Keen grinste. Er legte die Hände um den Mund, gerade als ein schwacher Sonnenstrahl wie flüssiges Gold an der Groß-bramstenge hinabglitt, und rief:»Mr. Paget! Klar Schiff zum Gefecht!»
Bolitho holte tief Atem, als Trommelwirbel erschollen und die Pfeifen die Mannschaft zusammenriefen. Er brauchte nicht sehen zu können, um zu wissen, was vor sich ging: dumpfe Schläge unter Deck, wo Trennwände entfernt und persönliche Habseligkeiten ins Orlopdeck, tief unter die Wasserlinie, geschafft wurden. Pulver wurde aus dem Magazin geholt und Sand aufs Deck gestreut, damit die Geschützbedienungen nicht ausglitten. Außerdem sollte er Blut aufsaugen.
Bolitho spürte Allday neben sich und hob den Arm, damit sein Bootsführer ihm den Degen an den Gürtel hängen konnte. Für einen neuen Kampf, zu Sieg oder Versagen. Dachte eigentlich jemand an diese Männer hier, wußte man an Land, wie viele Menschenleben geopfert werden mußten, damit man sich dort ein angenehmes Leben machen konnte?
Pagets Stimme.»Schiff ist klar zum Gefecht, Sir!»
Keen sagte:»Gut gemacht, Mr. Paget, aber beim nächsten Mal muß das zwei Minuten schneller gehen!»
«Aye, aye, Sir. «Das war nur ein Spiel zwischen Kommandant und Erstem Offizier. Genau wie bei mir und Thomas Herrick, dachte Bolitho. Er begann jetzt Umrisse zu erkennen, die ausgestopften Hängemattsnetze, die Achtzehnpfün-der auf dem Oberdeck.
Keen rief:»Ruder drei Strich nach Steuerbord! Neuer Kurs Nord zu West!»
Paget setzte seinen Sprechtrichter an.»An die Brassen!»
Keen umklammerte die Querreling und sah zu, wie die großen Rahen gebraßt wurden. Als der Bug sich hob, sah er zum ersten Mal vage Land, das sich schräg an Backbord dahinzog. Er wandte sich an Bolitho, um ihn zu informieren, schwieg aber, als er feststellte, daß der Vizeadmiral noch so dastand wie zuvor, Allday dicht hinter sich. Bolitho hatte nichts gesehen — eine Tatsache, die Keen rührend und zugleich besorgniserregend fand. Allday warf ihm einen raschen Blick zu, der Bände sprach.
«Entern Sie auf, Mr. Griffin«, sagte Keen,»und melden Sie, was Sie sehen.»
Midshipman Sheaffe und seine Signalgasten standen an den Flaggleinen bereit. An Deck lag eine riesige französische Trikolore klar zum Heißen.
Keen nahm ein Teleskop und kletterte in die Wanten. Das Land lag in der Sonne, schien aber nur wenig Substanz zu haben. Sie liefen zwei Meilen entfernt fast parallel zur Küste. Die Bucht war zehn Meilen breit, und an einem Ende ragte das zerklüftete Kap schützend ins Meer hinaus: ein perfekter Ankerplatz.
«Irgendwelche Schiffe zu sehen?«rief Bolitho.
«Bisher noch keine, Sir.»
«Heißen Sie die Trikolore und setzen Sie die Bramsegel. Wir müssen so beweglich wie möglich sein.»
Keen gab dem Ersten Offizier einen Wink, hielt dann aber inne, als ein Ruf des Ausgucks alle nach oben schauen ließ.
«Schiff recht voraus!»
Keen starrte in die Takelage, daß seine Augen tränten, von Ungeduld geplagt, bis Leutnant Griffin ergänzte:»Linienschiff, Sir! Vor Anker!»
Keen sah die große Trikolore an der Gaffel auswehen, während die Männer in den Webeleinen aufenterten, um mehr Segel zu setzen.
«Kurs Nord zu West, Sir!»
Keen hörte Bolitho leise sagen:»Sieht aus, als hätten wir doch noch Glück.»
Als die wärmenden Sonnenstrahlen das Achterdeck erreicht hatten, spürte Bolitho die zunehmende Spannung. Er wußte nicht, ob er Keen über jede seiner Maßnahmen Bericht erstatten lassen oder ihn mit seinen Fragen verschonen sollte.
Doch schon trat Keen neben ihn.»Der Franzose liegt nur vor Buganker«, berichtete er. Er legte eine Pause ein, damit Bolitho sich ein Bild machen konnte. Da der Wind noch immer von Süden kam, würde das andere Schiff auf sie zuschwojen, als sei es auf konvergierendem Kurs. Keen fügte hinzu:»Keine Anzeichen von Aufregung, Sir. Bisher jedenfalls. Mr. Griffin sagt, es lägen Boote längsseits, unter anderem ein Leichter mit Wasserfässern.»
