„Nein, gewiß nicht. Ich — ich habe viel Respekt vor Ihnen.“ Eine Erleuchtung flammte in ihm auf. „Chef! Sie haben mehr Informationen, als Sie zugeben! Eine direkte Leitung nach…“
„Mund halten.“ Die Stimme blieb leise, aber Flandry schluckte und nahm unwillkürlich Haltung an. „Kein Wort davon, verstanden?“
„Ja — jawohl, Chef.“
Abrams sah sich nach den anderen Männern um. Keiner von ihnen hatte mitgehört. „Junge“, murmelte er, „Sie setzen mich in Erstaunen. Wirklich. Sie sind als Aufklärerpilot nicht am richtigen Platz. Haben Sie schon mal an eine Versetzung zum Nachrichtendienst gedacht?“
Flandry biß sich auf die Lippen. „Los“, drängte Abrams. „Sagen Sie es Onkel. Warum gefällt Ihnen der Gedanke nicht?“
„Es wäre — ich meine — nein, Chef, ich bin nicht geeignet.“
„Seien Sie ehrlich, Mann. Haben Sie was gegen mich? Mir macht es nichts aus, ein Hurensohn genannt zu werden. Ich habe meine Geburtsurkunde.“
„Also“, ermannte sich Flandry, „ich wollte sagen, daß es ein schmutziges Geschäft ist.“
„Hm. Sie meinen diese Sache hier, zum Beispiel?“
„Ja. Ich… ich habe mir Gedanken gemacht“, stammelte Flandry. „Wissen Sie, ich hatte bei diesem Seegefecht keine Angst, und nachher sah es wie ein großartiger Sieg aus. Aber dann — dann sind mir die Toten eingefallen. Einer der Gefangenen wurde abgestochen wie ein Schwein. Und einer der Gestreiften brauchte zwei Tage zum Sterben. Wenn ich mir diesen hier ansehe — er weiß nicht einmal, was mit ihm geschehen wird!“
Abrams paffte eine Weile. „Alle Wesen sind Brüder, nicht wahr?“ sagte er schließlich.
„Nun ja, nicht unbedingt, aber…“
„Nicht unbedingt? Sie sollten es besser wissen. Sie sind es nicht! Nie gewesen. Sicher, der Krieg ist eine deprimierende Sache. Sicher, der Friede ist wunderbar. Aber man kann nicht immer Frieden haben, außer im Tod, und man kann schon gar keinen Frieden haben, der nicht auf allseitigem Interesse beruht, der sich nicht für alle Beteiligten auszahlt. Gewiß, das Imperium ist krank. Aber es ist unser Imperium. Es ist alles, was wir haben. Es wäre unverantwortlich, wollte man seine Liebe und Loyalität so dünn und gleichmäßig verteilen, daß für die wenigen Geschöpfe und Institutionen, denen man sie schuldig ist, nicht genug übrigbliebe. Sie sollten ein paar von den Büchern lesen, die ich in meinem Quartier habe, hauptsächlich altes Zeug, Aristoteles, Juvenal, Machiavelli, Clausewitz und so. Aber das wird eine Weile dauern. Gehen Sie jetzt nach Hause und denken Sie über meinen Vorschlag nach.“
„Hat der Fodaich meine Meldung nicht gelesen?“ fragte Dwyr.
„Natürlich habe ich sie gelesen“, antwortete Runei. „Aber ich möchte Auskunft über gewisse Details. Warum haben Sie für den Einbruch keine bessere Gelegenheit abgewartet?“
„Die Wahrscheinlichkeit für eine solche Gelegenheit war nicht groß, Fodaich. Es ging bereits gegen Morgen zu. Jemand hätte mich anhalten können, und meine Antwort wäre notwendigerweise verdächtig gewesen. Mein Befehl lautete, daß jedes unnötige Risiko zu vermeiden sei.“
„Was ist mit der Patrouille, die Ihnen auf dem Rückweg begegnet ist? Hat man Sie gesehen?“
„Wohl kaum, Fodaich. Es war im dichten Wald, und sie feuerten blindlings um sich, als ich ihren Anruf nicht beantwortete. Sie werden nur eine undeutliche Gestalt gesehen haben.“
Runei seufzte. „Nun, es war ein Versuch, und Sie haben Ihre Sache gut gemacht. Aber ich fürchte, wir können Sie auf Starkad nicht mehr einsetzen, nachdem Abrams Sie gesehen hat.“
„Ich hoffe, man läßt mich in Ehren weiterdienen“, sagte Dwyr. „Noch etwas, Fodaich: Während ich in Highport war, beobachtete ich von weitem einen Vorgang, der Sie vielleicht interessiert. Abrams ging mit einem Zivilisten, der mehrere Begleiter bei sich hatte, in angeregter Unterhaltung die Straße entlang. Ich vermute, der Zivilist war der kaiserliche Abgesandte.“
Runei nickte. „Der von hier aus nach Merseia geht. Haben Sie etwas von ihrem Gespräch auffangen können?“
„Der Geräuschpegel war sehr hoch, Fodaich, aber mit Hilfe meines Verstärkers konnte ich ein paar Wortfetzen verstehen. Danach habe ich den Eindruck, daß Abrams ihn nach Merseia begleiten wird. In diesem Fall sollten wir Abrams besonders gut beobachten.“
Runei rieb sich das Kinn. „Ja, das ist eine Möglichkeit. Halten Sie sich für eine baldige Abreise bereit.“
Dwyr salutierte und ging. Runei saß allein unter dem surrenden Ventilator. Nach einer Weile nickte er vor sich hin, holte das Schachbrett hervor und überlegte seinen nächsten Zug. Ein Lächeln spielte um seine Lippen, als er eine Verbindung mit Abrams verlangte.
