Sie starben alle, und nur wegen zweier Schiffe voll verdammtem Gold.
Er brüllte:»Eröffnen Sie das Feuer mit den Neunpfün-dern, Mr. Valancey! Zielen Sie auf die Poop!»
Da — schwache Hochrufe! Mehr Männer schwärmten vom unteren Batteriedeck aus, angeführt von Leutnant Chaytor mit gezücktem Degen.
Die Neunpfünder ruckten an ihren Taljen binnenbords und feuerten Kartätschen in den Bauch. Keen sah einen Matrosen auf sich zurennen und stellte verdutzt fest, daß es sich um einen Feind handelte, einen einsamen Seemann, der vom Rest der Entermannschaft abgeschnitten worden war.
Keen sprang auf ihn los, obwohl er den Fremden nur wie durch einen Schleier von Schmerz und Wut sah. Hogg war tot, und Bolitho würde bei der Führung des Gegenangriffs bald fallen oder gefangen werden.
Der französische Matrose zielte mit einer Pistole auf Keen, aber der Hammer klickte leer. Er starrte die nutzlose Waffe wild an, warf sie weg und hob dann das Entermesser.
Er war jung und leichtfüßig, rechnete aber nicht mit Keens Geschick. Dieser parierte die schwere Klinge, während die Wucht des eigenen Schlages den Angreifer an ihm vorbeitaumeln ließ. So konnte Keen ihm ins Genick hacken, und als er schreiend stürzte, hieb er noch einmal zu.
Als er sich abwandte, fiel sein Blick aufs Vorschiff. Dort spielte sich die gräßlichste Szene von allen ab.
Der verwundete Kapitän Inch, nackt bis auf die Breches, eilte zum Backbord-Schanzkleid, und sein blutiger Armstumpf zuckte, als er mit der anderen Hand den Degen schwang und schrie:»Haltet stand, Männer der Helicon!«Mühsam rang er sich die Worte ab, der Wundschmerz ließ sie gepreßt klingen. Doch seine Stimme hob sich über das Klirren der Waffen und die Schreie der Sterbenden:»Zu mir, Jungs! Verjagt die Enterer von unserer Helicon!»
Keen wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus den Augen.
«Mein Gott, er glaubt, wieder auf seinem eigenen Schiff zu sein!»
Lange konnte es nicht mehr dauern. Die dichtgedrängte, trampelnde Masse der Verteidiger wurde zurückgedrängt, französische Enterer kämpfen schon zwischen den Leichen auf dem Hauptdeck.
Ein unbewaffneter Midshipman hielt sich die Ohren zu und rannte wie von Sinnen auf einen Niedergang zu.
Das war Hext, sah Keen, einer der Jüngsten an Bord. Als er das Luk erreichte, glitt er in einer Blutlache aus und fiel platt hin. Ein großer Franzose sprang mit langen Sätzen auf ihn los und schwang schon das Entermesser. Der Junge drehte sich auf den Rücken und starrte ihn an. Er wehrte sich weder, noch flehte er um Gnade; er lag einfach da und wartete auf den Tod.
Doch Inch war zur Stelle, stieß dem Matrosen die Klinge in die Rippen und riß ihn herum, wobei das Gewicht des Mannes ihm den Degen entwand. Der Seemann fiel neben Hext hin, und seine nackten Füße trommelten auf die Planken.
Keen sah eine Pike aus dem Rauch vorstoßen. Sie traf Inch im Rücken. Als er in die Knie brach, wurde die Pike herausgezogen und noch einmal in ihn hineingetrieben.
Auch Bolitho wurde Zeuge, wie Inch fiel. Über die wankenden, erschöpften Gestalten hob er den Blick zu Keen, der ihn anschaute. Einen Augenblick schien die Schlacht zu verstummen. Dann drängte sich das Gebrüll wieder dazwischen. Bolitho fuhr herum und fand sich einem französischen Leutnant gegenüber.
Grimmig hieb er die Klinge des jungen Offiziers beiseite, packte ihn dann am Rockaufschlag und rammte ihm den Handschutz gegen den Unterkiefer. Der Leutnant torkelte zur Seite und schrie vor Entsetzen auf, als Alldays breites Entermesser herabzuckte wie ein Schatten vor der Sonne.
Allday riß die Klinge aus dem Sterbenden und keuchte:»Wir können sie nicht aufhalten!»
Bolitho sah seine Männer zurückweichen; sie selbst waren hier vorn abgeschnitten, denn auf beiden Seitendecks kämpften schon Franzosen.
«Haltet aus, Leute!«schrie Bolitho. Ein Matrose fiel auf die Knie und versuchte, eine blitzende Klinge von sich abzuwehren. Dann sah er seine abgehackte Hand neben sich an Deck fallen und schrie auf. Bolitho machte einen Ausfall über den Verwundeten hinweg und spürte zunächst Widerstand, doch dann glitt die Spitze seiner Waffe an dem Kreuz-bandelier des Franzosen ab und in seine Brust.