Bolitho mußte plötzlich an Supreme denken und den sterbenden Hallowes, dessen Hand er gehalten hatte.
«Sehr passend.»
«Mit Ihrer Zustimmung, Sir, beabsichtige ich, zwischen dem Feind und der Küste durchzulaufen. Das Wasser ist dort tief genug. So haben wir den Windvorteil und können ihn beim Passieren beschießen. «Mit halbem Ohr nahm er die heiseren Rufe der Stückführer und die rauheren Töne des furchterregenden Geschützmeisters Crocker wahr. Der stand mit der ersten Abteilung an Steuerbord und würde das Gefecht genießen.
«Noch ein Schiff, Sir! An Backbord voraus!»
Keen riß Midshipman Hext das Fernrohr aus der Hand.»Eine spanische Korvette«, sagte er dann.
Stayt murmelte:»Es wird ihr schwerfallen, an uns heranzukommen, Sir. Sie müßte gegen den Wind aufkreuzen.»
«Achten Sie auf ihre Signale, Mr. Sheaffe. Sie wird bald verlangen, daß wir uns genauer zu erkennen geben. «Er hob die Stimme.»He, ihr da an Deck! Behaltet den Franzosen im Auge, nicht diesen lächerlichen kleinen Pott!«Jemand lachte.
Bolitho meinte:»Meiner Ansicht nach wird er nicht reagieren. Die Spanier haben ihre Absprachen mit den Franzosen.»
Als die kleine Korvette wendete, schäumte das Wasser an ihren Geschützpforten entlang, als sei sie auf Grund gelaufen. Das Land hinter ihr war hoch und grün. Hier und dort wiesen weiße Flecke auf vereinzelte Anwesen hin.
Es mochte hier zwar eine Küstenbatterie geben, dachte Bolitho, aber das war unwahrscheinlich. Die nächste größere Garnison sollte sich in Gerona befinden, nur zwanzig Meilen landeinwärts.
Das kleine spanische Kriegsschiff war nun bis auf eine Kabellänge herangekommen. Bolitho hörte drüben die Taljen rasseln, ein Anker wurde klariert, als schickten sie sich an, ihn fallen zu lassen. Auf dem Franzosen mußten viele Augen die Argonaute beobachten. Man würde nicht nur auf ihren Baustil achten, sondern auch auf ihre Vorbereitungen.
Bolitho war unruhig, weil er nicht richtig sehen konnte. Er nahm Stayt ein Teleskop ab und stützte es auf die Finknetze. Nun erkannte er die Korvette, deren rot-gelbe Flagge steif auswehte, als sie an den Wind ging, um zu wenden. Tuson würde ihn zurechtweisen, weil er das gute Auge überanstrengte. Doch der Arzt war im Krankenrevier und wartete auf die nächste Ernte.
Fallowfield grollte:»Guter Gott, der Wind springt um!»
Männer eilten wieder an Brassen, Schoten und Halsen, und Keen sagte:»Auf Südwest, schätze ich, Sir.»
Bolitho nickte und stellte sich die Seekarte vor. Der Wind schlug um. Fortuna, wie Herrick sich ausgedrückt hätte, stand ihnen bei.
«Klar zum Aufgeien der Breitfock, Mr. Paget!«rief Keen.
Von der Korvette wehte ein dünner Ruf herüber.
«Winken Sie ihnen mit dem Hut zu!«sagte Bolitho.
Keen und Stayt winkten zum Spanier hinüber, der rasch nach Backbord abgetrieben wurde.
Noch eine Meile. Bolitho packte die Reling und spähte zwischen dem Tauwerk und den Vorsegeln nach vorn. Er konnte den Feind schräg an Backbord liegen sehen, so wie Keen es beschrieben hatte.
Keen warf Paget einen Blick zu.»Bitte lassen Sie laden.»
Der Befehl wurde sofort an das untere Deck weitergegeben, und Bolitho konnte sich die Bedienungen vorstellen, die sich mit bereits schweißnassen Rücken im Halbdunkel hinter noch verschlossenen Stückpforten mit Kugeln und Kartuschen abplagten. Seit seinem zwölften Lebensjahr kannte er das: Die Männer an den Kanonen, die rotgestrichenen Bordwände, damit das Blut nicht so auffiel, und hier und da eine Autoritätsperson in Blau und Weiß, ein Leutnant oder Decksoffizier.
Es schien nicht lange zu dauern, bis beide Decks» klar «gemeldet hatten.
Bolitho hörte Hauptmann Bouteiller von den Royal Marines mit seinem Leutnant Orde flüstern. Wie die anderen Seesoldaten duckte er sich hinters Schanzkleid, um noch nicht vom Feind gesehen zu werden. Der Anblick eines einzigen roten Rockes hätte gewirkt wie ein Stich ins Hornissennest.
«Breitfock festmachen!«Es mußte den Anschein haben, als verkürzten sie Segel und schickten sich zum Ankern an.