Oft dachte er an die vertrauten Gesichter, die er nie wiedersehen würde. Vor allem an Kapitän Inch, der im Kampf für seine Männer gestorben war. Kapitän Montresor war noch im letzten Augenblick gefallen, als das französische Flaggschiff schon die Flagge strich. Houston von der Icarus war unversehrt und nörgelnd wie immer davongekommen, obwohl sein Schiff von der ersten Breitseite an im dicksten Getümmel gekämpft hatte. Die beiden kleinsten Schiffe, Rapid und Firefly, hatten nur wenige Verluste zu beklagen, obwohl eine einzige französische Breitseite sie hätte versenken können.
Nur von den beiden Briggs begleitet, lief Argonaute notdürftig repariert im Juni 1804 in Plymouth ein.
Wieder standen Bolitho grelle Bilder vor Augen, als er die Augenblicke nach ihrem Eintreffen noch einmal durchlebte: die wilde Erregung, die Flaggengrüße und Salutschüsse, als Argonaute endlich Anker warf. Da der Wind sie im Stich gelassen hatte, waren sie im Ärmelkanal nur langsam vorangekommen. Er erinnerte sich noch genau an die Begeisterung der jubelnden Menschen am Hafen, die so oft in Trauer umschlug, wenn wieder eine Familie erfuhr, daß ein Angehöriger nicht zurückgekehrt war.
Admiral Sheaffe war persönlich zur Stelle gewesen. Bo-litho hatte vorgehabt, den Mann zur Rede zu stellen, ihn zu fragen, warum er Keen als Waffe gegen die Bolithos mißbraucht hatte. Doch der Admiral machte sich zunächst umständlich an die Begrüßung seines Sohnes. Und dann kam ein Moment, den Bolitho nie vergessen würde.
Der Admiral, beobachtet von seinen Adjutanten und einigen Freunden, hatte dem jungen Sheaffe die Hände auf die Schultern gelegt.
Vielleicht hatte der Fähnrich sich Stayts letzter Worte erinnert oder des Tages, an dem Bolitho auf ihn gewartet hatte, obwohl Supreme Gefahr drohte.
Jedenfalls sagte der junge Sheaffe fest zu seinem Vater:»Pardon, Sir, ich kenne Sie nicht!«Und eilte starren Blicks davon.
An Land hatte Bolitho Zenoria die letzten Meter übers Kopfsteinpflaster laufen gesehen, mit wehendem Haar. Er war froh und neidisch zugleich gewesen. Ohne sich um die grinsenden Matrosen zu kümmern, hatte Keen sie in die Arme genommen und sein Gesicht wortlos in ihrem Haar verborgen.
Sie hatte Bolitho mit feuchten Augen angeschaut und leise gesagt:»Danke.»
Was er für sich selbst erwartet hatte, wußte Bolitho nicht genau. Vielleicht, daß Belinda nach Plymouth gekommen wäre, um auf ihn zu warten wie Zenoria. Aber sie war nicht da.
An die Zeit, die er danach in Plymouth mit der Regelung seiner Angelegenheiten verbracht hatte, konnte er sich nur undeutlich erinnern. Anschließend war er mit Firefly nach Falmouth gesegelt. Eine kleine Brigg würde kein Aufsehen erregen. Bolitho scheute einen erneuten Heldenempfang, den Lärm und die Neugier jener, die das wahre Gesicht des Krieges nicht kannten.
So stand er an diesem sonnigen Junimorgen mit Adam am Schanzkleid der Firefly, die träge in ihre Ankertrosse eindrehte. Wieder daheim.
Links und rechts grüne Hänge und vertäute Schiffe, bunte Felder, die sich in eigenwilligen Mustern landeinwärts zogen. Häuser und Fischerhütten und die finstere graue Masse von Pendennis Castle, die den Hafeneingang beherrschte. Nichts hatte sich verändert, doch Bolitho spürte, daß es nie mehr so sein würde wie früher.
Zeit zum Abschiednehmen. Adam hatte Order, mit neuen Depeschen nach Irland zu segeln.
«Nun, Onkel?«Er musterte ihn besorgt.
Bolitho sah Allday an der Reling stehen und auf die Gig längsseits hinabschauen. Er hatte Ozzard und Bankart mit Bolithos Gepäck per Kutsche nach Falmouth geschickt.
«So wird es immer sein, Adam«, sagte Bolitho.»Kurze Abschiede, noch kürzere Begrüßungen. «Er sah sich auf dem ordentlichen Deck um. Kaum zu glauben, daß dieses Schiff mit einem mächtigen Zweidecker gekämpft und überlebt hatte. Auch Rapid hatte es geschafft. Quarrell hatte allerdings darum gebeten, die geborgten Kanonen wieder entfernen zu dürfen, denn ihr Rückstoß hatte mehr Schaden angerichtet als der Feind.
