Выбрать главу

Pete tastete nach dem Türgriff, doch sie hielt ihn zurück: »Du wartest hier.«

»Aber ich will doch sehen…«

»Pete, du hast mich gehört. Warte hier! Dein Vater ist unterwegs. Wenn er herkommt, und du bist nicht im Auto… Muss ich mehr sagen?«

Pete warf sich zurück in den Sitz, seine Miene missmutig. »Ich will doch nur mal kurz gucken! Und außerdem bin ich heute gar nicht dran, bei Dad zu schlafen.«

Ah. Da hatten sie's. Er verstand es, den perfekten Moment zu wählen genau wie sein Vater. »Flexibilität, Pete«, sagte sie. »Wie du weißt, ist sie der Schlüssel zu jedem Spiel, und das gilt auch für das Spiel des Lebens. Und jetzt warte hier.«

»Aber, Mum…«

Sie zog ihn an sich und verpasste ihm einen ruppigen Kuss auf die Schläfe. »Du wartest«, befahl sie.

Ein Klopfen am Wagenfenster ließ sie herumfahren. Ein Constable in Regenkleidung stand dort draußen, Wassertropfen in den Wimpern und eine Taschenlampe in der Hand. Die Taschenlampe war nicht eingeschaltet, aber bald würden sie sie brauchen. Bea stieg aus, schloss den Reißverschluss ihrer Jacke gegen den stark böigen Wind und den Regen, zog die Kapuze hoch und stellte sich vor: »Detective Inspector Hannaford. Was haben wir?«

»Einen Jugendlichen. Tot.«

»Ist er gesprungen?«

»Nein. Er war klettern. Ich schätze, er ist beim Abseilen gestürzt. Das Grigri klemmt noch am Seil.«

»Wer ist drüben im Cottage? Da steht ein Streifenwagen.«

»Der diensthabende Sergeant von Casvelyn. Er vernimmt die beiden, die den Toten gefunden haben.«

»Bringen Sie mich hin. Wer sind Sie überhaupt?«

Er stellte sich als Mick McNulty vor, Constable der Polizeiwache Casvelyn. Ein Constable, ein Sergeant — mehr Beamte gab es auf dieser Wache nicht; es war ein Arrangement, wie es auf dem Land typisch war.

McNulty ging voraus. Der Leichnam lag knapp dreißig Meter oberhalb der Wasserlinie, aber ein gutes Stück von der Klippe entfernt, von der er gestürzt sein musste. Der Constable hatte die Geistesgegenwart besessen, ihn mit einer leuchtend blauen Plastikplane abzudecken und diese mithilfe von Felsbrocken so anzuheben, dass sie den Leichnam nicht berührte. Bea nickte ihm zu, und McNulty lüpfte die Plane ein wenig, sodass der Tote sichtbar, aber weiterhin vor dem Regen geschützt war. Die Folie knisterte und schlug wie ein blaues Segel im Wind. Bea hockte sich hin, verlangte nach der Taschenlampe und richtete den Strahl auf den jungen Mann, der auf dem Rücken lag. Er hatte sonnengebleichtes blondes Haar, das sein Gesicht in feinen Locken umrahmte wie einen Cherub. Die Augen waren blau und blicklos, die Haut durch den Sturz abgeschürft. Blutergüsse hatte er auch und ein Veilchen, doch das schien schon älter zu sein. Es hatte sich bereits gelblich verfärbt und war am Abklingen. Er trug Kletterkleidung und hatte ein Sicherheitsgeschirr umgeschnallt, von dem mindestens zwei Dutzend Metallteile und -gerätschaften baumelten. Ein Seil, das an einen Karabiner geknotet war, lag zusammengerollt auf seiner Brust. Doch woran der Karabiner befestigt gewesen war… Das war die Frage.

»Wissen wir schon, wer es ist?«, fragte Bea. »Haben wir seinen Ausweis?«

»Er hatte nichts bei sich.«

Sie schaute zum Riff hinüber. »Wer hat ihn bewegt?«

»Ich und der Kerl, der ihn gefunden hat.« Er fuhr hastig fort, ehe sie ihn zurechtweisen konnte: »Ohne seine Hilfe hätt ich ihn schleifen müssen, Chef. Allein konnte ich ihn nicht tragen.«

»Wir werden Ihre Kleidung brauchen. Seine auch. Sie sagten, er ist oben im Cottage?«

»Meine Kleidung?«

»Was dachten Sie denn, Constable?« Sie zückte ihr Handy und klappte es auf. Ein kurzer Blick auf das Display, und sie seufzte. Kein Empfang.

