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«Der Schiffsarzt der Argonaute ist anwesend. Bitte erheben Sie sich.»

Tuson, dessen weißes Haar im starken Kontrast zu seinem einfarbig blauen Rock stand, überragte alle anderen.

«Wurde die fragliche Frau bestraft?«fragte Jerram.

Tuson musterte ihn düster.»Jawohl, Sir, sie wurde geschlagen. Ausgepeitscht, Sir.»

«Bestraft«, schnappte Jerram.»Wie schwer waren ihre Verletzungen?»

Tuson beschrieb in seinem üblichen gelassenen Tonfall die Wunde auf dem Rücken des Mädchens. Wer in ihm einen durchschnittlichen Schiffsdoktor erwartet hatte, würde bald eines besseren belehrt werden.

«In Lebensgefahr schwebte sie aber nicht?«beharrte Jer-ram.

Tuson starrte ihn an.»Wenn man sie auf dieses Schiff zurückgebracht hätte…«»Bitte beantworten Sie meine Frage.«»Nein, Sir, aber.»

«Setzen Sie sich. «Jerram tupfte sich mit einem Taschentuch den Mund ab.

Bolitho sah sich Keens Profil an. Der Mann wirkte unter der Sonnenbräune bleich. Und verbittert.

Als nächster wurde Stayt aufgerufen. Da es sich nur um einen Untersuchungsausschuß und kein Gericht handelte, konnte Jerram fragen, was er wollte. Ein Kreuzverhör war nicht zugelassen.

«Was geschah, als Sie die Orontes betraten, Leutnant Stayt?»

Stayt begann:»Die Mannschaft war undiszipliniert und betrunken.«»Wer sagte das?»

«Zu dieser Schlußfolgerung gelangte ich selbst.»

«Ich will über Ihre Impertinenz hinweggehen. «Jerram fügte hinzu:»Anscheinend lief gerade eine Bestrafung ab. «Ehe Stayt antworten konnte, sagte er scharf:»Und Sie erhielten Befehl, den Ausführenden zu erschießen, wenn er weitermachte? Ist das korrekt?»

«Die Situation war gefährlich, Sir Hedworth«, sagte Stayt hitzig.»Wir waren ohne Unterstützung.»

«Und, wie es den Anschein hat, auch ohne zuverlässige Zeugen, oder?«Nickend gab sich Jerram selbst die Antwort.»Setzen Sie sich.»

Er schaute kurz in seine Unterlagen, doch Bolitho hatte das Gefühl, daß er jede Einzelheit auswendig wußte.

Das Verfahren wirkte korrekt, doch ohne Erwähnung dessen, was sich zuvor und seitdem zugetragen hatte — Verlust der Supreme, Verwundung des Vizeadmirals —, und ohne Keens Version des Vorfalls ergaben die Aussagen keinen Sinn. Laut Dienstvorschrift sollte der Ausschuß Tatsachen feststellen, doch hier wurden viele Fakten unterdrückt.

Jerram fuhr fort:»Jedenfalls unterblieb der Versuch, die Frau zurück auf den Transporter zu bringen. Der Kapitän der Orontes wurde vor seiner Mannschaft gedemütigt. «Er ging mit vernehmlichen Schritten ans andere Ende des Tisches.»In Gibraltar wurden die anderen Frauen ausgebootet, doch die Gefangene blieb unter Kapitän Keens >Fürsor-ge< an Bord.»

Im Hintergrund kicherte jemand.

«Mehr noch: Eine Negerin wurde an Bord genommen, um der Strafgefangenen als Zofe zu dienen. «Sein goldbetreßter Ärmel schoß vor.»Bitte stehen Sie auf, Kapitän Keen! Bestreiten Sie diese Tatsachen? Leugnen Sie, eine Strafgefangene für Ihre eigenen Zwecke, über die wir hier nur Vermutungen anstellen können, von Orontes entfernt zu haben?»

Keen erwiderte bitter:»Ich holte sie von diesem Schiff, weil sie dort wie ein Tier behandelt wurde!»

«Und das regte Sie, einen Offizier des Königs, mächtig auf!»

Bolitho sprang auf.

Herrick schaute ihn an, nahm anscheinend zum ersten Mal von ihm Notiz.»Ja, Sir Richard?»

«Wie kann es dieser Offizier wagen, meinen Flaggkapitän zu verhöhnen? Ich werde keine weitere Beleidigung dulden, ist das klar?»

«Höchst unorthodox«, bemerkte Jerram und warf Laforey einen Blick zu.

Laforey grunzte.»Ach was, machen wir weiter. Sagen Sie Ihren Vers auf, Sir Richard, wenn's unbedingt sein muß. Wie ich höre, sind Sie ein Hitzkopf.»

Diese Bemerkung, wenngleich unbeabsichtigt, schien der Konfrontation die Schärfe zu nehmen.

