Drei, höchstens vier Tage. Das mußten sie schaffen.
Er sah auf. »Benbow lief aus Malta aus, um zwei Handelsschiffe nach England zu geleiten. Als zusätzliche Eskorte gab man Konteradmiral Herrick eine Fregatte mit.»
«Welch ein Aufwand für zwei Schiffe!«rief Keen aus.»Und von uns erwartet man, daß wir zurechtkommen mit.»
Bolitho hob die Hand.»Ich hätte es viel früher erkennen sollen, Val. Den entscheidenden Hinweis gab mir Inchs Erster Offizier nach dem Gefecht. «Er sah den erschöpften Leutnant mit dem verbundenen Kopf noch deutlich vor sich: Schade, daß wir nicht einen zusätzlichen Ladebaum haben wie der Franzose. Fast konnte er Savills Stimme hören. Der Mann hatte den Baum gesehen, aber seine Bedeutung nicht erkannt.
«Diese Handelsschiffe haben Gold und Edelsteine vom Sultan an Bord«, sagte Bolitho. Am liebsten hätte er auf den Tisch geschlagen, um ihnen die Ungeheuerlichkeit seiner Entdeckung und Joberts Absichten klarzumachen.»Jobert plant, diesen Geleitzug anzugreifen und das Gold auf See zu übernehmen. Will er dazu nach Korsika, Val? Wohl kaum. Er hatte das Gold von Anfang an im Auge, aber ich war ihm im Weg. Und dieser Weg ist jetzt frei.»
Bolitho schaute Quarrell an.»Begeben Sie sich zurück auf Ihr Schiff und erwarten Sie neue Befehle.»
Quarrell trat zurück.»Das — tut mir leid, Sir Richard.»
Bolitho musterte ihn gelassen.»Ihren Leutnant hatte er schon überzeugt. Uns hätte es leicht ebenso ergehen können.»
Als sich die Tür schloß, sagte Keen:»Noch wissen wir nichts Definitives, Sir.»
Stayt fügte hinzu:»Andererseits — wenn sich die Franzosen wirklich bei Korsika befinden und wir es versäumen, sie ausfindig zu machen.»
Bolitho schaute an ihm vorbei.»Ich bin meiner Sache ganz sicher, Gentlemen. Für diese Entscheidung wird man mich verantwortlich machen.»
Er trat erneut an die Karte. Keen versuchte offenbar, ihn zu warnen und zu schützen. Wenn sie weiter ihrem bisherigen Kurs folgten, konnte niemand ihnen einen Vorwurf machen. Wenn er sich aber von seinem Instinkt leiten ließ, von dieser sonderbaren Überzeugung, daß er ein Rendezvous mit dem Schicksal hatte, mochte er sich fatal irren.
«Meiner Schätzung nach haben wir zwei Tage Zeit. Und nicht mehr. «Er berührte die Karte mit den Spitzen des Stechzirkels.»Wenn das Wetter so bleibt, sollten wir ungefähr hier auf den Geleitzug treffen. «Während sie sinnlos die zerklüftete Küste von Korsika abgesucht hätten, wäre das Gold geraubt worden und Herrick mit seinen Männern gestorben.
Bolitho hob die Stimme.»Mr. Yovell, Sie Federfuchser! Kommen Sie, ich möchte meine Gefechtsanweisungen diktieren.»
Yovell kam lächelnd herbeigelaufen, als sei ihm gerade ein Ehrentitel verliehen worden.
Bolitho schaute Stayt an.»Der Signalfähnrich soll sich bereithalten. «Das war wohl Sheaffe.
Als er mit Keen allein war, erläuterte er:»Der Wein und der Cognac warnten mich. Unvorstellbar, daß Jobert so etwas gegen Öl eintauscht, es sei denn, er wollte, daß wir davon erfahren. Vielleicht war er diesmal doch zu selbstsicher.»
Keen bezweifelte, daß Quarrells Informationen überhaupt feste Schlüsse erlaubten. Bolithos Stimmungsumschwung, seine plötzliche Zuversicht, die ihn sogar mit seinem Sekretär scherzen ließ, beunruhigten ihn.
«Dann kommt es also zum Kampf«, sagte er schlicht.
Bolitho ergriff ihn am Arm. Keens Tonfall hatte aus einer vagen Strategie eine brutale Realität gemacht.
«Den wir gemeinsam bestehen werden, Val«, sagte er leise.
Keen nickte. Doch dabei hatte er Zenorias Gesicht vor Augen und empfand zum ersten Mal Angst.
Commander Adam Bolitho strich sich das widerspenstige Haar aus den Augen und sah zu den Männern hoch, die auf den Rahen arbeiteten. Die robuste Brigg Firefly legte sich auf Steuerbordbug hart über, die See schäumte bis zu den verschlossenen Stückpforten hinauf und zischte in Kaskaden an den Speigatten der Leeseite entlang.
