Die Flaggen wurden hastig hochgezogen, und Bolitho verschränkte die Hände auf dem Rücken, damit sie nicht zitterten.
«Bestätigt, Sir!«Stayt erschien lautlos wie eine Katze.
Das ferne Grummeln rollte übers Wasser heran, seine Ursache lag aber noch weit hinterm Horizont.»Ins Gefecht kommen wir erst morgen vor Sonnenaufgang«, sagte Bo-litho. Dabei mußte er einkalkulieren, daß der Sturm die Schiffe nach Einbruch der Dunkelheit zerstreute. Benbow konnte es leicht mit nordafrikanischen Freibeutern oder Korsaren aufnehmen, hatte aber gegen Joberts Geschwader keine Chance. Er neigte den Kopf, als es wieder donnerte. Nur wenige Schiffe, vielleicht zwei. Was konnte das bedeuten?
«Signal ans Geschwader: Klar zum Gefecht. Die Männer sollen heute nacht bei ihren Kanonen schlafen.»
Als er den Knauf des alten Degens berührte, durchlief ihn ein Schauer. Es kam ihm wie gestern vor, daß er mit Adam in Portsmouth zum Hafen gegangen war. Damals hatte er sich umgedreht, als suche er etwas. Vielleicht hatte er gewußt, daß er die Stadt zum letzten Mal sah.
XVI Heißt Gefechtsflagge!
Konteradmiral Thomas Herrick stand in Luv an den Netzen und sah zu, wie die Matrosen der Benbow an den Brassen hievten, um die Rahen zu trimmen, an denen die gerefften Marssegel ausgeschüttelt worden waren.
Bei dem launischen Wind schien alles eine Ewigkeit zu dauern; Segelmanöver hatten den ganzen Tag in Anspruch genommen und ihre Kräfte erschöpft. Nun lag endlich die Südspitze Sardiniens fünfzig Meilen an Steuerbord achteraus. An Backbord hatten sie in vergleichbarer Entfernung Afrika.
In Lee der Benbow rollten die zwei schweren Handels — schiffe Governor und Prince Henry. Über den Wert ihrer Ladung konnte Herrick nur Vermutungen anstellen. Wieder einmal dachte er an Bolithos Gesicht in der Kajüte seines Schiffes, das einmal so stolz seine Flagge geführt hatte. Er konnte die Bitterkeit in seiner Stimme, die rücksichtslose Verachtung, mit der er den ganzen Ausschuß zum Teufel gewünscht hatte, nicht vergessen.
Ein seltsamer Zufall, daß Admiral Sir Marcus Laforey beschlossen hatte, ausgerechnet auf der Benbow nach England zurückzukehren. Die Geschäfte auf Malta hatte er seinem Flaggkapitän überlassen, doch angesichts seiner Eß-und Trinkgewohnheiten war es unwahrscheinlich, daß er jemals dorthin zurückkehren würde.
Herrick hörte, wie sich Kapitän Dewar mit dem Sailing Master unterhielt, und seufzte. Es war Zeit, daß er sich mit seinem Flaggkapitän aussprach, denn Dewar war ein vorzüglicher, gewissenhafter Offizier. Herrick gab sich selbst die Schuld für die Verstimmung zwischen ihnen. Seit der Verhandlung war er miserabler Laune gewesen.
Er spürte Gischt im Gesicht und spähte nach Steuerbord voraus, wo seine einzige Fregatte taumelnd wie ein Schiff in Seenot erneut wendete, um sich in Luv von ihnen zu halten. Es war die Philomel mit sechsundzwanzig Kanonen, die in Malta eigentlich für eine dringend notwendige Überholung vorgesehen war. Doch die bedenkliche Nachricht von Joberts Beutezug war dazwischengekommen.
Herrick verschränkte die Hände auf dem Rücken und dachte an Inch, auch einen langjährigen Freund. Lebte er noch? Kaum vorstellbar, daß er vor den Franzosen die Flagge gestrichen hätte.
Kapitän Dewar trat zu ihm.»Sollen wir für die Nacht beidrehen, Sir?»
Herrick schüttelte den Kopf. Wieder hob sich das Deck unter ihm, und seine stämmigen Beine glichen die Bewegung gewohnheitsmäßig aus. Anders als Bolitho ging er nur selten auf und ab. Er stand lieber fest und spürte sein Schiff, war schon vor langer Zeit zu dem Schluß gekommen, daß er so besser denken konnte.
«Nein, wir brauchen mehr Seeraum. Die Handelsschiffe sollen Laternen setzen, damit wir die Formation halten können. Philomel wird allein zurechtkommen müssen.»
Dewar schätzte die Lage ab wie ein Jäger, der vor dem ersten Schuß einen Finger in den Wind hält.»Glauben Sie, daß Vizeadmiral Bolitho auf Jobert gestoßen ist, Sir?»
