»Sie machen auch die künstlerische Gestaltung?«, fragte Bea.
»Nicht ich persönlich. Ein alter Bekannter hat eine Zeit lang die Designs für mich gemacht, bis er weitergezogen ist. Dann hat Santo das übernommen, sozusagen als Bezahlung für das Board, das er sich ausgesucht hatte. Aber jetzt suche ich jemand Neues.«
»Weil Santo gestorben ist?«
»Nein. Ich hatte ihn schon vorher rausgeworfen.«
»Warum?«
»Aus Solidarität, würde man wohl sagen.«
»Mit wem?«
»Mit meiner Tochter.«
»Santos Freundin.«
»Das war sie eine Zeit lang. Aber diese Zeit war vorüber.« Er schritt zurück in den Verkaufsraum, wo hinter der Ladentheke zwischen Katalogen und einem Klemmbrett voller Formulare und Surfbrettplänen ein Wasserkocher auf einem Klapptisch stand. Angarrack stöpselte den Wasserkocher ein und fragte: »Kann ich Ihnen was anbieten?«, und als sie ablehnten, rief er: »Jago?«
»Schwarz und stark«, antwortete Jago.
»Erzählen Sie uns von Santo Kerne«, bat Bea, während Lew sich an dem Instantkaffee zu schaffen machte. Er löffelte reichlich in einen Becher und war sparsamer bei einem zweiten.
»Er hat ein Board bei mir gekauft. Vor zwei Jahren. Er hatte die Surfer am Strand unweit des Hotels gesehen und wollte das auch lernen. Zuerst war er unten bei Clean Barrel…«
»Der Surfladen«, murmelte McNulty, als glaubte er, Bea brauchte einen Übersetzer.
»… aber Will Mendick — ein Typ, der da gearbeitet hat — hat ihm wohl empfohlen, sich an mich zu wenden. Ich gebe hin und wieder ein paar Bretter bei Clean Barrel in Kommission, aber nicht viele.«
»Man verdient ja nichts mehr, wenn man den Profit mit einem Händler teilen muss«, grollte Jago von hinten.
»Nur zu wahr«, bestätigte Angarrack. »Jedenfalls hatte Santo dort ein Brett gesehen, das ihm gefiel. Aber es war zu schwierig für ihn, auch wenn er das damals noch nicht wusste. Ein Shortboard. Ein Thruster, mit drei Finnen. Er hatte sich das Brett zeigen lassen, aber Will wusste, dass er das Surfen darauf nicht gut würde lernen können — wenn er's denn überhaupt lernen würde. Also hat er ihn zu mir geschickt. Ich habe Santo ein leichteres Board gebaut: breiter, länger und mit nur einer Finne. Und Madlyn — das ist meine Tochter — hat ihn unterrichtet.«
»So hat es mit den beiden also angefangen.«
»Im Grunde genommen. Ja.«
Der Wasserkocher schaltete sich aus. Angarrack goss das Wasser in die Becher, rührte um und sagte über die Schulter: »Hier ist dein Kaffee, Kumpel.« Jago Reeth trat zu ihnen, nahm den Kaffee entgegen und schlürfte geräuschvoll den ersten Schluck.
»Wie standen Sie dazu?«, fragte Bea. »Zu der Beziehung der beiden?« Sie sah, dass Jago Lew nicht aus den Augen ließ. Interessant, dachte sie und setzte beide Namen auf ihre imaginäre Liste.
»Um ehrlich zu sein, es hat mir nicht gefallen. Sie hat darüber ihr Ziel aus den Augen verloren. Früher hat sie immer auf etwas hingearbeitet. Die Landesmeisterschaft. Internationale Wettbewerbe. Doch als sie Santo kennengelernt hat, spielte das alles auf einmal keine Rolle mehr. Es gab nur noch Santo für sie.«
»Die erste Liebe«, kommentierte Jago. »Kann sehr schmerzhaft sein.«
»Sie waren beide zu jung«, befand Angarrack. »Nicht einmal siebzehn, als sie sich begegnet sind. Keinen Schimmer, wie alt sie waren, als sie sich zum ersten Mal…« Er vollführte eine Geste, die ihnen bedeutete, den Satz selbst zu beenden.
»Geliebt haben«, schlug Bea vor.
»In dem Alter hat das nichts mit Liebe zu tun«, entgegnete Angarrack. »Jedenfalls nicht bei den Jungs. Bei ihr war das anders. Leuchtende Augen und Watte im Hirn. Santo hier, Santo da. Ich wünschte, ich hätte etwas tun können, um es zu verhindern.«
»Das ist nun mal der Lauf der Welt, Lew.« Jago lehnte im Türrahmen zur Gießerwerkstatt, den Kaffeebecher mit beiden Händen umschlossen.