Er trug nur Hemd und Hose, und die klebten ihm am Leib wie eine nasse Haut. Am liebsten hätte er gelacht oder gesungen, als die Brigg, sein Schiff, tief in ein Wellental tauchte und eine Gischtwolke aufwarf.
Er wartete, bis der Bug sich wieder hob, und ging dann zum Kompaß. Das Schiff lief nach Osten und hatte die Balearen irgendwo an Backbord hinter dem Horizont.
Wieder ging es abwärts, und ein riesiger Gischtvorhang wehte übers Vorschiff, wo andere an den Brassen hievten.
Adams Erster Offizier, ein junger Mann in seinem Alter, löste sich schwankend von der Reling und schrie:»Sollen wir reffen, Sir?»
Adam lachte mit weißen Zähnen.»Nein, noch nicht!»
Der Leutnant zog eine Grimasse. Dieser junge Kommandant ließ es immer drauf ankommen.
Adam ging rastlos auf dem Poopdeck hin und her, während seine Firefly sich in der groben See aufbäumte. Noch vor wenigen Tagen hatten sie im Schatten des Felsens von Gibraltar gelegen, bereit, das winterliche England anzusteuern. Doch dann hatte er Befehl erhalten, sofort nach Malta zurückzukehren.
Das Fieber in Gibraltar war vorbei. Die Depesche in Adams Stahlkassette wies den Admiral auf Malta an, einen Geleitzug am Auslaufen nach England zu hindern. Falls er aber bereits unterwegs war, sollte sich Adam dem ranghöchsten Offizier des Geleitzugs unterstellen. Bei diesem Gedanken mußte er grinsen. Das war Konteradmiral Herrick, für ihn eher ein gütiger Onkel als ein Flaggoffizier.
Adam war erregt. Er hatte sein Schiff und die See für sich. Die Franzosen waren ausgelaufen; ein Geschwader unter Konteradmiral Jobert war gemeldet worden. Wenn es ihm gelungen war, sich an dem Geschwader seines Onkels vor-beizustehlen, dann wurden dessen Schiffe nun in Gibraltar gebraucht, um die Meerenge zu verschließen und Jobert den Weg in den Atlantik zu versperren: ein gigantisches Katz-und-Maus-Spiel.
Adam wischte sich die Gischt von den Lippen. Ein Spiel für Admirale und pompöse Linienschiffe. Hier hingegen… Er trat an die Heckreling und starrte ins schäumende Kielwasser. Unter seinen Füßen lag seine Kajüte, ein unvorstellbarer Luxus: ein Raum für ihn allein.
Er fragte sich plötzlich, wie das Verfahren in Malta ausgegangen war. Ließ sich denken, daß auch Kapitän Keen vom Fluch der Bolithos getroffen und aus Neid oder Rachsucht von seinem Posten vertrieben wurde? Vor kurzer Zeit hatten sie das nach England bestimmte Handelsschiff Lord Egmont passiert, und Adam hatte sich so seine Gedanken gemacht. Es war seinem Onkel zuzutrauen.
«Schiff in Luv!«rief der Ausguck.
Morrison, der Erste Offizier, eilte zu den Webleinen, doch Adam sagte:»Nein, ich entere selbst auf. «Als Midshipman war er immer gern in der Takelage herumgeturnt. Der Wind zerrte an seinem Hemd, als er rasch nach oben kletterte. Einmal hing er rücklings in den Wanten und sah hinunter aufs Vorschiff, wo die See über die Reling kochte, ehe sie an Deck sprang und die schwarzen Vierpfünder umspülte.
Er wünschte sich schon lange eine Fregatte, wollte es seinem Onkel nachtun, der einmal der beste Fregattenkapitän der Flotte gewesen war. Doch wenn er sich seine muntere Firefly betrachtete, konnte er die Vorstellung, sie einmal abgeben zu müssen, kaum ertragen.
Der Ausguckposten saß bequem im Krähennest und sah verwundert drein, als sich sein junger Kommandant gelenkig zu ihm gesellte.
Adam zog sein Teleskop unterm Gürtel hervor und versuchte, es nach Backbord auszurichten.
Der Ausguck, einer der ältesten Matrosen auf dem Schiff, sagte heiser:»Ich glaube, es sind zwei, Sir. «Er hob die Stimme kaum, war aber trotz des Lärms deutlich zu verstehen. Viele Jahre auf Schiffen aller Art hatten ihn das gelehrt.
Adam schlang ein Bein um ein Stag und versuchte es noch einmal. Der Mast schwang so heftig hin und her wie eine riesige Peitsche.
«Da ist es!«rief er aus.»Sie haben gute Augen, Marley!»
Der Matrose grinste. Er brauchte kein Teleskop. Und er mochte den neuen Kommandanten. Dem Aussehen nach allerdings ein Frauenheld, dachte er.