Bolitho fuhr ruhiger fort:»Kapitän Keen ist ein guter und tapferer Offizier. «Er drehte sich um und zeigte ihnen den goldenen Orden auf seiner Brust, den auch Nelson mit Stolz trug.»Zu meinem Flaggkapitän wählte ich ihn wegen seiner Verdienste und weil ich ihn persönlich kenne. «Er spürte, wie Jerrams Selbstvertrauen zurückkehrte. Jerram würde gleich darauf hinweisen, daß solche Kriterien bei der Wahl eines Flaggkapitäns belanglos waren. Sofern er zu Wort kam. Bolitho war ein geschickter Fechter, dafür hatte sein Vater gesorgt. Keine andere Waffe wußte er so gut zu gebrauchen. Er hatte nun das Gefühl, ein Duell auszufechten: Lasse den Gegner die Kraft deines Armes prüfen, täusche ihn und stoße zu, wenn er aus dem Gleichgewicht ist.

Laforey sagte:»Wir brauchen die Gefangene doch nur wieder in Gewahrsam zu nehmen. Kapitän Keen kann sich für sein Verhalten später verantworten. Immerhin stehen wir im Krieg, Gentlemen.»

Wie in der Schlacht spürte Bolitho einen eiskalten Schauer im Rücken.»Warum befragen Sie mich eigentlich nicht, Sir Hedworth?»

Jerram starrte ihn einige Sekunden lang finster an.»Meinetwegen, Sir Richard. Offenbar müssen wir hier Zeit vergeuden. Wo ist die Gefangene?»

«Vielen Dank, Sir. «Bolithos linkes Auge brannte, und er hoffte, es würde ihn nicht ausgerechnet jetzt im Stich lassen.»Sie ist unter meinem Schutz nach England zurückgekehrt. Ich habe ihre Überfahrt bezahlt und werde die Rechnung vorlegen, falls Sie beabsichtigen, auch mich vor ein Kriegsgericht zu stellen. Kapitän Keen brachte sie auf meinen Befehl hin von der Orontes aufs Flaggschiff. Glauben Sie etwa, ein Flaggkapitän könne ohne Zustimmung seines Ad-mirals handeln?«Er sah Keen kurz ins Gesicht.»Ich gab meine Zustimmung. «Dann sprach er weiter:»Die junge Frau war unschuldig in die Verbannung geschickt worden, und das werde ich auch beweisen, Sir Hedworth, vor einem Gericht, das weit glaubwürdiger ist als diese Scharade hier! Woher wollen Sie wissen, was der Kapitän der Orontes sagte oder nicht sagte? Der Mann ist ja schon auf halbem Weg nach New South Wales!«Sein Ton wurde schärfer.»Sie werden die Wahrheit erfahren, Gentlemen, wenn die Beweise vorgelegt werden, darauf können Sie sich verlassen. Dann werden Sie sehen, was neidische, ehrlose Männer aus Rachsucht fertigbringen!»

Pullen stand auf.»Sie übernehmen also die Verantwortung, Sir Richard?»

Bolitho, inzwischen wieder gelassen, wandte sich an ihn.»Jawohl. Kapitän Keen steht unter meinem Kommando, bis ich gegenteilige Befehle erhalte. «Er sah die Gestalt in Schwarz so fest an, wie er konnte.»Wenn Sie Ihren Vorgesetzten in London Meldung erstatten und ihnen von meinen Absichten berichten, mögen Sie von der Reaktion überrascht sein. Aber ich hoffe, daß Sie dann ebensolchen Eifer an den Tag legen wie bei der Verfolgung eines jungen Mädchens, das bereits eine maßlos brutale Behandlung erduldet hat. «Er schaute wieder zu Keen hinüber.

Laforey fragte gereizt:»Warum erfuhren wir das nicht früher?»

Bolitho bemühte sich, nicht mit dem schlimmen Auge zu zwinkern.»Einige Herren waren zu erpicht darauf, mir auf diesem Umweg Schaden zuzufügen, Sir Marcus.»

Jerram wischte sich das Gesicht.»Ich kann die Verhandlung so nicht weiterführen, Sir. «Er schaute Herrick an.»Jedenfalls zu diesem Zeitpunkt nicht.»

Herrick machte den Mund auf und schaute dann zur Tür, als ein Leutnant eintrat und nervös auf ihn zukam. Er reichte ihm ein Stück Papier.

Bolitho blieb stehen. Er mochte seine Karriere ruiniert haben, aber Keen und seine Zenoria waren jetzt entlastet.

Herrick schaute auf.»Das sollten Sie lesen, Sir Richard.»

Bolitho nahm das Papier entgegen und las es langsam und gründlich, spürte dabei, daß aller Augen auf ihm ruhten. Er fühlte die zunehmende Spannung, die bald so intensiv war wie seine Verzweiflung, sein Zorn.

Er sah sich in der Kajüte um und sagte leise:»Der bewaffnete Schoner Columbine ist eingelaufen. «Er sprach so gedämpft, daß einige die Hälse reckten, um ihn besser verstehen zu können.»Mein Geschwader wurde vergangene Woche angegriffen. «Er sah Jerram ausdruckslos an. »Helicon unter Kapitän Inch wurde stark beschädigt, und ihre Besatzung erlitt schwere Verluste. «Keens anziehendes Gesicht war plötzlich schmerzerfüllt. Bolitho sprach mit belegter Stimme weiter.»Was wir befürchtet haben, ist eingetreten. Jobert brach aus, und mein Geschwader griff ihn an. Aber als ich gebraucht wurde, war ich hier.«Er griff nach seinem Hut.»Wie Sir Marcus sagte, stehen wir im Krieg. Es ist eine Schande, daß manche das noch nicht begriffen haben.»