Выбрать главу

Sie beobachtete ihn mit jenem verschleierten Blick, der ihm als erstes an ihr aufgefallen war. Er wirkte wie eine unausgesprochene Frage. Noch immer wußte er nicht genau, wie er sie beantworten sollte.

«Ich schicke Sie zu meiner Schwester Nancy. Sie wird wissen, was zu tun ist. Ihr Mann ist der Gutsherr und Amtsrichter.»

«Aber, Sir, er wird mich.»

«Nein. Ich habe zwar nicht besonders viel für ihn übrig, aber in diesem Fall wird er mich nicht im Stich lassen.»

Er legte ihr seinen Mantel um und wandte sich zur Tür.

«Danke. Ich werde Sie nie vergessen, Sir Richard.»

Er sah Tränen in ihren Augen. Trotz ihres kurzgeschorenen Haares und des zerknitterten Hemdes schien sie ihm schöner als je.»Ich Sie auch nicht, tapfere Zenoria.»

An Deck hatte ihn der verwirrte Hickling erwartet. In Begleitung eines Kameraden war Hickling an Bord gekommen, doch allein würde er das Schiff wieder verlassen. Bo-litho hatte ihm Rock und Seitenwaffe gereicht. Hickling drohte keine Gefahr, was auch geschehen mochte. Niemand konnte einem schlichten Midshipman blinden Gehorsam gegenüber seinem Vizeadmiral vorwerfen.

Am Schanzkleid sagte der alte Tregidgo:»Wie ich höre, dient einer der jungen Stayts unter dir, Dick.»

Bolitho lächelte.»Ja. «In Cornwall blieb nichts lange geheim. Nur die Steuereinnehmer fanden sich vom Nachrichtenstrom abgeschnitten.

In der Dunkelheit hatte Tregidgo zum Skylight gewiesen.

«Na, dann ist sie bei mir auf jeden Fall besser dran.»

«Wieso?»

«Tja, ihr Vater war doch in den Aufstand bei Zennor verwickelt, bei dem ein Mann umkam. Stayt war der Amtsrichter und hat ihren Vater aufhängen lassen. Komisch, daß sein Sohn nichts davon erwähnt hat.»

Darüber hatte Bolitho nachgedacht, als er ins Boot gestiegen war und Allday befohlen hatte, zunächst den Kai anzusteuern. Keen würde ihn sofort nach seiner Rückkehr sprechen wollen, und er brauchte Zeit zum Überlegen.

Wachtposten hatten ihm den Zugang zur Werft versperrt, bis er den Mantel abwarf und sie seine Epauletten erkannten. Allday hatte besorgt auf jeden seiner Schritte geachtet, nur für den Fall, daß er das Gleichgewicht verlor und fiel.

Bei dem Dock, in dem Supreme lag, brannten einige Laternen, in deren schwachem Schein sie fast wie früher aussah.

«Gehen Sie an Bord?«fragte Allday.

«Nein. «Ob er es wegen seines Zustands oder der bösen Erinnerungen halber unterließ, konnte er nicht sagen. Doch er schritt weiter über das holprige Pflaster, bis er das Heck sehen konnte und die Stelle, wo die Kugel eingeschlagen und ihn niedergerissen hatte.

Nun, da er in der Sonne am Fenster stand, schien die Supreme Teil eines nächtlichen Albtraumes zu sein, schrek-kenerregend, aber nicht mehr von Belang. Wieder fiel ihm ein, was Tregidgo über Stayt gesagt hatte. Auf dem Weg zum Oberbefehlshaber war Bolitho mehrere Male versucht gewesen, Stayt direkt darauf anzusprechen. Seinem Flaggleutnant mußte klar sein, daß das Mädchen nicht mehr an Bord war, obwohl Bolitho ihn während der fraglichen Zeit mit der Barkasse an Land geschickt hatte, um seinen guten Ruf zu schützen und zu verhindern, daß er in die Affäre mit hineingezogen wurde. Oder war es schon zu spät? War der Argwohn bereits gesät?

Zwei Lakaien rissen die hohe Doppeltür auf, und Bolitho wandte sich dem Mann zu, der die Öffnung fast ausfüllte: Sir Marcus Laforey, Admiral der Blauen Flotte, war von einer Leibesfülle, die selbst seine makellose Uniform nicht verbergen konnte. Er hatte geschwollene Augenlider und einen breiten Mund, und als er sich mit Mühe zu einem Sessel begab, stellte Bolitho fest, daß eines seiner Beine verbunden war: Gicht, die Plage mancher Admirale.

Admiral Laforey ließ sich behutsam in den Sessel sinken und verzog schmerzlich das Gesicht, als ihm ein Lakai sachte ein Kissen unter den Fuß schob. Im Sitzen sieht er aus wie eine übellaunige alte Kröte, dachte Bolitho.

Der Admiral wedelte mit seinem Taschentuch.»Nehmen Sie Platz, Bolitho. «Seine schweren Lider hoben sich, als er ihn kurz abschätzte.»Unangenehme Sache, was?»