Er drehte sich um, wollte Matrosen und Seesoldaten um sich sammeln, sah dann aber einen riesigen Schatten über die Rauchwolken ragen.
«Es geht längsseits!«krächzte Allday.»Noch so ein verdammtes Schiff!»
Einer der französischen Zweidecker mußte sich freigekämpft haben und seinem Admiral zu Hilfe gekommen sein.
Wilder Jubel klang auf. Bolitho sah, daß der Neuankömmling den Besanmast verloren hatte. In seiner Bordwand brüllten die Geschütze auf, und die Wucht ihres Rückstoßes übertrug sich bis aufs Deck der Argonaute.
Es war unglaublich, ein Traum! Aber die strenge Galions-figur mit Brustpanzer und vorgerecktem Schwert ließ keinen Zweifel mehr zu: Das war die Admiral Benbow!
Unter Hochrufen und Geschrei stürmten Herricks Seesoldaten und Matrosen, die den Kampf um den Geleitzug offenbar gewonnen hatten, herüber wie eine Flutwelle.
Jäh wurde Bolitho von der neugewonnenen Kraft der Argonauten vorangetragen und fiel beinahe ins strudelnde Wasser, als zwei Seeleute ihn grob packten und über die Reling auf den Bugspriet hoben. Die Franzosen, von Ben-bows Männern und Keens Besatzung in die Zange genommen, zogen sich bereits auf ihr eigenes Schiff zurück, waren aber dem Feind gegenüber, der tiefer als sie stand, noch im Vorteil.
Bolitho hörte Bouteiller brüllen:»Seesoldaten, legt an!«Die Männer in den roten Röcken mochten benommen und wie von Sinnen sein, aber die vertraute Disziplin war stärker als alles. Sie standen oder knieten auf dem gegenüberliegenden Seitendeck und hoben die Musketen wie ein Mann. Einer sank tot aus dem Glied, doch niemand zuckte mit der Wimper. Die Vergeltung kam später. »Feuer!«brüllte Bouteiller.
Die Salve fegte in die dichtgedrängten Enterer. Ehe sich die Überlebenden von den Toten befreit hatten, griffen die Seesoldaten schon kreischend wie Dämonen mit aufgepflanzten Bajonetten an.
Bolitho suchte auf dem breiten Bugspriet mit den Beinen Halt und starrte ungläubig auf das Deck unter sich, die Back der Leopard. Den Degen mit einer Schlinge am Handgelenk, ließ er sich hinunter.
Jenseits des Rauchvorhangs wurde weiter gefeuert. Ob da Schiffe noch im Nahkampflagen oder schon auf das Flaggschiff des französischen Konteradmirals zuhielten, konnte Bolitho nicht beurteilen. Ein Flaggschiff sollte führen. Nun aber war es zu einem Leuchtfeuer geworden, das in ein Schlachthaus lockte. Um ihn herum fochten und starben Männer; er hatte Zeitgefühl und Orientierung verloren. Manchmal drängten sich Leiber an ihn, dann erkannte er vertraute Gesichter. Jemand rief sogar:»Da ist der Admiral, Jungs!«Ein anderer brüllte:»Bleib bei uns, Dick!»
Es war wild, furchteinflößend, doch auch berauschend wie schwerer Wein. Bolitho kreuzte die Klingen mit einem französischen Leutnant und entwaffnete ihn zu seinem Erstaunen mit Leichtigkeit. Er hätte es dabei bewenden lassen, doch ein Seesoldat blieb stehen und starrte den furchtsam zurückweichenden Offizier finster an.»Das ist für Kapitän Inch!«rief er. Sein Stoß warf den Leutnant gegen die Reling, und aus seinem Rücken ragte rot die Spitze des Bajonetts.
Bolitho fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Es war unerträglich heiß, und der Schweiß blendete ihn.
Dann stand er auf den vernarbten Planken des breiten Achterdecks, die Keens Kartätschen zerfurcht hatten. Am unbemannten Ruder lagen Leichen. Doch andere Franzosen stellten sich noch der Welle der Enterer entgegen.
Ein Matrose unterlief ein Bajonett und sprang auf Allday zu. Der starrte den Franzosen an und holte weit mit dem Entermesser aus. Dabei hätte er fast gelacht, denn sein Angreifer schien es ihm so leicht zu machen.
Doch als er die Klinge hob, schrie er plötzlich auf. Der Schmerz der alten Wunde brannte wieder in seiner Brust, machte ihn hilflos und bewegungsunfähig.
Bolitho war durch eine Kanone von Allday getrennt, stürzte aber mit ausgestreckter Klinge auf ihn zu.