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»Was muss ich tun, damit du mir verzeihst?«

Sie schüttelte den Kopf, setzte zurück und fuhr ohne ein weiteres Wort davon. Aber sie war nicht in der Lage, seine Frage aus ihrem Kopf zu verbannen.

So war sie also geneigt, ungnädig zu Sergeant Collins und Constable McNulty zu sein, als sie endlich die Polizeiwache betrat, aber die beiden erbärmlichen Tröpfe machten es ihr doch tatsächlich unmöglich, ihnen mit Verärgerung zu begegnen. Collins hatte es irgendwie geschafft, in ihrer Abwesenheit Initiative zu ergreifen, und hatte die Hälfte der Taucherstaffel ausgeschickt, um die Umgebung von Polcare Cove in einem Dreimeilenradius zu durchkämmen und herauszufinden, ob irgendeiner der Bewohner der verstreuten Weiler oder Farmen etwas Berichtenswertes zu Protokoll geben konnte. Den restlichen Beamten hatte er aufgetragen, Hintergrundinformationen zu allen Personen zusammenzutragen, die bislang mit dem Verbrechen in Verbindung standen: die Kernes — insbesondere Ben Kernes finanzielle Situation und die Frage, ob das Ableben seines Sohnes irgendeinen Einfluss auf diese Situation hatte, Madlyn Angarrack, ihre Familie, Daidre Trahair, Thomas Lynley und Alan Cheston. Sie alle würden ihre Fingerabdrücke nehmen lassen müssen. Die Kernes waren überdies davon in Kenntnis gesetzt worden, dass in Truro nun alles bereit sei für die formelle Identifizierung von Santos Leichnam.

Derweil hatte Constable McNulty sich mit Santo Kernes Computer beschäftigt. Als Bea eintraf, war er gerade dabei, die gelöschten E-Mails zu sichten. (»Das wird etliche Stunden dauern«, teilte er ihr mit. Er hoffte wohl, sie würde erwidern, er solle sich die Mühe sparen, was sie jedoch nicht zu tun gedachte.) Zuvor hatte er dem Computer einige Dateien entlockt, die weitere T-Shirt-Designs zu enthalten schienen.

McNulty hatte sie in Kategorien unterteilt: örtliche Unternehmen, deren Namen er kannte, vornehmlich Pubs, Hotels und Surfshops. Dann Rockbands, sowohl berühmte als auch völlig obskure, und Events — von Musikfestivals bis hin zu Kunstmessen. Und zu guter Letzt eine Handvoll Entwürfe, bei denen er "so ein komisches Gefühl" hatte, was Bea vermuten ließ, dass er schlicht und ergreifend keine Ahnung hatte, was sie darstellten. Doch da irrte sie sich.

Der erste fragwürdige Entwurf war von LiquidEarth — ein Name, den Bea bereits auf einem Rechnungsformular in Santo Kernes Wagen gesehen hatte. Das sei die Firma eines Surfbrettbauers, erklärte McNulty. Der Inhaber heiße Lewis Angarrack.

»Verwandt mit Madlyn Angarrack?«, hakte sie nach.

»Ihr Vater.«

Das war interessant. »Und was ist mit den anderen?«

Cornish Gold war der zweite Entwurf, den er aussortiert hatte. Eine Obstfarm, wo Cider produziert wurde, berichtete McNulty.

»Und wieso liegt das auf diesem Stapel?«

»Es ist das einzige Unternehmen außerhalb von Casvelyn«, antwortete er. »Ich dachte, es könnte sich vielleicht lohnen, der Sache nachzugehen.«

McNulty war vielleicht doch kein völliger Blindgänger, wie sie anfangs geglaubt hatte. »Und der Letzte?« Sie betrachtete den Entwurf. Er schien zweiseitig angelegt zu sein. Die Vorderseite lautete: "Sei subversiv". Der Schriftzug stand über einem Mülleimer, sodass man auf alle möglichen Gedanken kommen konnte, von Bomben auf offener Straße bis hin zur Durchsuchung der Mülltonnen von Promis, um so vielleicht an irgendwelche Informationen zu gelangen, die man der Boulevardpresse verkaufen konnte. Doch die Rückseite klärte alles auf: "Iss für nix!", riet eine niedliche Comicfigur, die an Dickens' kleine Diebe in Oliver Twist erinnerte und die mit dem Finger auf einen weiteren Mülleimer zeigte, der ausgekippt worden war, sodass der Inhalt sich auf die Straße ergoss.

»Was, glauben Sie, hat das zu bedeuten?«, fragte Bea Constable McNulty.

»Keine Ahnung«, gestand er. »Aber es schien mir wert, es unter die Lupe zu nehmen, denn es hat nichts mit einer Firma zu tun wie die anderen. Wie gesagt, ich hatte so 'n komisches Gefühl. Was man nicht identifizieren kann, muss man untersuchen.«

Der letzte Satz klang wie ein Zitat aus einem Lehrbuch. Es war das erste Mal, dass sie ihn etwas Kluges hatte sagen hören. Das machte ihr Hoffnung. »Vielleicht haben Sie ja doch eine Zukunft in diesem Geschäft«, bemerkte sie.

