„Die Meere sind weit. Sollen sie sich von unseren Inseln fernhalten, und alles ist gut.“
„Das können sie nicht. Die Sonne bringt das Leben hervor, auch im Wasser, und darum sind sie zur Ernährung auf die flachen Küstengewässer angewiesen. Außerdem fahrt ihr weit hinaus, um Schleppnetzfischerei zu betreiben und große Fische zu jagen, vom Abernten der Algenfelder gar nicht zu reden. Sie brauchen diese Dinge auch.“ Flandry brach ab, wollte sich durchs Haar fahren und stieß gegen seinen Helm. „Ich selbst bin nicht gegen einen Frieden in der Zletovarsee. Was kann es schaden, mit den vaz-Siravo zu verhandeln?“
„Wie willst du das machen?“ konterte Iguraz. „Jeder Toborko, der zu ihnen hinabtauchte, wäre ihre Beute. Sie würden ihn töten, bevor er zum Reden käme.“
„Sei still“, befahl Dragoika. „Ich habe dich mitkommen lassen, weil du die Schiffsliste hast, und Ferok, weil er Dommaneeks Freund ist. Aber solche Gespräche sind Frauensache.“
Die Getigerten nahmen den Tadel gutmütig hin. „Die Verhandlungsdelegation würde aus meinen Leuten bestehen“, erläuterte Flandry seinen Plan, „aber wir wollen das Seevolk nicht unnötig beunruhigen, und deshalb können wir keins von unseren Fahrzeugen benützen. Also bitten wir euch um Schiffe. Es müssen drei oder vier sein, damit Angreifer abgeschreckt werden. Natürlich müßte die Schwesternschaft alle etwa ausgehandelten Friedensbedingungen akzeptieren.“
„Das ist nicht so einfach“, meinte Dragoika. Sie rieb sich das dreieckige Kinn. „Eine allgemeine Regelung würde die Interessen vieler Völker der vaz-Siravo berühren. Immerhin… ein lokaler Waffenstillstand… hm, ich müßte mit den übrigen Mitgliedern der Schwesternschaft darüber reden.“
Und dann kam ein Hornsignal vom Hafenkastell. Metallisch und dröhnend, von Blasebälgen erzeugt, heulte es über die Stadt, daß die Hügel ein vielfaches Echo zurückwarfen. Vögel erhoben sich in Schwärmen aus den Baumwipfeln.
Ferok sprang auf, riß Schwert und Schild an sich und raste zur Tür hinaus, bevor Flandry wußte, was geschah. Iguraz hob seine schwere Streitaxt auf. Dragoika lauschte mit finsterer Miene.
„Ein Angriff?“ rief Flandry zwischen zwei Hornstößen. „Aber das ist doch unmöglich!“
Er wußte, daß die Bucht zum Meer hin durch eine Reihe alter Schiffe abgesperrt war, die dort verankert und untereinander durch Ketten verbunden lagen. Selbst wenn Unterwasserschwimmer durch die bewachte Sperre kämen, hätten sie bis zum Hafen noch zwei bis drei Kilometer zurückzulegen. Natürlich konnten sie außerhalb der Stadt an irgendeiner Uferstelle an Land gehen und auf ihren halbmechanischen Beinen durch das Hinterland oder die Küste entlang gegen die Stadt marschieren. Aber das erschien Flandry im höchsten Maß unwahrscheinlich. Auf dem Land wären sie zu unbeholfen und den Einheimischen von vornherein unterlegen. Ujanka hatte seit Hunderten von Jahren keinen Krieg gesehen, und die Angriffe früherer Zeiten waren von anderen Landbewohnern ausgegangen…
„Gehen wir hinauf“, sagte Dragoika ruhig und erhob sich. „Von oben haben wir einen besseren Überblick.“ An der Tür hängte sie sich ohne erkennbare Hast ein Schwert über die Schulter; erst jetzt sah Flandry, daß ihre prächtige Rückenmähne gesträubt war.
Er folgte ihr in eine Diele, die von einer drei Meter hohen Steinskulptur beherrscht wurde. Im Hintergrund führte eine Wendeltreppe aufwärts. Seine Schultern kratzten an den Wänden. Hinter ihm schnaufte Iguraz.
Sie waren noch nicht halb oben, als ein dumpfes Krachen in die dunkle Enge hereindrang. Das ganze Haus schwankte. Dragoika strauchelte und fiel zurück. Flandry fing sie auf. Unter dem samtweichen Pelz war ihr Körper wie Stahl. Draußen polterte und prasselte es wie einstürzendes Mauerwerk.
Sie kamen auf dem Turm des Hauses ans Licht, als eine zweite Detonation erfolgte. Flandry rannte an die Mauerbrüstung und überblickte die steilen roten Ziegeldächer. Die Enden der Dachbalken waren mit reichem Schnitzwerk geschmückt Köpfe von mythischen Ungeheuern wechselten mit Blumenmotiven ab. Flandrys Blick überflog die dichtgedrängten Dächer der Altstadt, die Hügel, smaragdgrün mit weiß hineingetupften Villen, das Hafenkastell — und dann sah er die Rauchsäule.