«Falls nicht, steht er zumindest zwischen uns und dem Feind. «Plötzlich mußte Herrick an die achthundert Meilen denken, die noch vor ihnen lagen, ehe sie unter den Kanonen von Gibraltar vor Anker gehen konnten. Dort bekamen sie wenigstens eine Atempause und vielleicht eine weitere Eskorte.»Unser Dick schafft es bestimmt«, fügte er hinzu.
Dewar musterte ihn neugierig, schwieg aber. Anscheinend vertrugen sich die beiden wieder.
Gerade als Herrick erwog, sich in seine Kajüte zurückzuziehen, wo Laforey seine Gicht mit Alkohol betäubte, rief der Ausguck:»Geschützfeuer im Westen!»
Der Schall mußte ihn auf seinem hohen Sitz rascher erreicht haben, denn Herrick hörte erst jetzt das ferne Krachen von Kanonen und den vereinzelten Knall leichterer Waffen. Plötzlich wurde sein Kopf so klar, als habe er ihn in Eis wasser getaucht.
«Klar zum Gefecht, Kapitän Dewar. Und Signal an Geleitzug: aufschließen. «Als die Pfeifen schrillten und die sechshundert Matrosen und Seesoldaten der Benbow alles stehen und liegen ließen, um hastig dem Signal der Trommeln zu folgen, fluchte Herrick lautlos in sich hinein: Sonne und Wind — alles war gegen sie. Trotzdem zwang er sich, eine Zuversicht zu zeigen, die er nicht empfand. Auf wen wurde da geschossen? Die Detonationen waren noch weit entfernt, aber der Wind trug ihre düstere Botschaft zu ihnen.
«Philomel soll erkunden, was dort vorgeht. «Nervös verschränkte Herrick die Finger auf dem Rücken. Die kleine Fregatte konnte kehrtmachen und rechtzeitig mit dem Wind fliehen, wenn sie in Gefahr geriet. Schade nur, daß er ihren Kommandant nicht näher kannte. Er hatte lediglich herausgefunden, daß er Saunders hieß. Herrick schritt zur anderen Seite und sah das ihnen fernerstehende Handelsschiff die Bramsegel setzten, um näher aufzuschließen. Mein Gott, sie sehen aus wie schlachtreifes Mastvieh, dachte Herrick deprimiert. Dann hörte er, wie der Erste Offizier die Mannschaft zu besonderer Anstrengung anspornte. Jedem Mann war bewußt, daß sie zwei Admirale an Bord hatten.
Herrick erwog seine Möglichkeiten. Zurück nach Malta? Das war bei günstigstem Wind vierhundert Meilen entfernt, und bei Tageslicht würden die Franzosen ihn bald gefunden haben. Also den gegenwärtigen Kurs beibehalten? Dann bestand immerhin die Chance, daß der Feind von herbeigeeilter Verstärkung in ein Gefecht verwickelt wurde oder daß sie ihm im Schutz der Nacht entkommen konnten.
«Wir drehen über Nacht bei, Kapitän Dewar«, sagte er.
Er wandte sich zum westlichen Horizont, wo der Sonnenuntergang bereits in dunklem Rot glühte, und bemerkte einen nervösen Leutnant aus Laforeys Stab in seiner Nähe. Der Mann sagte schüchtern:»Mein Admiral weiß nicht, wo er bleiben soll, seit das Schiff klar zum Gefecht gemacht hat.»
Herrick verkniff sich eine unhöfliche Entgegnung. Zu viele Ohren hörten mit. Ruhig erwiderte er:»Tut mir außerordentlich leid, aber unter dieser Unannehmlichkeit haben wir alle zu leiden.»
Eine helle Stimme schrillte vom Großmars herab:»An Deck! Zwei Linienschiffe im Westen! Sie führen die französische Flagge, Sir!»
Herrick musterte rasch sein Deck. Alle Geschütze bemannt, die drei Divisionen bereit, an ihren Masten Segel zu kürzen oder zu setzen. Die Seesoldaten kampfbereit an den Finknetzen und in den Marsen. Benbow konnte und würde sich wie schon oft tapfer schlagen. Zum Glück waren in der Mannschaft viele ausgebildete, erfahrene Seeleute. Zwei zu eins: das Kräfteverhältnis war akzeptabel.
Philomels Masten legten sich hart über, als sie sich durch den Wind kämpfte, bis sich auf dem anderen Bug ihre Segel wieder füllten. Herrick lächelte grimmig. Bolitho hatte Fregatten schon immer geliebt, er hingegen bevorzugte ein solides, kraftvolles Linienschiff unter den Füßen.
Wieder meldete sich der Midshipman:»Ein kleines Schiff greift die Franzosen an, Sir!«Seine schrille Stimme überschlug sich.»Eine Brigg, Sir!»