein. Der gute alte Oscar Wilde hat mit seinem berühmten Tadel den Nagel wirklich auf den Kopf getroffen, auch wenn ich selbst es damals noch nicht in Worte fassen konnte. Ich wusste nur, dass es mir nicht behagte, wie eine Hundemeute einem verängstigten Tier nachjagte… und es in Stücke riss, sobald sie es aufspürte… Das war nichts für mich.«

»Das heißt, Sie haben ein Herz für die Tierwelt.«

»Ich bin jedenfalls kein Jäger, falls Sie das meinen. In grauer Vorzeit hätte ich als Mann sicherlich kläglich versagt.«

»Sie hätten es nicht fertiggebracht, plüschige Mammuts zu erlegen?«

»Ich fürchte, wäre ich ein Stammesführer gewesen, wäre die Evolution zum Stillstand gekommen.«

Sie lachte. »Sie sind wirklich drollig, Thomas!«

»Nur hin und wieder«, schränkte er lächelnd ein. »Erzählen Sie mir, wie Sie das System unterwandern.«

»Im Zoo? Nicht so effektiv, wie ich es gern täte.« Sie füllte sich grüne Bohnen auf, reichte ihm die Schüssel und sagte: »Nehmen Sie noch etwas! Das Rezept stammt von meiner Mutter. Das Geheimnis liegt in der Zubereitung der Minze. Man schmort sie gerade so lange in Olivenöl, bis sie weich wird. So entfaltet sich der Geschmack am besten.« Sie kräuselte die Nase. »Oder so was in der Art. Wie auch immer, die Bohnen darf man jedenfalls nur fünf Minuten lang kochen. Sonst werden sie matschig, und das darf auf keinen Fall passieren.«

»Es gibt nichts Schlimmeres als matschige Bohnen«, pflichtete er ihr bei und tat sich eine weitere Portion auf. »Kompliment an Ihre Mutter. Es schmeckt hervorragend. Sie haben ihr alle Ehre gemacht. Wo wohnt Ihre Mutter eigentlich? Meine lebt ein Stück südlich von Penzance, unweit von Lamorna Cove. Und ich fürchte, ihre Kochkünste sind gleichermaßen unterentwickelt wie meine.«

»Ach, Sie stammen aus Cornwall?«

»Mehr oder minder. Und Sie?«

»Ich bin in Falmouth aufgewachsen.«

»Auch dort geboren?«

»Ich… na ja, annähernd. Ich war eine Hausgeburt, und meine Eltern lebten damals ein Stück weit außerhalb von Falmouth.«

»Eine Hausgeburt? Wie außergewöhnlich«, bemerkte Lynley. »Ich wurde übrigens auch zu Hause geboren. Wir alle.«

»Sicherlich in gediegenerer Umgebung als ich«, erwiderte Daidre. »Wie viele Geschwister sind Sie denn, alle zusammen?«

»Drei. Ich bin der Mittlere. Ich habe eine ältere Schwester, Judith, und einen jüngeren Bruder, Peter. Und Sie?«

»Ich habe einen Bruder. Lok.«

»Ungewöhnlicher Name.«

»Er ist Chinese. Wir haben ihn adoptiert, als ich siebzehn war.« Sie schnitt einen säuberlichen kleinen Keil vom Portobello Wellington und balancierte ihn auf ihrer Gabel, während sie fortfuhr: »Er war damals sechs. Inzwischen studiert er Mathematik in Oxford. Er ist ein wahres Superhirn.«

»Wie kam es, dass Ihre Familie ihn adoptiert hat?«

»Wir haben ihn im Fernsehen gesehen in einer Doku auf BBC über chinesische Waisenhäuser. Er war dorthin gekommen, weil er Spina bifida hat. Seine Eltern glaubten wohl, er würde sie im Alter nicht versorgen können — obwohl ich das nicht sicher weiß, ehrlich gesagt, und sie selbst hatten nicht das nötige Kleingeld, um ihn zu versorgen. Also haben sie ihn abgegeben.«

Lynley betrachtete sie. Sie erschien ihm vollkommen ungekünstelt. Alles, was sie sagte, ließe sich problemlos überprüfen. Und doch…

»Das "Wir" gefällt mir«, sagte er.

