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»Entschuldigen Sie Mr. Angarrack?« Im selben Moment begann hinter einer geschlossenen Tür ein elektrisch betriebenes Werkzeug zu heulen.

»Das ist er nicht«, raunte Constable McNulty ihr von hinten zu. »Das da nebenan, das wird er wohl sein.«

Das da, schloss Bea, meinte offenbar, dass Lewis Angarrack derjenige war, der das Werkzeug betrieb, das den Radau verursachte. Während sie zu diesem Ergebnis kam, drehte der ältere Mann sich um. Sein Gesicht war tief gefurcht; seine Brille wurde von einem Stück Draht zusammengehalten.

»Tut mir leid, ich kann das hier gerade nicht unterbrechen.« Er nickte auf seine Arbeit hinab. »Aber kommen Sie nur rein. Sie sind von der Polizei?«

Da McNulty Uniform trug, war dieser Schluss naheliegend. Bea hingegen trat auf ihn zu, hinterließ Fußspuren auf dem Boden, der mit einer Schicht aus Kunststoffstaub bedeckt war, und zückte ihren Dienstausweis. Er warf einen flüchtigen Blick darauf, nickte und stellte sich als Jago Reeth vor. Der Kunstharzgießer. Er sei gerade dabei, die letzte Harzschicht auf ein neues Brett aufzubringen, und die müsse er glätten, ehe sie zu trocknen begann, sonst hätte er später beim Schleifen ein mächtiges Problem. Doch sobald er fertig sei, habe er Zeit, mit ihnen zu reden, wenn sie das wünschten. Sei es indes Lew, den sie suchten: Der schleife nebenan gerade die Rails eines Boards, und dabei sei er gern ungestört, da er es am liebsten in einem einzigen Arbeitsdurchgang mache.

»Wir werden uns ausdrücklich für die Unterbrechung entschuldigen«, versicherte Bea. »Könnten Sie ihn bitte holen? Oder sollen wir…?« Sie zeigte auf die Tür, hinter der das Kreischgeräusch andauerte und darauf hindeutete, dass ein weiteres Surfbrett Gestalt annahm.

»Warten Sie 'n Moment«, bat Jago. »Lassen Sie mich das hier auftragen. Dauert keine fünf Minuten, aber ich kann die Arbeit wirklich nicht unterbrechen.«

Sie sahen ihm zu, während er den Plastikeimer leerte. Das Harz breitete sich zäh aus, formte einen kleinen See, der sich der Kontur des Surfbretts anpasste, und Jago nahm einen Pinsel zur Hand, um es gleichmäßig zu verteilen. Wieder fiel Bea auf, wie stark seine Hände zitterten. Er schien ihre Gedanken in ihrem Blick zu lesen.

»Viele gute Jahre hab ich nicht mehr vor mir«, bemerkte er. »Ich hätte die großen Wellen nehmen sollen, solange ich noch dazu in der Lage war.«

»Sie surfen selber?«, fragte Bea.

»Heutzutage nicht mehr. Das wäre Selbstmord.« Über das Brett gebeugt, sah er zu ihr auf. Die Augen hinter den Brillengläsern die ebenfalls mit weißem Staub bedeckt waren waren klar und scharf, trotz seines Alters. »Sie sind wegen Santo Kerne hier, nehme ich an. War also Mord, he?«

»Ach, das wissen Sie bereits?«, hakte Bea nach.

»Ich wusste's nicht«, entgegnete er. »Hab's mir nur gedacht.«

»Wieso?«

»Weil Sie hier sind. Warum sollten Sie herkommen, wenn es nicht Mord war? Oder machen Sie eine Runde, um jedem zu kondolieren, der den Jungen kannte?«

»Zählen Sie dazu?«

»Ja«, antwortete er. »Nicht lange, aber ich kannte ihn. Vielleicht sechs Monate. Seit ich für Lew arbeite.«

»Sie wohnen also noch nicht lange hier in der Stadt?«

Er zog mit dem Pinsel einen schwungvollen Strich über die gesamte Länge des Bretts. »Ich? Nein. Dieses Mal bin ich aus Australien gekommen. Ich bin seit Ewigkeiten immer der Saison nachgereist.«

»Dem Sommer oder dem Surfen?«

»Ist an vielen Orten ein und dasselbe. An anderen ist es der Winter. Es werden immer und überall Leute gebraucht, die Boards bauen können. Und da komm ich ins Spiel.«

»Ist es hier nicht noch ein bisschen früh dafür?«

»Überhaupt nicht. Nur noch ein paar Wochen. Gerade jetzt werd ich am meisten gebraucht, denn vor Saisonbeginn kommen die Bestellungen rein. Dann, während der Saison, werden die Bretter beschädigt und müssen repariert werden. Newquay, North Shore, Queensland oder Kalifornien ich hab überall gearbeitet. Früher bin ich direkt nach der Arbeit surfen gegangen. Manchmal auch schon vor der Arbeit.«

»Aber heute nicht mehr.«

»Du meine Güte, nein. Das würde mich ziemlich sicher umbringen. Übrigens hat Santos Vater immer geglaubt, es würde den Jungen eines Tages umbringen, wussten Sie das? Aber er ist ein Idiot. Surfen ist ungefährlicher, als die Straße zu überqueren. Und es bringt die jungen Leute raus an die frische Luft und in die Sonne.«

»So wie das Klettern in den Klippen«, bemerkte Bea.