„Dort!“ schrie Ferok, mit dem ausgestreckten Arm auf das Meer hinausweisend. Flandry blinzelte ins Sonnenlicht, das auf dem Wasser der Bucht tanzte. Drei oder vier der Sperrschiffe standen in Flammen, aber mehr sah er nicht.
Dragoika hatte die Plane von einem kleinen Teleskop genommen, das in der Mitte der Plattform auf einen Sockel montiert war. Flandry stellte sich neben sie und wartete, bis sie ihn ans Okular ließ.
Wo die Bucht sich zum Meer hin weitete, schwamm ein länglicher dunkler Körper wie ein Wal zwischen den gischtenden Schaumkronen. Seine Haut war aus Metall, und mittschiffs entragte ihm ein Turm. Flandry glaubte Gestalten zu sehen, die aus dem offenen Turmluk kletterten und hinter der Brustwehr hin und her liefen. Auf dem Vorschiff und achtern waren zwei niedrigere Türme, flach und abgerundet und mit je einem Geschütz bestückt. Während er beobachtete, spuckte einer der Geschütztürme Feuer. Einen Augenblick später stieg eine weiße Staubwolke aus der hohen, zinnenbekrönten Wand des Hafenkastells. Ein Teil der Mauer brach herunter und begrub den Kai und eins der dort liegenden Schiffe unter sich. Einer der beiden Masten brach, der Rumpf bekam Schlagseite und sackte plötzlich auf den Grund des Hafenbeckens ab, daß nur noch der Heckaufbau aus dem Wasser ragte. Wie ein Donnerschlag rollte die Explosion über die Stadt.
„Teufel!“ murmelte Flandry. „Ein richtiges U-Boot!“
Was er im Teleskop sah, hatte nichts mit dem primitiven Wasserfahrzeug gemeinsam, das er von Bord der „Archer“ gesehen hatte. Dies hier war Merseierarbeit, wahrscheinlich mit Nuklearantrieb und sicherlich von Merseiern bedient. Es konnte nicht länger als dreißig Meter sein und war offensichtlich hier auf Starkad zusammengebaut worden. Seine großkalibrigen Geschütze verschossen normale Sprenggranaten, aber in dieser dichten Atmosphäre waren die Druckwellen stark genug, um eine Stadt niederzulegen.
„Wir werden verbrennen!“ schrie Ferok.
Auf diesem Planeten schämte sich niemand seiner Angst vor einer Feuersbrunst. Flandry verstand es. Die mit Sauerstoff übersättigte Atmosphäre gab jedem Feuer überreichlich Nahrung. Zwar gab es nur noch wenige Holzhäuser, aber auch die steinernen Bauten hatten ausnahmslos hölzerne Decken und Dachstühle. Am meisten gefährdet aber waren die Schiffe, in denen sich Ujankas Reichtum und Macht verkörperten. Und auf sie schien der Gegner es abgesehen zu haben.
Dragoika hatte denselben Gedanken. Sie spähte über den Fluß landeinwärts, wo das Regierungsgebäude der Schwesternschaft seine grüne Kupferhaube weithin sichtbar über die Dächer reckte. Ihre Mähne flatterte wild im Wind. „Warum läuten sie die Mannschaften nicht zu den Schiffen?“ Sie drehte sich nach Flandry um. „Das Gesetz sagt, daß, wenn die Schiffe in Gefahr sind, alle Mannschaften an Bord gehen und auslaufen müssen. Aber heute haben sie es vielleicht vergessen und sind in Panik geraten. Sonst müßten sie längst an den Glockensträngen hängen.“
Sie wendete sich ab. „Ich muß selbst hingehen. Ferok, du sagst den anderen an Bord, sie sollen mit der ›Archer‹ auslaufen und nicht auf mich warten.“
Flandry hielt sie fest. „Verzeihung“, sagte er, wie er ihr zorniges Gesicht sah. „Sollten wir nicht zuerst einen Anruf versuchen?“
„Anruf…? Ja, du hast ihnen ein Radio gegeben, nicht? Mein Gehirn ist verwirrt.“
Weitere Granaten schlugen im Hafengebiet ein. Drei auf der Reede ankernde Schiffe brannten lichterloh. Flandry hob das linke Handgelenk mit dem kleinen Funksprechgerät an die Mundöffnung des Helms und stellte es auf die Wellenlänge der Schwesternschaft ein. Er hatte nur wenig Hoffnung, daß am anderen Ende jemand wartete. Als sich eine weibliche Stimme meldete, seufzte er erleichtert. Die Worte kamen wie Grillengezirp aus dem winzigen Lautsprecher: „Ai-ya, gehörst du zu den vaz-Terranern? Ich konnte keinen von euch erreichen.“