»Ich habe ihr nicht verboten, sich mit ihm zu treffen«, fuhr Angarrack fort. »Was hätte das schon genützt? Aber ich habe ihr eingeschärft, vorsichtig zu sein.«
»In welcher Hinsicht?«
»Das liegt doch wohl auf der Hand. Schlimm genug, dass sie an keinen Wettkämpfen mehr teilnahm. Aber was, wenn sie schwanger geworden wäre oder Schlimmeres.«
»Schlimmeres?«
»Wenn sie sich eine Krankheit eingefangen hatte.«
»Oh. Das hört sich an, als hielten Sie den Jungen für promiskuitiv.«
»Ich habe keine Ahnung, was er war, aber ich wollte es auch nicht herausfinden, indem ich Madlyn in irgendwelche Schwierigkeiten hineingeraten ließ — ganz egal welcher Art. Also habe ich sie gewarnt, und dann hab ich sie gewähren lassen.« Bislang hatte Angarrack seinen Kaffee nicht angerührt, doch jetzt hob er den Becher und trank einen großen Schluck. »Das war wahrscheinlich ein Fehler.«
»Warum? Ist sie…«
»Sie wäre schneller über ihn hinweggekommen, wenn es früher aus gewesen wäre. Aber so, wie die Dinge dann gelaufen sind, ist sie eben nicht über ihn hinweggekommen.«
»Ich schätze, jetzt wird sie es«, warf Bea ein.
Die beiden Männer tauschten einen Blick. Schnell, beinahe verstohlen. Bea bemerkte es trotz alledem und versah auf der imaginären Liste ihre beiden Namen mit einem nachdrücklichen Ausrufezeichen.
»Auf Santos Computer haben wir ein T-Shirt-Design für LiquidEarth gefunden.« Constable McNulty zückte den Ausdruck und reichte ihn an Lew Angarrack weiter. »Hatten Sie ihn damit beauftragt?«, fragte Bea.
Er schüttelte den Kopf. »Als Madlyn mit Santo Schluss gemacht hat, habe ich ebenfalls mit Santo Schluss gemacht. Vielleicht wollte er mit dem Design sein neues Board abbezahlen…«
»Noch ein Board?«
»Aus dem ersten war er längst herausgewachsen. Er brauchte ein neues, kein Anfängerbrett mehr, wenn er sich weiterentwickeln wollte. Aber nachdem ich ihn rausgeworfen hatte, hatte er keinerlei Möglichkeiten, dieses Brett zu bezahlen. Vielleicht deshalb dieser Entwurf.« Er gab McNulty das Blatt zurück.
»Zeigen Sie ihm das andere«, befahl Bea dem Constable, und McNulty förderte den "Sei subversiv!"-Entwurf zutage. Lew warf einen Blick darauf und schüttelte den Kopf. Er reichte ihn weiter an Jago, der mit den Fingerknöcheln seine Brille zurechtschob, das Blatt betrachtete und sagte: »Will Mendick. Das war für ihn.« »Der junge Mann vom Clean-Barrel-Surfshop?«, vergewisserte sich Bea.
»Das war einmal. Jetzt arbeitet er im Blue-Star-Supermarkt.«
»Was hat dieser Entwurf zu bedeuten?«
»Er ist Freeganer. So nennt er sich jedenfalls. Hat zumindest Santo mal gesagt.«
»Freeganer? Das habe ich noch nie gehört.«
»Er isst nur, was er umsonst bekommt. Zeug, das er anbaut, oder was er in den Müllcontainern vom Supermarkt oder hinter den Restaurants findet.«
»Wie appetitlich! Ist das irgendeine Bewegung oder so was?«
Jago zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Aber er und Santo waren befreundet, glaube ich, also war es vielleicht eine Gefälligkeit. Das Logo, meine ich.«
Bea hörte mit Zufriedenheit, dass Constable McNulty all das eifrig mitschrieb, statt die Surfposter an den Wänden zu begaffen. Weit weniger zufrieden war sie, als er Jago plötzlich fragte: »Haben Sie je eine der ganz großen Wellen gesehen?« Er errötete leicht, während er sprach, so als wüsste er ganz genau, dass er einen Fehltritt beging, könnte sich aber einfach nicht zurückhalten.
»Ja sicher. Ke Iki. Waimea. Jaws. Teahupoo.«
»Sind sie wirklich so gigantisch, wie es immer heißt?«