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Stayt erwartete ihn in der Empfangshalle. Als er sah, wie Bolitho hinaus über den Hafen schaute, sagte er:»Sie erkundigten sich nach der Benbow, Sir. Sie ist hier von Grund auf überholt worden.»

«Und wessen Flagge hat sie gehißt?»

«Ich dachte, Sie wüßten es, Sir: Sie ist Konteradmiral Herricks Flaggschiff.»

Bolitho wandte sich ab, um seine Gefühle nicht zu verraten. Nun war das Muster komplett. Er ahnte, was kommen würde, noch ehe Stayt sagte:»Konteradmiral Herrick wird im Untersuchungsausschuß den Vorsitz führen, Sir.»

«Ich werde ihn aufsuchen.»

«Das wäre vielleicht unklug, Sir. «Stayts tiefliegende Augen beobachteten ihn ruhig.»Es könnte falsch ausgelegt werden.»

Von Thomas Herrick, seinem besten Freund, der mehr als einmal sein Leben für ihn gewagt hatte? Er konnte Herricks Augen vor sich sehen, klar und blau, gelegentlich trotzig, zu leicht verletzt, aber stets ehrlich. Ehrlich? Das Wort kam ihm bei dieser Intrige wie Hohn vor.

«Wie ich hörte, Sir, erwartet Sie an Bord ein Schreiben«, sagte Stayt.»Sie brauchen bei dem Verfahren nicht zugegen zu sein, Ihre schriftliche Aussage genügt.»

Bolitho fuhr zu ihm herum und sagte scharf:»Werden Sie ebenfalls eine abfassen?»

Stayt hielt seinem Blick stand.»Auch mich hat man als Zeugen vorgeladen, Sir.»

Bolitho war, als sei er in einem Netz gefangen, das stündlich enger zugezogen wurde.

«Ich werde persönlich zugegen sein, darauf können Sie sich verlassen!»

Stayt folgte ihm hinaus in den staubigen Sonnenschein und blieb auf der Freitreppe überm Hafen stehen, als Bolitho fragte:»Dachten Sie vielleicht, ich würde das schweigend hinnehmen?»

«Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann, Sir.»

Bolithos Auge brannte, aber das lag am Zorn, nicht an seiner Verletzung.

«Vorerst nicht. Sie können abtreten. Kehren Sie an Bord zurück.»

Er schritt auf den Kai zu, wo Allday bei seiner Barkasse stand. Stayt mochte ein anderes Boot benutzen.

Die Bootsgasten standen auf und legten grüßend die Hände an die Hüte, als sie ihn erblickten.

«Zur Benbow, bitte«, sagte Bolitho.

Allday ließ sich keine Überraschung anmerken. Herrick war hier. Es war normal, daß sich die beiden trafen, ganz gleich, was andere davon halten mochten.

«Platz da!»

Die grüne Barkasse glitt durch das belebte Hafenwasser, und andere Boote hoben die Ruder oder wichen aus, um den Flaggoffizier vorbeizulassen.

Bolitho saß steif im Heck. Nur seine Augen bewegten sich, als er sich auf vertraute Dinge konzentrierte, Masten und Takelwerk, Seevögel und kleine Wolken über der Festung.

Zur Hölle mit Laforey und seiner trunkenen Indolenz, dachte er, und zur Hölle mit allen, die ihm diese Sache angehängt hatten. Er sah erst zum Schlagmann und dann in die Reihe gebräunter Gesichter. Sie wußten alle Bescheid. Vermutlich wußte die ganze Flotte Bescheid. Aber Bolitho war das nur recht.

Ihm gingen vage Gedanken durch den Kopf — an Belindas Brief, an Stayts kühles Verhalten, als er die Vorladung erwähnte, an Inch und die Männer des Geschwaders, die von ihm erwarteten, daß er über menschliche Regungen erhaben war. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß er sich gegen das Diktat der Obrigkeit auflehnte. Er lächelte verbittert. Der alte Bolitho, der seinen Söhnen immer das strenge Vorbild eines Marineoffiziers gewesen war, hatte sich während einer Belagerung in der Karibik einmal mit dem ranggleichen Kommandeur der Seesoldaten entzweit. Kapitän James Bolitho löste das Problem, indem er den Soldaten wegen Verletzung seiner Dienstpflicht sistieren ließ und dann eine Schlacht begann, die siegreich endete. Hätte er sie verloren, wäre die Marinetradition der Familie zu Ende gewesen, dessen war Bolitho sicher.

Allday murmelte:»Stolz sieht sie aus, Sir Richard.»

