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Hallowes hatte vom Schiff aus gesehen, was dem Ausguck entgangen war.

Es schien, als triebe jäh ein Stück der Landzunge davon. Bolitho sah ein Schiff den Vorsprung runden, dessen Vorsegel flatterten, als es scharf wendete, um den Riffen auszuweichen.

Es war eine Fregatte.

«Pullt, Jungs! Mit aller Kraft!«rief Bolitho. Sie bedurften der Aufmunterung nicht.

Hätten sie nicht gemerkt, daß der Ausguckposten tot war, wäre diese Fregatte überraschend quer durch die Bucht gesegelt und hätte Supreme mit ihren Kanonen in ein blutiges Chaos verwandelt.

Endlich lag die Gig längsseits, und die Männer kletterten hastig an Bord, um sich ans Segelsetzen zu machen.

Die beiden Boote trieben ab. Hallowes sah ihnen verkniffen und besorgt nach. Sie mochten sie noch brauchen, hatten aber keine Zeit, sie an Bord zu holen. Bolitho hielt sich an einem Want fest und sah zu, wie die Fregatte die Bramsegel setzte.

Was Hallowes auch tat, er würde sich niemals rechtzeitig vom Land freikreuzen können.

«Lotgasten in die Rüsten!«sagte Bolitho.»Mr. Okes, kennen Sie sich in diesen Gewässern aus?»

Okes hatte seinen Hut verloren.»Aye, einigermaßen, Sir.»

Er drehte sich um, als der Lotgast die Wassertiefen auszusingen begann.»Der Franzose kann es nicht wagen, uns zu folgen. Da gerät er nämlich auf Grund.»

«Finde ich auch. «Dem Kommandant der Fregatte mußte jetzt klarwerden, daß er den Überraschungseffekt verspielt hatte. Er würde sich freihalten und vielleicht bei Einbruch der Dunkelheit versuchen, Supreme den Weg abzuschneiden. Aber bis dahin waren es noch sechs Stunden.

Bolitho gab Hallowes einen Wink.»Ich schlage vor, daß Sie auf flachem Wasser ankern.»

Hallowes nickte wie eine Marionette.

«Der Franzose hat leicht Kurs geändert, Sir«, meldete Okes.

Die Fregatte war eine knappe Meile entfernt und im Begriff, hinter dem nächsten Landvorsprung zu verschwinden. Zuvor aber versuchte ihr Kommandant, seine Beute aktionsunfähig zu machen.

Bolitho sah plötzlich lange orangefarbene Zungen aus ihren vorderen Rohren schießen. Die Kugeln rissen weiße Schaumspuren in den Wasserspiegel.

Ein schlechtgezielter Versuch. Der zweite jedoch war besser.

Das Meer um sie herum kochte plötzlich, neben ihnen schoß eine Wassersäule gen Himmel. Bolitho hörte den Einschlag einiger Kugeln in den Rumpfund einen entsetzlichen Schrei, als die Splitter einen Mann zu Boden rissen.

Hallowes starrte stumm das Chaos aus zerfetztem Rigg und durchlöcherten Segeln an. Aus den Speigatten an Backbord sickerte bereits Blut.

«Werfen Sie endlich Anker, verdammt noch mal!«Bo-litho packte ihn am Arm und schüttelte ihn. »Sie haben hier das Kommando!»

Zwei Kanonenkugeln fanden gleichzeitig ihr Ziel. Eine pflügte eine schwarze Furche quer übers Deck und tötete einen Mann auf der anderen Seite. Die zweite knallte in den wie ein Makrelenschwanz geformten Heckspiegel und ließ mehrere Pützen mit Sand zerstieben.

Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Bolitho, von der Explo — sion benommen, fiel auf die Seite, und beim Aufprall durchfuhr ihn der Schmerz der alten Wunde. Männer schrien auf, und das Deck erbebte, als etwas Schweres aus der Takelage stürzte.

Er faßte sich hastig ins Gesicht und spürte Blut. Eine fremde Stimme rief:»Hier, Sir! Ich helfe Ihnen!»

«Ankern!«stieß Bolitho hervor. Nun, da das Feuer eingestellt war, klang seine Stimme plötzlich laut.

Er stolperte über einen reglosen Körper und hielt sich an baumelnden Leinen fest.

«Hier, Sir. «Der Unbekannte schwieg, als Bolitho die Hände vom Gesicht nahm, um sich umzuschauen.

Aber er sah nichts. Es war Mittag gewesen, als die Fregatte gefeuert hatte, doch nun stand er in tiefster Nacht. Hände berührten ihn, ringsum erklangen wirre Stimmen.

«Ich bin hier, Sir. «Das war Stayt.

Bolitho schlug die Hände vor die Augen, als der Schmerz stärker wurde.»Ich bin blind! Mein Gott, ich kann nichts sehen!»

