Als er fertig war, schnitt Ridenour eine Grimasse. „Ich wünschte, meine Arbeit wäre genauso befriedigend und unkompliziert.“
„Schwierigkeiten?“ fragte Flandry.
„Festgefahren. Unser Problem ist, daß die Leute von Kursoviki so verdammt gründlich sind. Mit ihrer Jagd, ihrer Fischerei und ihrer Algengewinnung treiben sie tatsächlich Raubbau an den Beständen, die niemals sehr groß waren. Die hiesigen Stadtoberhäupter lehnen jede Vereinbarung ab, in der nicht festgelegt wird, daß das Landvolk seine Ausbeutung einstellt. Darauf will sich das Landvolk natürlich nicht einlassen. Das kann es auch nicht gut tun, ohne die eigene Ernährung zu gefährden. Nun versuche ich die Führer des Seevolks zu überreden, daß sie weitere Hilfeleistungen der Merseier zurückweisen sollen. Auf diese Weise könnten wir die Zletovarsee aus dem Kriegsgeschehen heraushalten. Aber sie weisen mit Recht darauf hin, daß unsere Hilfeleistungen und Lieferungen an das Landvolk das Gleichgewicht der Kräfte gestört haben. Und wie sollten wir unsere Geschenke zurücknehmen? Wir würden sie uns zu Feinden machen, und ich kann mir nicht vorstellen, daß Runeis Agenten versäumen würden, eine derartige Situation auszunutzen.“ Ridenour seufzte. „Ich habe immer noch Hoffnung, einen Waffenstillstand zu arrangieren, aber sie ist ziemlich trübe geworden.“
„Wir können nicht von neuem anfangen, diese Leute zu töten!“ fuhr Flandry auf.
„Warum nicht?“ sagte Quarles.
„Nach allem, was wir gesehen haben, was sie für uns getan haben…“
„Unsinn. Wir gehören zum Imperium, und was das Imperium von uns verlangt, das machen wir.“
Flandry zeigte ihm einen Vogel, und es wäre zu einer Auseinandersetzung gekommen, hätte Ridenour nicht eingegriffen. „Sie werden wohl ohnehin ausscheiden, Flandry“, sagte er. „Vor ein paar Stunden ist Ihr Marschbefehl durchgekommen.“
„Marschbefehl?“
„Sie haben sich bei Oberst Abrams in Highport zu melden. Eine Amphibienmaschine wird Sie morgen um sieben Uhr dreißig abholen.“
Abrams lehnte sich mit seinem Stuhl zurück, hielt sein Gewicht mit einem unter die Schreibtischplatte gehobenen Fuß und paffte an seiner Zigarre. „Und Sie wären wirklich lieber unter Wasser geblieben?“
„Für eine Weile, ja.“ Flandry saß bolzengerade auf der Stuhlkante. „Nicht nur, daß es interessant war, ich hatte auch das Gefühl, etwas Nützliches zu tun. Informationen — Freundschaft…“ Seine Stimme verlor sich.
Abrams blies einen Rauchring. „Gewiß, ich verstehe, was Sie sagen wollen. Ich bin da ganz Ihrer Meinung. Wäre die Situation eine andere, hätte ich Sie nicht kommen lassen. Aber so habe ich etwas anderes mit Ihnen im Sinn.“
„Wie bitte?“
„In ein paar Tagen setzt Graf Hauksberg seine Reise nach Merseia fort. Ich werde ihn als Berater begleiten, das steht jedenfalls in meinem Befehl. Ich habe Anspruch auf einen Adjutanten. Wollen Sie mit?“
Flandry machte große Augen. Sein Herz tat einen Sprung, und erst nach einer langen Pause merkte er, daß sein Mund offenstand.
„Natürlich wissen Sie“, fuhr Abrams fort, „daß ich ein wenig Material zu sammeln hoffe. Nichts Melodramatisches, versteht sich. Ich werde Augen und Ohren offenhalten, auch die Nase, wenn es sein muß. Keiner von unseren Diplomaten, Attachés, Handelsbevollmächtigten, keine von unseren Informationsquellen hat jemals etwas wirklich Brauchbares geliefert. Entweder haben diese Leute nicht den Riecher, oder Merseias Abwehr ist besser, als wir glauben. Vielleicht liegt es auch ganz einfach daran, daß Merseia zu weit von der Erde entfernt ist. Bis die Nachrichten zu Hause ankommen, sind sie von den Ereignissen überholt. Dies könnte eine Chance sein, sich relativ unbehelligt umzusehen.“
Abrams warf einen Blick auf seinen zerkratzten, mit Papierwust bedeckten Schreibtisch und seufzte. „Ich müßte einen erfahrenen und erprobten Mann mitnehmen. Aber wir können keinen entbehren. Für ein Greenhorn haben Sie sich als recht umsichtig und tatkräftig erwiesen. Ein bißchen praktische Erfahrung im Nachrichtendienst wird Ihnen weiterhelfen, vorausgesetzt, es gelingt mir, ihre Versetzung durchzudrücken. Ich an Ihrer Stelle würde auch folgendes bedenken: Sie kämen von diesem elenden Planeten weg, könnten in einem Luxusschiff reisen, das exotische Merseia und vielleicht noch andere Orte sehen, würden vermutlich zur Erde zurückgerufen und dann nicht mehr auf Starkad eingesetzt werden. Und Sie hätten Gelegenheit, sehr nützliche Verbindungen zu knüpfen, wie denken Sie darüber?“
„J-j-ja, Herr Oberst!“ stammelte Flandry.