«Ich würde gern mit dir an Land gehen, Onkel.»
Bolitho legte Adam die Hand auf die Schulter.»Das hat Zeit. Du wirst gebraucht, und ich freue mich für dich. «Er sah zu dem rastlosen Wimpel am Masttopp auf.»Dein Vater wäre stolz auf dich gewesen.»
Damit ging er zur Bordwand, wo der Erste Offizier mit der Ehrenwache wartete.
In der Gig beobachtete Allday Bolitho schweigend, als dieser sich umdrehte und seinem Neffen zuwinkte. Die Brigg holte schon den Anker kurzstag und würde auslaufen, sobald die Gig zurückgekehrt war. Allday dachte an seinen Sohn, der schon unterwegs war zu Bolithos Haus. Würde er jemals wieder zur See fahren? Überraschenderweise war ihm diese Entscheidung inzwischen nicht mehr wichtig. Mein Sohn: schon der Gedanke machte ihn glücklich und dankbar. Er hatte ihm das Leben gerettet und wäre für ihn gestorben, wenn Midshipman Sheaffe nicht geschossen hätte.
Er musterte Bolithos ausdrucksloses Gesicht. Der Admi-ral machte sich Sorgen wegen seiner Augen. Immerhin würde Lady Belinda im Haus auf ihn warten. Vielleicht entschädigte ihn das?
Sie stiegen auf die warmen Ufersteine. Bolitho verabschiedete sich vom Bootsführer und drückte ihm zwei Gui-neen in die Hand. Der Mann bedankte sich überschwenglich.»Da trinken wir aber einen auf Sie, Sir!»
Bolitho ging auf die Stadt zu, bemüht, nicht zu zwinkern oder das Gleichgewicht zu verlieren wie an dem Tag, als er Jobert zum letzten Mal gegenübergestanden hatte. Hinter sich hörte er Alldays schweren Schritt; es waren nur wenige Menschen unterwegs. Die meisten arbeiteten auf den Feldern oder fischten. Falmouth lebte von der Erde und vom Meer.
Eine erschöpfte Frau ging mit einem Gemüsekorb am Arm auf eine Hintergasse zu. Als sie Bolitho sah, blieb sie stehen und machte einen ungelenken Knicks.
«Ein schöner Morgen, Mrs. Noonan«, rief Bolitho.
Verblüfft sah sie ihnen nach, bis sie um die Ecke verschwunden waren.
Arme Frau, dachte Bolitho. Er hatte ihren Mann auf seiner Lysander fallen gesehen; das schien ihm tausend Jahre her zu sein.
Lange Schatten lagen schon über dem Platz. Bolitho schaute auf zum Turm der Kirche, in der er zweimal getraut worden war. Dann trat er unsicher in das kühle Dämmerlicht des Gotteshauses. Es war leer und doch so voller Erinnerungen und Hoffnungen. Er blieb stehen, betrachtete das Buntglasfenster hinter dem Altar und entsann sich jenes ersten Males, als er die Sonne durch diese Tür gesehen hatte.
Sein Herz schlug so heftig, daß er glaubte, Allday müsse es hören können.
Er mußte nach Hause, seine Gefühle erkunden, Belinda eine Erklärung geben und lernen, seine Fehler wieder gutzumachen. Statt dessen trat er vor die Wand mit den Gedenktafeln der Familie Bolitho.
Er hob die Hand und berührte eine Tafel, die in einiger Entfernung von denen der Männer angebracht war: Cheney Bolitho. Hier waren sie getraut worden. Leise sagte er ihren Namen. Dann machte er kehrt und ging zurück zu Allday.
«Nach Hause, Sir Richard?«fragte Allday.
Bolitho zögerte und blickte sich noch einmal nach der kleinen Tafel um.
«Aye, alter Freund. Das wird es immer bleiben.»
Seemännische Ausdrücke der Segelschiffszeit
Zusammengestellt von F. W. Wentzel
Abdrehen
Kursänderung, um einer Gefahr auszuweichen abfallen vom Wind wegdrehen, so daß er voller einfällt. Gegensatz: anluven
Abflauen
Nachlassen des Windes achtern hinten im Schiff achteraus in Richtung nach hinten achterlich
Richtung von querab bis achteraus Achterdeck hinterer Teil des Oberdecks, Kommandostand der alten Segelschiffe, wo Kompaß und Ruder standen Achtersteven das hinterste Holz des Schiffes am Wind (beim Wind) segeln wenn der Kurs im spitzen Winkel zur