5
Flandry war in Ujanka. Der Haupthafen von Kursoviki lag in einer weiten, von Hügeln eingerahmten Bucht an der Mündung des Pechanikiflusses. Im Westen des Flusses befanden sich Hauptquartier und Verwaltungsgebäude der Schwesternschaft. Im Norden sprenkelten die Häuser der Reichen das Hügelland, Villen mit ausgedehnten Gärten. Aber trotz ihres Ranges — sie war nicht nur Kapitän der „Archer“, sondern auch am Besitz der gesamten Flotte beteiligt und gehörte der Schwesternschaft als Sprecherin in Fragen der Handelsschiffahrt an — lebte Dragoika im alten Stadtteil östlich des Flusses.
„Hier haben meine Mütter seit Gründung der Stadt gelebt“, erzählte sie ihrem Gast. „Zu viele Erinnerungen hängen an diesem Haus, als daß ich es aufgeben könnte.“ Sie machte eine umfassende Gebärde, die den ganzen Raum einschloß, einen Raum, der in seiner schon grotesken Überfülle an ein altmodisches Museum erinnerte. Tierfelle, Teppiche, Möbel, Bücher, Waffen, Bronzevasen und — kandelaber, Seemuscheln, Gläser und Erinnerungsstücke aus anderen Ländern ließen kaum genug Platz, daß man sich setzen konnte.
Flandry trat an ein Fenster. Der Raum befand sich in der dritten Etage. Unten wand sich eine schmale, mit runden Steinen uneben gepflasterte Gasse zwischen den verschachtelten Häusern zum Hafen hinunter. Zwei Männer mit gezogenen Schwertern patrouillierten mit federnden Schritten am Haus vorbei. Irgendwo pochten gedämpfte Trommelschläge. Es war sonnig, und ein kalter Wind fegte die Dächer. Iguraz, ein stattlicher alter Mann, der Flandry hergeführt hatte und der als eine Art Hausmeister zu fungieren schien, zupfte ihn am Ärmel, und Flandry folgte dem Beispiel seiner Gastgeberin und ließ sich auf einem geschwungenen Diwan nieder.
„Ich verstehe euch Leute nicht“, sagte Dragoika. „Es ist gut, dich wiederzusehen, Dommaneek, aber ich verstehe dich nicht. Was ist gegen einen Kampf einzuwenden? Dann und wann muß man es wagen. Und nun, nachdem wir die vaz-Siravo besiegt haben, kommst du her und redest, wir sollten Frieden mit ihnen machen!“
„Man hat mir befohlen, die Idee vorzutragen“, erwiderte Flandry unbehaglich.
„Aber sie gefällt dir selbst nicht, wie?“ fragte Iguraz. „Warum sprichst du dann davon?“
„Würdet ihr eine Befehlsverweigerung dulden?“ fragte Flandry.
„Nicht auf See“, gab Dragoika zu. „Aber an Land ist es anders.“
„Nun, für uns ist die Situation hier wie auf See“, murmelte Flandry.
„Warum erledigt ihr nicht die vaz-Siravo für uns, wenn ihr so mächtig seid?“ fragte Ferok.
Dragoika überraschte Flandry dadurch, daß sie für ihn antwortete. „Keine solchen Reden! Wir wollen die Ordnung der Welt nicht durcheinanderbringen.“ Zu Flandry gewandt fuhr sie fort: „Die Schwesternschaft will den vaz-Siravo nicht übel. Sie müssen wie andere gefährliche Tiere auf Distanz gehalten werden. Wenn sie uns in Ruhe ließen, gäbe es keinen Grund zum Kämpfen.“
„Vielleicht denken die vaz-Siravo genauso“, sagte Flandry. „Seit eure Leute sich der Seefahrt und der Fischerei zugewandt haben, macht ihr ihnen Schwierigkeiten.“