Abrams' Augen lagen plötzlich inmitten zahlloser Fältchen. „Vergessen Sie alle abenteuerlichen Vorstellungen, junger Mann. Dies wird keine Vergnügungsreise. Ich werde von Ihnen verlangen, daß Sie nicht an Schlaf denken und von jetzt an bis zur Abreise von Stimulantia leben, damit Sie lernen, was ein Adjutant von mir wissen muß. Sie werden alles tun müssen, von der Pflege meiner Uniformen bis zu Schreibarbeiten. Unterwegs werden Sie einen Schnellkurs in Eriau nehmen und so viel über Merseia und seine Bewohner lernen, wie Ihr Gehirn fassen kann, ohne zu platzen. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß alles das nichts mit Karneval zu tun hat. Wenn wir einmal dort sind und Sie Glück haben, werden Sie sich durch eine Menge eintönige Pflichten quälen. Wenn Sie Pech haben, werden Sie nicht mehr ein stolzer Ritter der Lüfte sein, sondern ein gehetztes Tier; und wenn Sie dann noch das Pech haben, erwischt zu werden, wird Ihnen nach den Verhören keine Persönlichkeit mehr bleiben, die zu besitzen sich lohnt. Denken Sie darüber nach.“
Flandry tat es nicht. Sein einziger Kummer war, daß er Dragoika wahrscheinlich niemals wiedersehen würde, und auch das war nur ein vorübergehender Schmerz. „Herr Oberst“, erklärte er, „Sie haben einen Adjutanten gefunden.“
8
Die „Dronning Margrete“ war nicht von einer Größe, die eine Landung auf einem technisch rückständigen Planeten angezeigt erscheinen ließ. Ihre Beiboote waren selbst kleine Raumschiffe. Auf Ny Kalmar beheimatet, war sie eine Staatsjacht in kaiserlichem Dienst. An Komfort stellte sie jedes Marineschiff weit in den Schatten. Nun verließ sie ihre Kreisbahn um Starkad und beschleunigte ihren Flug. Schon nach kurzer Zeit war sie weit genug im freien Raum, um auf Hyperantrieb umzuschalten und über die Lichtgeschwindigkeit hinauszugehen. Trotz ihrer Masse kam sie bei voller Maschinenleistung und Phasenfrequenz an die Höchstgeschwindigkeit schneller Kriegsschiffe heran. Die zurückbleibende Sonne schrumpfte bald zu einem Stern unter vielen zusammen und verschwand schließlich ganz.
Doch die Sternbilder veränderten sich nur langsam. Tage und Nächte vergingen, während sie durch die unermeßliche Weite jagte. Nur einmal begegnete ihr ein anderes Schiff in einem Lichtjahr Entfernung, und so konnte seine „Bugwelle“ festgestellt werden. Dieses Lebenszeichen bot noch nach Stunden Stoff für aufgeregte Gespräche. So groß ist der Kosmos.
Schließlich kam die Zeit, da Hauksberg und Abrams sich zu einem Gespräch zusammenfanden, das noch lange nach der Wachablösung andauerte. Bis dahin waren ihre Beziehungen korrekt, aber distanziert geblieben. Nun, da die Reise sich ihrem Ende näherte, sahen sie beide die Notwendigkeit, einander besser kennenzulernen und zu verstehen. Hauksberg lud Abrams zu einem Abendessen in seine private Suite ein. Zwei Stunden später machte sich sein übermüdeter Diener davon, nachdem er vorsorglich zwei entkorkte Weinflaschen, Cognac, Zigarren und Gebäck bereitgestellt hatte.
Das Schiff flüsterte und summte; indirektes Licht legte seinen weichen Schein auf Vorhänge, Bilder und Teppiche. Abrams genoß die Gelegenheit, von seiner Heimat zu erzählen, einem entlegenen Planeten im Grenzbereich des Imperiums.