Bolitho setzte sich und gewann den Eindruck, daß sein Sessel bewußt in einiger Distanz aufgestellt worden war.

Laforey hatte einen Landposten nach dem anderen bekommen und seit der Vorkriegszeit kein Schiff mehr kommandiert. Er sah verbraucht und obszön aus, und Malta war vermutlich sein letzter Posten. Den nächsten würde er im Himmel antreten.

«Habe Ihren Bericht gelesen, Bolitho. Prächtig, Ihre Versenkung des französischen Zweideckers. Wird Jobert zu denken geben, was?»

Bolitho packte den Griff seines Degens fester. Da sein Sessel zum Fenster gekehrt stand, konnte er sein Gegenüber nur undeutlich sehen. Er starrte über die fette Schulter des Admirals hinweg und sagte:»Ich glaube, daß die Franzosen bald auslaufen werden, Sir. Jobert plant wahrscheinlich ein Ablenkungsmanöver, damit sich die Hauptflotte aus Toulon wegstehlen kann. Das Ziel wäre dann Ägypten oder die Meerenge von Gibraltar.»

Laforey grunzte.»Reden Sie mir bloß nicht von Gibraltar! Wegen dieses verdammten Fiebers darf nichts und niemand dort an Land. Der Felsen ist wie ein gestrandetes Schiff, dauernd geht bei den Einwohnern oder beim Militär irgendeine Seuche um. «Er fuhr sich mit dem Taschentuch über die Stirn.»Und guter Wein wird knapp. Hier gibt's kaum noch was anderes als den spanischen Dreck, verdammt!»

Er hat mir überhaupt nicht zugehört, dachte Bolitho.

Laforey rührte sich.»Tja, dann kommen wir mal zu dieser Untersuchung.»

«Mein Flaggkapitän wird angeklagt…»

Laforey wackelte mit einem breiten Zeigefinger.»Nein, mein Bester, niemand klagt ihn hier an! Das werden womöglich andere zu tun haben. Aber das Ganze ist doch nur eine Formsache. Die Einzelheiten habe ich zwar nicht gelesen, doch mein Flaggkapitän und dieser Mr. Pullen aus London versichern mir, daß das Verfahren nur Stunden, nicht Tage, dauern wird.»

Bolitho sagte gelassen:»Kapitän Keen ist der wahrscheinlich beste Offizier, der je unter mir gedient hat, Sir Marcus. Er hat seinen Mut und sein Können unzählige Male unter Beweis gestellt. Meiner Auffassung nach hat er das Zeug zum Admiral.»

Laforey hob wieder die Lider. Die kleinen Augen darunter waren kalt und mitleidslos.

«Bißchen jung. Wir haben heutzutage manchen unerfahrenen Springinsfeld, nicht?«Er warf einen Blick auf seinen verbundenen Fuß.»Wenn ich meine Flagge über der Kanalflotte hissen könnte statt hier in diesem, diesem. «Er sah ärgerlich in die Runde,»dann kämen diesen Muttersöhnchen bald die Tränen!«Er wollte sich vorbeugen, doch sein Schmerbauch hinderte ihn daran.»So, Bolitho, was ist nun eigentlich wirklich passiert?«Er sah Bolitho forschend an.»Er hat eine Frau nötig gehabt, stimmt's?»

Bolitho stand auf.»Ich weigere mich, in diesem Ton über meine Offiziere zu sprechen, Sir Marcus.»

Laforey wirkte überraschenderweise erfreut.»Wie Sie wollen. Das Tribunal tritt morgen zusammen. Wenn Kapitän Keen Vernunft beweist, werden Sie ohne weitere Verzögerung wieder auslaufen können. Wir erwarten einen Geleitzug, und ich kann Unfähigkeit wie alles, was das Leben hier noch unerträglicher macht, nicht ausstehen. «Er sah zu, wie Bolitho aufstand.»Wie ich höre, sind Sie verwundet worden, Sir Richard. «Weiter ließ er sich dazu nicht aus.»Aber das gehört wohl zu unserem Dienst.»

«In der Tat, Sir. «Bolitho konnte sich den ironischen Ton kaum verkneifen.»Und es wird noch sehr viel mehr Verwundete geben, wenn es den Franzosen gelingt, ihre Flotten zu vereinigen.»

Laforey zuckte die Achseln.»Ich fürchte, ich muß die Unterhaltung mit Ihnen beenden. Mein Tag ist zu ausgefüllt. Manchmal frage ich mich, ob man sich bei der Admiralität und in Whitehall des Ausmaßes meiner Verantwortung überhaupt bewußt ist.»

Die Besprechung war vorüber.

Bolitho ging durch den Korridor und sah einen Lakai mit einem Tablett, auf dem zwei Karaffen und nur ein Glas standen, zu dem Raum schreiten, den er gerade verlassen hatte. Der Admiral war im Begriff, seine Verantwortung voll wahrzunehmen, dachte er bitter.