Doch Constable McNulty trug ein Funkgerät über der Schulter, und sie wies ihn an, dafür zu sorgen, dass so schnell wie möglich ein Rechtsmediziner herkam. Ihr war klar, dass das eine Weile dauern würde, denn der Rechtsmediziner würde aus Exeter anreisen müssen, und das auch nur dann, wenn er oder sie sich tatsächlich gerade in Exeter aufhielt und nicht in einem anderen Fall andernorts im Einsatz war. Es würde ein langer Abend und eine noch längere Nacht werden.

Während McNulty wie befohlen den Funkspruch absetzte, wandte sie sich wieder dem Leichnam zu. Ein Teenager. Er sah gut aus: fit, athletisch und muskulös. Wie so viele Kletterer seines Alters hatte er keinen Kopfschutz getragen. Der hätte ihn vielleicht retten können vielleicht aber auch nicht. Das konnte nur die Obduktion klären.

Ihr Blick wanderte von dem Toten zu der Klippe, die der junge Mann hinabgestürzt war. Der Küstenpfad jener Wanderweg, der auf dem kornischen Küstenabschnitt von Marsland Mouth bis Cremyll verlief beschrieb einen verschlungenen Weg von einem Parkplatz zu dieser Anhöhe hinauf. Der Kletterer zu ihren Füßen musste dort oben irgendetwas hinterlassen haben. Es war zu hoffen, dass Ausweispapiere dabei waren. Ein Auto, ein Motorrad oder Fahrrad. Sie waren hier mitten im Nirgendwo, und es war höchst unwahrscheinlich, dass er zu Fuß hergekommen war. Sie würden schon herausbekommen, um wen es sich handelte. Aber einer von ihnen musste dort hinaufklettern, um nachzuschauen.

»McNulty, sehen Sie mal nach, was Sie oben an der Klippe von ihm finden. Aber seien Sie vorsichtig. Der Pfad ist bestimmt mörderisch im Regen.«

Sie tauschten einen Blick, als ihnen beiden ihre Wortwahl bewusst wurde. Es war noch zu früh, aber bald würden sie wissen, ob hier mörderische Absichten im Spiel gewesen waren.

3

Da Daidre Trahair allein lebte, war sie Stille gewöhnt. Und weil es bei ihrer Arbeit meistens sehr laut zuging, hatte sie überhaupt nichts dagegen, hin und wieder irgendwo zu sein, wo sie nur natürliche Umgebungsgeräusche vernahm, und sie empfand keine Nervosität in einer Gruppe von Menschen, die einander nichts zu sagen hatten. Abends schaltete sie kaum je das Radio oder den Fernseher ein. Wenn zu Hause das Telefon klingelte, ignorierte sie es oft. So machte es ihr also nichts aus, dass mindestens eine Stunde vergangen war, ohne dass einer ihrer Gäste auch nur ein Wort gesprochen hatte.

Sie saß mit einem Buch über Gertrude Jekylls Gärten am Feuer und bestaunte die Pläne. Sie waren in Aquarellen entworfen, und dort, wo sie verwirklicht worden waren, komplettierten Fotografien die Ansichten der Pläne. Diese Frau hatte wahrhaft etwas von Form, Farben und Komposition verstanden, und darum bewunderte Daidre sie. Ihr Traum war es, das Grundstück rund um das Polcare Cottage in einen Garten zu verwandeln, den Gertrude Jekyll hätte ersonnen haben können. Aufgrund der Winde und des Wetters war das zwar eine gewaltige Herausforderung, und wahrscheinlich würden all ihre Pflanzen auf dem Kompost landen, aber Daidre wollte es trotzdem versuchen. Daheim in Bristol hatte sie keinen Garten, doch sie liebte Gärten. Genau wie die Arbeit: bis zu den Ellbogen im Dreck, doch am Ende wuchs daraus zur Belohnung etwas Lebendiges hervor. Die Gartenarbeit sollte ihr Ventil werden. Ihr anstrengender Job war offensichtlich nicht anstrengend genug.

Sie sah von dem Buch auf und betrachtete die beiden Männer in ihrem Wohnzimmer. Der Polizeibeamte aus Casvelyn hatte sich als Sergeant Paddy Collins vorgestellt, und sein Belfaster Akzent deutete darauf hin, dass er den irischen Namen zu Recht trug. Er saß kerzengerade auf einem der Küchenstühle, den er ins Wohnzimmer gebracht hatte, als hätte es ein Pflichtversäumnis dargestellt, sich in einem der bequemeren Sessel niederzulassen. Sein Notizbuch lag nach wie vor aufgeschlagen auf seinem Knie, und er betrachtete den anderen Mann so, wie er ihn vom ersten Moment an betrachtet hatte: mit unverhohlenem Misstrauen.