Jago warf ihr einen düsteren Blick zu. »Sie sehen ja, was ihm dabei passiert ist.«

»Sie kennen die Kernes also?«

»Santo. Wie ich schon sagte. Die anderen nur vom Hörensagen. Ich weiß nur, was Santo erzählt hat. Das ist alles.« Er legte den Pinsel in den Eimer, den er zuvor unter das Brett geschoben hatte, und dann nahm er sein Werk in Augenschein, ging hinter dem Board in die Hocke, um es vom Ende bis zur Spitze zu begutachten. Dann erhob er sich und trat an die Tür, hinter der ein neues Brett geformt wurde. Schob sich durch einen schmalen Spalt und schloss sie hinter sich. Gleich darauf verstummte das heulende Gerät.

Constable McNulty sah sich um, und zwischen seinen Augenbrauen hatte sich eine Falte gebildet, als dächte er angestrengt darüber nach, was er hier zu sehen bekam. Bea hatte keine Ahnung von der Herstellung von Surfbrettern, also fragte sie: »Was?«, und er tauchte aus seinen Gedanken auf.

»Irgendetwas…«, antwortete er. »Ich weiß noch nicht so richtig.«

»Hat es mit dieser Werkstatt zu tun? Mit Reeth? Mit Santo? Seiner Familie? Was?«

»Bin nicht sicher.«

Sie stieß hörbar die Luft aus. Wahrscheinlich würde der Mann ein verdammtes Ouijabrett brauchen.

Lew Angarrack betrat den Raum. Genau wie Jago Reeth trug auch er einen Overall aus steifem Papier, der perfekt zu seiner restlichen Erscheinung passte: Er war von Kopf bis Fuß weiß. Sein dichtes Haar hätte jede Farbe haben können — wahrscheinlich war es grau meliert, denn er schien auf die fünfzig zuzugehen, aber momentan sah er so aus, als trüge er eine Juristenperücke, so dicht war er mit Polystyrolstaub bepudert. Der Staub hatte sich wie eine dünne Patina auch auf seine Stirn und Wangen gelegt. Nur Mund und Augen waren frei davon, was wohl an der Schutzmaske und -brille lag, die um seinen Hals baumelten.

An ihm vorbei konnte Bea das Brett sehen, an dem er gerade gearbeitet hatte. Gleich dem, welches der Kunstharzgießer beschichtet hatte, lag es über zwei hohen Holzböcken: geformt aus einem Hartschaumblock, der durch eine längslaufende Holzleiste in zwei Hälften gespalten schien. Weitere Hartschaumblöcke standen aufgereiht an der Wand des Zuschnittraums. Eine weitere Wand, sah Bea aus dem Augenwinkel, beherbergte Regale mit Werkzeugen: Hobel, Schleifmaschinen und Feilen.

Angarrack war kein hochgewachsener Mann, nicht viel größer als Bea selbst. Aber sein Oberkörper wirkte kompakt, und Bea nahm an, er war sehr kräftig. Jago Reeth hatte ihn vermutlich über das Auftauchen der Polizeibeamten ins Bild gesetzt, aber ihre Anwesenheit schien Angarrack nicht zu beunruhigen. Er wirkte nicht einmal überrascht. Oder schockiert oder bekümmert.

Bea stellte sich selbst und Constable McNulty vor und erkundigte sich, ob sie ihm einige Fragen stellen dürften.

»Reine Höflichkeit, dass Sie fragen, oder?«, entgegnete er knapp. »Sie sind extra hier rausgekommen, also nehme ich an, das bedeutet, dass Sie mir Ihre Fragen stellen werden, ob ich nun will oder nicht.«

Bea ging nicht darauf ein. »Vielleicht können Sie uns währenddessen herumführen?«, schlug sie vor. »Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, wie Surfboards gebaut werden.«

»Man nennt es "Shaping"«, mischte Jago Reeth sich ein. Er hatte sich in eine Ecke des Ladens zurückgezogen.

»Es gibt nicht viel zu sehen«, sagte Angarrack. »Shaping, Lackieren, Versiegeln, Schleifen. Für jeden Arbeitsschritt habe ich einen Raum.« Er wies mit dem Daumen zur Lackiererwerkstatt hinüber. Die Tür stand offen, aber der Raum war unbeleuchtet. Angarrack legte einen altmodischen Lichtschalter um, und nach und nach sprangen grelle Deckenlampen an. Jetzt konnte Bea erkennen, dass auch dort ein Holzbock stand. Noch lag kein Surfboard darauf bereit. Allerdings waren an der Wand fünf Bretter aufgereiht, die offenbar lackiert werden mussten.