Curt Siodmak
Donovans Gehirn
Dreizehnter September
Heute kam ein mexikanischer Drehorgelspieler durch Washington Junction. Er trug einen kleinen Kapuzineraffen, der wie ein verrunzelter alter Mann aussah. Das Tier war krank – im Begriff, an Tuberkulose zu sterben. Sein mottenzerfressener Pelz war schmutzig grünlichbraun und voll kahler Stellen.
Ich bot drei Dollar für den Affen, und der Mexikaner verkaufte ihn nur zu gern. Tuttle, der Inhaber des Drugstore, hätte mich gern von diesem Kauf abgehalten, aber er hatte Angst, sich einzumischen, damit ich nicht seinem Laden untreu würde und meine Einkäufe in Konapah oder Phoenix machte.
Ich wickelte den flohübersäten Kapuziner in mein Jackett und trug ihn nach Hause. Er zitterte trotz der brennenden Hitze, doch als ich ihn dichter an mich drückte, biß er mich.
Als wir in mein Laboratorium kamen, bebte das Tier vor Angst. Ich befestigte seine Kette an einem Bein meines Arbeitstisches und wusch dann meine Wunde gründlich mit einem Desinfektionsmittel. Nachher gab ich dem Tier ein paar rohe Eier und sprach zu ihm. Es beruhigte sich, bis ich versuchte, es zu streicheln – da biß es mich wieder.
Franklin, mein farbiger Diener, brachte mir einen Pappkarton, den er zur Hälfte mit Hanf füllte. Der Hanf würde die Flöhe ersticken, meinte er. Mein Affe hüpfte flink in den Karton und versteckte sich darin. Als ich ihn nicht weiter beachtete, schlief er schnell ein. Ich studierte sein fast haarloses Gesicht, seinen Kopf mit dem kurzen Fell, das der Kappe eines Kapuzinermönches glich. Das Atmen fiel dem Tier schwer, und ich fürchtete, es würde die Nacht nicht überleben.
Vierzehnter September
Der Affe lebte heute früh noch. Er schrie hysterisch, als ich versuchte, ihn zu greifen. Doch nachdem ich ihn mit Bananen und wieder mit rohen Eiern gefüttert hatte, ließ er mich einen Augenblick seinen Kopf streicheln. Ich mußte ihn dazu bringen, mir völlig zu vertrauen. Furcht verursacht eine übermäßige Adrenalin-Sekretion, die die normale Verfassung des Blutstromes verändert; das würde meine Beobachtungen über den Haufen werfen.
Heute nachmittag legte der Kapuziner seine langen Arme um meine Brust und preßte in völligem Vertrauen sein Gesicht an meine Schulter. Ich streichelte ihn langsam, und er stieß kleine, zufriedene Laute aus. Ich nahm seinen Puls, der unnatürlich schwach war.
Als er in meinen Armen schlief, brachte ich ihm einen Stich zwischen dem Hinterhauptknochen und dem ersten Nackenwirbel bei. Er starb augenblicklich.
Fünfzehnter September
Heute nachmittag um drei Uhr kam Doktor Schratt aus Konapah mich besuchen. Wenn ich ihn auch manchmal wochenlang nicht sehe, stehen wir laufend in brieflicher und telefonischer Verbindung. Er interessiert sich außerordentlich für meine Arbeit, doch wenn er meine Experimente beobachtet, kann er seine Zweifel nicht unterdrücken. Seine Seele ist hin und her gerissen zwischen Forschungseifer – der auch mich erfüllt – und einer kleinmütigen Reaktion gegen das, was er »Eindringen in Gottes eigenen Bereich« nennt.
Schratt hat länger als dreißig Jahre in Konapah gelebt. Die Hitze hat seine Energien ausgedörrt. Er ist abergläubisch geworden wie die Indianer seines Distrikts. Wenn es seine medizinische Moral erlaubte, würde er seinen Patienten Schlangenzauber und pulverisierte Kröten verschreiben.
Er ist Amtsarzt für den Notlandeplatz in Konapah, und die kleine Summe, die ihm die Fluglinie dafür zahlt, rettet ihn vor dem Verhungern. Diese Gegend bietet keine Praxis, von der ein Landarzt leben könnte. Die wenigen Weißen gehen, wenn sie krank sind, nach Phoenix ins Krankenhaus; die Indianer rufen einen weißen Arzt erst, wenn alle Zaubermittel versagt haben und der Patient stirbt.
Schratt hatte einstmals das Zeug zu einem Pasteur oder einem Robert Koch. Jetzt ist er halb ertrunken in billigem Tequila, er hat seine Konzentrationsfähigkeit verloren. Doch es geschieht immer noch ab und zu, daß ein genialer Einfall das Zwielicht seines Bewußtseins erhellt. Aus Angst vor diesen blitzartigen Erleuchtungen zieht er sich in das Dämmerlicht seines langsam brodelnden Daseins zurück.