Er tastete nach Stayts Arm.»Bringen Sie mich unter Deck. Die Männer dürfen mich nicht so sehen. «Er holte scharf Luft, als die Schmerzen noch heftiger wurden. Besser wäre ich tot, dachte er.

VI Die Supreme

Kapitän Valentine Keen klammerte sich an die Finknetze, die Augen vom langen Starren gegen Wind und Gischt wund. Selbst seine Handflächen schienen von den geteerten Netzen zu brennen.

Die ganze Nacht hatte der Sturm die See zu jagenden Brechern aufgepeitscht, gewaltige Sturzbäche hatten sich kochend über die Seitendecks ergossen und Männer wie Treibgut von den Beinen gerissen. Nun, da die ersten silbergrauen Streifen am Himmel standen, arbeitete das Schiff nicht mehr ganz so heftig; doch die Morgendämmerung verhöhnte ihre schwächlichen Anstrengungen in der Nacht.

Es war sinnlos gewesen, Kontakt mit Icarus halten zu wollen, denn sie war wie die kleine Brigg Rapid während des Unwetters schnell außer Sicht geraten. Argonaute hatte fast die ganze Nacht unter gerefftem Großmarssegel beigedreht am Wind gelegen. Hätten die Schiffe versucht, unter Segeln abzulaufen, wären sie bei Tagesanbruch meilenweit zerstreut gewesen. Der Erste Offizier taumelte auf Keen zu.»Wir können nun wieder Fahrt aufnehmen, Sir.»

Keen warf dem Master in seiner durchnäßten Leinwandjacke einen Blick zu. Der alte Fallowfield sagte nichts, schien aber die Achseln zu zucken.

«Gut. Alle Mann an Deck. Und lösen Sie die Ausguckposten oben ab. Wir brauchen heute scharfe Augen, wenn wir das Geschwader wieder auf Formation bringen wollen.»

Paget hatte seine Sache gut gemacht, die Männer vom Einbruch der Nacht bis jetzt in Bewegung gehalten.

«Alle Mann! Aufentern zum Segelsetzen!»

Die Rufe der Deckoffiziere und hier und da das Klatschen eines Tampens trieben die erschöpften Männer zurück an Brassen, Halsen und Schoten.

Keen zupfte an seinem Halstuch, das wie der Rest seiner Kleidung durchnäßt war. Doch Argonaute hatte besser als erwartet reagiert und war wirklich ein vorzüglicher Segler. Er war einigermaßen mit sich zufrieden, denn er hatte das Schiff und die Männer die ganze Zeit unter Kontrolle ge — habt. Das Deck erzitterte, als Vormarssegel und Klüver gesetzt wurden und Argonaute wieder aufs Ruder ansprach. Tuson hatte eine Menge zu tun, denn mehrere Matrosen waren verletzt worden. Schlimmer noch, ein Seemann war über Bord gespült worden: ein schrecklicher Tod, wenn man mit ansehen mußte, wie der Wind das eigene Schiff wegtrieb, wie die Freunde einen nicht vor dem Ertrinken retten konnten.

«Kurs Nordost zu Ost, Sir!»

Der Himmel klarte bereits auf; nach der ungestümen Nacht mochte es vielleicht sogar einen schönen Tag geben. Seltsames Mittelmeer, dachte Keen.

«Übernehmen Sie die Wache, Mr. Paget. «Er rieb sich die schmerzenden Augen.»Sowie in der Kombüse das Feuer brennt, schicken Sie die Mannschaft gruppenweise zum Frühstück. Und der Proviantmeister soll pro Kopf ein Glas Rum ausgeben. Die Leute haben's verdient.»

Paget grinste.»Das wird ihre Lebensgeister wieder wek-ken, Sir!«Er wandte sich ab, offenbar erfreut, daß Keen ihm bei noch so grober See das Deck überließ. Der Flaggkapitän beschloß, ihn in seinem Bericht lobend zu erwähnen; er brauchte zwar einen guten Ersten, aber die Flotte hatte auch Männer nötig, die kommandieren konnten.

Keen verschwand im Schatten unter dem Poopdeck und merkte erst jetzt, wie müde und angespannt er war. Aus der Dunkelheit tauchte ein roter Rock auf: Hauptmann Bouteil-ler von den Royal Marines.

«Guten Morgen, Major. «Keen bewunderte die Seesoldaten zwar, verstand sie aber nie ganz. Selbst ihr Titel» Major «für den befehlshabenden Offizier kam ihm sonderbar vor.

«Ich wollte es Ihnen selbst sagen, Sir. «Bouteiller sprach abgehackt.»Die, äh, der Passagier verlangte Sie zu sprechen.»

Keen nickte.»Aha. Wann war das?»

Der Hauptmann dachte nach.»Vor zwei Stunden, Sir. Sie kamen mir aber zu beschäftigt vor.»

In der Dunkelheit war Bouteillers Gesicht nicht zu erkennen, und der Mann hätte sich ohnehin nichts anmerken lassen. Was dachte er?