Sie hatte eine Gabel voll Salat aufgespießt, doch nun verharrte ihre Hand auf halbem Weg zum Mund, und ihr Gesicht rötete sich. »Das "Wir"?«, wiederholte sie, und Lynley ging auf, sie glaubte, er spräche von ihnen beiden, von diesem Moment, da sie hier zusammen an ihrem kleinen Esstisch saßen. Bevor ihm selbst die Röte ins Gesicht steigen konnte, führte er aus: »Sie haben gesagt:  "Wir haben ihn adoptiert." Das gefällt mir.«

»Ach so. Nun ja, es war eine Familienentscheidung. Wichtige Entscheidungen haben wir immer gemeinsam getroffen. Sonntagnachmittags hielten wir Familienrat, gleich nach dem Roastbeef und dem Yorkshire Pudding.«

»Ihre Eltern waren also keine Vegetarier?«

»Um Himmels willen, nein. Es gab Fleisch und Gemüse. Lamm, Schwein oder Rind jeden Sonntag. Manchmal Hähnchen. Dazu Rosenkohl. Mein Gott, wie ich Rosenkohl hasse! Habe ich immer schon und werde ich für alle Zeiten zu Tode gekocht, genau wie Möhren und Blumenkohl.«

»Nur die Bohnen nicht.«

»Bohnen?« Sie sah ihn verständnislos an.

»Sie sagten, Ihre Mutter habe Ihnen beigebracht, wie man grüne Bohnen kocht.«

Ihr Blick streifte die Schüssel, in der noch zehn oder zwölf Bohnen lagen. »Ach so, ja. Die Bohnen. Das war nach ihrem Kochkurs. Mein Vater hat irgendwann seine Liebe zur mediterranen Küche entdeckt, und meine Mutter dachte, es müsse doch noch irgendetwas anderes als Spaghetti Bolognese geben, also hat sie sich auf die Suche gemacht.«

»In Falmouth?«

»Genau. Wie gesagt, dort bin ich aufgewachsen.«

»Sind Sie dort auch zur Schule gegangen?«

Sie sah ihn offen an. Ihr Ausdruck war freundlich, sie lächelte, aber ihr Blick war wachsam. »Ist das hier ein Verhör, Thomas?«

Er hob beide Hände zu einer Geste, die Aufrichtigkeit ebenso wie Kapitulation ausdrücken sollte. »Tut mir leid. Berufsrisiko. Erzählen Sie mir mehr über Gertrude Jekyll.« Einen Moment lang zweifelte er, ob sie der Bitte entsprechen würde. »Ich habe gesehen, dass Sie mehrere Bücher über sie haben«, fügte er hinzu, um sie zu ermuntern.

»Sie ist sozusagen die Antithese zu Capability Brown«, antwortete sie, nachdem sie einen Moment überlegt hatte. »Ihr war bewusst, dass nicht jeder Gartenfreund ein weitläufiges Gelände zur Verfügung hatte. Das gefällt mir an ihr. Ich hätte selbst gern einen Jekyll-Garten, aber vermutlich bin ich hier zu Heide- und Wildkräutern verdammt. Bei diesem Wind und dem ruppigen Wetter… Na ja, in manchen Dingen muss man eben praktisch denken.«

»In anderen nicht?«

»Absolut.« Sie hatten beide ihre Mahlzeit beendet, und Daidre stand auf, um den Tisch abzuräumen. Wenn seine vielen Fragen sie verärgert hatten, wusste sie es gut zu verbergen, denn sie lächelte und hieß ihn, ihr zu folgen, weil er ihr beim Abwasch helfen sollte. »Und danach werde ich Ihre Seele läutern und Sie fix und fertig machen. Natürlich nur im metaphorischen Sinne.«

»Und wie gedenken Sie das zu bewerkstelligen?«

»An nur einem Abend, meinen Sie?« Sie nickte in Richtung Wohnzimmer. »Mit einer Partie Darts«, erklärte sie. »Ich muss für ein Turnier trainieren. Auch wenn ich annehme, dass Sie kein ernstzunehmender Gegner sein werden, sind Sie doch immer noch besser als gar kein Gegner.«