Die mit vierundsiebzig Geschützen bestückte Benbow bot in der Tat einen prächtigen Anblick: frisch getrieben, das geteerte Rigg wie schwarzes Glas, Rahen gekreuzt, Segel sauber aufgetucht. Alle Stückpforten standen offen, und es fiel Bolitho nicht schwer, sich ihren furchteinflößenden Donner vor Kopenhagen und später im Kampf gegen das Eingreifgeschwader der Franzosen vorzustellen. Immer wieder plagte ihn die Erinnerung an seine Kriegsgefangenschaft in Frankreich und seine Flucht. Allday war damals an seiner Seite gewesen und hatte den sterbenden John Neale, dessen Schiff untergegangen war, getragen. Ja, im tiefen Rumpf der Benbow ruhten viele Erinnerungen.

Die Barkasse rauschte in weitem Bogen heran, und er sah, wie die Ehrenwache antrat. Sein unerwartetes Eintreffen mußte ihnen Beine gemacht haben. Abermals lächelte Bolitho. Falsch — Herrick mußte eigentlich mit ihm gerechnet haben.

Die Benbow schien bereit zum Auslaufen. Nur noch wenige Hafenboote lagen längsseits, und an nur einer Talje wurde Fracht in schwankenden Netzen zu den Männern auf dem Seitendeck hochgehievt.

«Halte das Boot klar, Allday«, murmelte Bolitho.»Es wird nicht lange dauern.»

Sein Blick fiel kurz in Alldays sonnenbeschienenes Gesicht, als der Bootsführer die schnittige Barkasse behutsam auf die Großrüsten zusteuerte. Bolitho sah mit Entsetzen, wie verkniffen die kräftigen Züge des Mannes waren, und schämte sich, weil er dessen Sorgen um seinen Sohn vergessen hatte.

«Riemen hoch!«Die fahlen Ruder hoben sich triefend, die Blätter perfekt ausgerichtet. Allday hatte seine Leute gut gedrillt. Dann das Fallreep hinauf zum durchdringenden Gezwitscher der Bootsmannspfeifen, zum Rhythmus der Trommeln und Querpfeifen. Tonwolken schwebten wie weißer Staub über den Marinesoldaten, als sie ihm zu Ehren die Waffen präsentierten. Und da kam auch schon Thomas Herrick mit strahlendem Gesicht herbeigeeilt und ließ die Förmlichkeit verwehen wie Pfeifenton.

«Kommen Sie nach achtern, Sir Richard«, rief Herrick. Er lächelte schüchtern.»An den Titel habe ich mich noch nicht ganz gewöhnt.»

Ich auch nicht, dachte Bolitho, als sie unter die vertraute Poop schritten. Hier hatten Männer die Waffen gegeneinander erhoben und waren gefallen. Dort oben hatten Kugeln Matrosen und Seesoldaten umgemäht, und wo nun zwei kleine Kadetten aufmerksam dem Sailing Master lauschten, war er selbst getroffen worden.

In der Achterkajüte war es warm, obwohl Fenster und Skylight weit offenstanden. Herrick eilte geschäftig umher.»Hier stinkt es nach Farbe und Teer wie auf der Werft von Chatham!»

Ein Kabinensteward stellte Pokale auf ein Tablett, und Bolitho, dem das Hemd bereits am Leib klebte, setzte sich unters Skylight. Er sah Herrick voller Zuneigung an. Sein Haar war nun graumeliert, und er wirkte fülliger, was vermutlich am Eheleben und den Kochkünsten seiner Dulcie lag. Doch sonst sah er so aus wie früher: die gleichen klaren blauen Augen und die forschende Neugier, wenn er seinen Freund ansah, der früher einmal sein Kommandant gewesen war in einem Krieg, in dem Meuterei eine ärgere Bedrohung darstellte als der Feind.

«Ich habe den jungen Adam gesehen, als er hier war, Richard.»

Bolitho nahm einen Pokal vom Tablett. Roter Bordeaux. Mit Herricks Beförderung war auch sein Geschmack besser geworden.

«Eine schöne Brigg«, fuhr Herrick fort.»Als nächstes bekommt er eine Fregatte, wie er es sich immer erträumt hat. Falls er keine Schwierigkeiten kriegt. «Er machte eine Pause und blickte jäh besorgt drein.»Na, dann trinken wir mal auf dich, mein Freund, und bleibe Fortuna dir treu.»

Bolitho griff nach seinem Pokal, verfehlte ihn aber und streifte ihn mit der Stulpe. Der Wein floß über den Tisch wie Blut, und als Herrick und der Steward ihm zu Hilfe eilen wollten, sagte Bolitho:»Schon gut, ich komme allein zurecht!«Das klang schärfer als beabsichtigt, deshalb setzte er rasch hinzu:»Entschuldige, Thomas.»

Herrick nickte langsam und schenkte ihm neu ein.

«Ich habe natürlich von deiner Verwundung gehört, Richard, und war schockiert. «Er beugte sich vor und schaute Bolitho zum ersten Mal direkt an.»Aber ich kann keinen Schaden erkennen, außer vielleicht.»

Bolitho senkte den Blick.»Aye, Thomas, außer vielleicht — das sagt alles. «Er leerte den Pokal, ohne es überhaupt zu merken.»So, und nun zu dieser Untersuchung, Thomas.»