Der Gedanke schien ihn nicht sonderlich zu beglücken.

Tammy war an diesem Morgen noch schweigsamer als gewöhnlich, und das beunruhigte Selevan Penrule. Sie war ohnehin ein stilles Wasser, aber diese völlige Zugeknöpftheit hatte er bislang noch nie an ihr beobachtet. Bis jetzt war es dem Großvater immer so vorgekommen, als wäre das Mädchen einfach unnatürlich ruhig — ein weiterer Hinweis darauf, dass mit ihm irgendetwas nicht stimmte, denn in seinem Alter sollte es nicht ruhig sein. Es sollte eigentlich immerzu aufgeregt sein: wegen seiner Haut, seiner Figur, der richtigen Kleidung, des perfekten Haarschnitts und ähnlichen Unfugs. Aber heute Morgen sah Tammy so aus, als wälzte sie ein Problem. Selevan glaubte, genau zu wissen, worum es sich dabei handelte.

Er überlegte, wie er vorgehen sollte. Er dachte an seine Unterhaltung mit Jago Reeth und daran, was Jago gesagt hatte: dass man junge Leute lenken müsse, ohne sie dabei herumzukommandieren. Trotz Selevans gestriger Reaktion »Du hast gut reden, Kumpel!« musste er zugeben, dass Jagos Worte vernünftig klangen. Denn wo, bitte schön, lag der Sinn, einer Heranwachsenden seinen Willen aufzuzwingen, wenn diese Heranwachsende durchaus einen eigenen Willen besaß? Es war schließlich nicht so, dass alle Menschen immerfort so leben sollten wie ihre Eltern, oder etwa doch? Denn dann würde die Welt sich niemals mehr verändern, sich nicht weiterentwickeln, und sie wäre wahrscheinlich nicht mehr im Geringsten interessant. Eine endlose Wiederholung, Generation um Generation. Andererseits… War das denn wirklich so schlecht?

Selevan wusste es nicht. Was er indessen wusste, war, dass er selbst tatsächlich genau das Gleiche getan hatte wie seine Eltern entgegen seinen eigenen Wünschen und nur aufgrund einer tückischen Laune des Schicksals. Sein Vater war erkrankt, und Selevan hatte pflichtschuldig die Milchviehzucht übernommen, der er als junger Mann doch nur schnellstmöglich hatte entfliehen wollen. Er hatte das immer als unfair empfunden, und jetzt fragte er sich, wie fair sie alle Tammy gegenüber waren, indem sie ihre Wünsche missachteten.

Was wäre allerdings, wenn ihre Wünsche gar nicht ihre Wünsche wären, sondern nur die Folge ihrer Ängste? Auf diese Frage brauchte er dringend eine Antwort. Aber sie würde nur dann beantwortet werden, wenn die Frage auch gestellt würde.

Doch erst einmal musste er sich in Geduld üben. Er musste das Versprechen einlösen, das er ihr und ihren Eltern gegeben hatte und ihren Rucksack durchsuchen, bevor er sie zur Arbeit fuhr. Sie ließ es resigniert über sich ergehen. Schweigend sah sie ihm dabei zu. Er spürte ihren Blick auf sich, während er ihre Habseligkeiten auf der Suche nach verbotenen Gegenständen durchkämmte. Nichts. Eine karge Brotzeit. Ein Portemonnaie mit den fünf Pfund, die er ihr vor zwei Wochen als Taschengeld gegeben hatte. Lippenbalsam und ihr Adressbuch. Er fand auch ein Taschenbuch und wollte es schon als Beweismittel sicherstellen. Doch der Titel In den Schuhen des Fischers deutete darauf hin, dass sie endlich über Cornwall und ihre Herkunft las, also gab er ihr das Buch zurück. Dann reichte er ihr den Rucksack und grummelte: »Sorg dafür, dass es so bleibt.« Erst da fiel ihm auf, dass sie etwas trug, was er noch nie an ihr gesehen hatte. Kein neues Kleidungsstück — sie war noch immer von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, wie Queen Victoria nach Prinz Alberts Tod. Aber sie trug etwas um den Hals. Und zwar unter dem Pullover, sodass er davon nur ein Stück grüne Kordel sah.

»Was ist das denn?«, fragte er und zog es hervor. Es war keine Kette, erkannte er. Oder aber die merkwürdigste Kette, die er je gesehen hatte. Sie war nicht geschlossen, und die beiden losen Enden waren mit kleinen Stoffquadraten versehen, die mit einem verschnörkelten "M" und einer goldenen Krone darüber bestickt waren. Selevan betrachtete die Stoffquadrate argwöhnisch. »Was ist das?«, wiederholte er.