Er beobachtete mich heute nachmittag mit väterlichem Haß. Wenn er mir mein jetziges Tun verbieten könnte, täte er es nur zu gern. Aber vergessene Wünsche und Träume klingen manchmal wie ein Echo in den Trümmern seines zerstörten Lebens. Sein Antagonismus gegen mich und meine Arbeit ist nur eine Kundgebung seiner Reue, daß er seinen eigenen Genius betrogen hat.
Ich bin überzeugt: Jedesmal, wenn er mich verläßt, schwört er einen Eid, mich nie wiederzusehen. Aber alle paar Tage läutet mein Telefon, und seine heisere, müde Stimme fragt nach mir – oder sein alter Ford hält kochend vor meiner Tür.
Er saß in einem tiefen Sessel dicht beim Kamin und rauchte nervös seine Pfeife. Wie er in seinem dicken, alten Rock, den er vor vierzig Jahren aus Europa mitgebracht hat, die Wüstenhitze hier aushält, ist mir unbegreiflich. Vielleicht ist es sein einziger Rock. Ich hatte den Leichnam des Affen seziert. Die Lungen waren tuberkulös, auch die Nieren waren schon angegriffen. Aber das Gehirn war in guter Form. Um es zu konservieren, legte ich es in einen künstlichen Respirator.
Ich befestigte Gummi-Adern an den vertebralen und internen Schlagadern des Hirns, und durch eine kleine Pumpe bewegt, strömte die Blutsubstanz durch den Willis'schen Zirkel, um das Hirn zu versorgen. Es floß durch die korrespondierenden Adern an beiden Seiten wieder heraus und lief durch die Glasröhrchen, die ich ultravioletten Strahlen ausgesetzt hatte.
Die Kraft und Frequenz der winzigen elektrischen Spannungen, die das Hirn produzierte, war leicht zu messen. Die Elektroenzephalogramme zeichneten ihre langsamen, zitternden Kurven auf den Papierstreifen, der ununterbrochen durch den Wellen-Kontrollapparat lief. Ich brannte darauf, Schratts Meinung zu meinem Erfolg zu hören, aber er stierte nur in höchster Verwirrung auf die Wellenlinie, die ein unregelmäßiges Muster auf den Papierstreifen kritzelte.
Er hob die dicken, braunen Finger und berührte kurz das Glas, in dem das Hirn schwamm. Sofort waren die Hirnwellen gestört und veränderten sich, sie stiegen und fielen mit immer zunehmender Geschwindigkeit. Das losgelöste Organ reagierte auf ein äußeres Stimulans!
»Es fühlt – es denkt!« sagte Schratt. Als er sich umwandte, sah ich den Funken in seinen Augen, den ich sehnlichst erwartet hatte.
Aber Schratt setzte sich schwerfällig nieder. Als ihm klar wurde, was er gesehen hatte, erbleichte er unter seiner groben bräunlichen Haut, die das gedunsene Trinkergesicht lose bedeckte.
»Sie haben bei diesem Phänomen Pate gestanden«, sagte ich, um ihn aufzuheitern, obwohl ich wußte, daß er sich nicht schmeicheln ließ.
»Ich will keinen Teil haben an irgend etwas, was Sie tun, Patrick«, erwiderte er. »Mit Ihrer mechanischen Physiologie reduzieren Sie das Leben zu bloßer physikalischer Chemie! Dieses Hirn ist vielleicht noch imstande, Schmerzen zu fühlen! Es könnte leiden, obwohl es körperlos und augenlos, jeden Organs beraubt ist, das sein Gefühl ausdrücken kann. Es kann sich vielleicht in Qualen winden.«
»Wir wissen, daß das Hirn selbst fühllos ist«, antwortete ich ruhig. Und um ihm entgegenzukommen, fügte ich hinzu: »Zum mindesten glauben wir es zu wissen!«
»Da sagen Sie es selbst in kurzen Worten«, antwortete Schratt. Ich merkte, daß er zitterte; der Erfolg meines Experimentes hatte ihn erschüttert. »Sie glauben, Sie erkennen das an, was Sie sehen und messen können. Sie gehen leichtfertig an Ihre Entdeckungen, ohne jeden Gedanken an die Folgen.« Diese Ansicht hatte er mir gegenüber schon öfters ausgesprochen.
»Ich versuche nur, lebendige Gewebe außerhalb des Körpers am Leben zu erhalten«, erwiderte ich geduldig. »Trotz Ihres Abscheus gegen alles, was einen wissenschaftlichen Fortschritt bedeutet, müssen Sie zugeben, daß mein Experiment ein Riesenschritt vorwärts ist! Sie sagten mir, die Fragilität der Nervensubstanz sei zu groß, um in lebendem Zustande studiert zu werden. Nun, ich habe es fertiggebracht.«