»Welches andere Hirn?« fragte ich.
»Das Ihre«, sagte er.
Er starrte mich an, schnaubte und nickte, runzelte die Brauen und nickte wieder, als hätte er seine Theorie schon bewiesen.
»Sie haben mir eben eine theoretische Analyse des Phänomens der Telepathie geliefert«, sagte ich trocken, »und sie ist primitiv.«
»In der Vereinfachung liegt Klarheit«, erwiderte er ernst, ohne Überheblichkeit.
Überheblichkeit setzt der Weisheit eine Grenze – und Schratt ist das Gegenteil bis zum Punkt der Selbstverneinung.
Ich dachte über die Erklärung nach.
Hirn Nummer Eins der Sender, Hirn Nummer Zwei der Empfänger, die umgebende Luft das elektrische Feld.
Alles das ließe sich beweisen. Der Enzephalograph bewies die Tatsache, daß das Hirn Mikro-Spannungen aussandte. Das elektrische Feld der Umgebung kann gemessen werden. Doch wie stand es mit dem Empfänger, dem zweiten Hirn? Wie konnten wir wissen, daß es die ausgesandten Spannungen in Gedanken zurückverwandeln konnte, die in einem anderen Hirn entsprungen waren?
Immerhin, es gab öffentliche Zeugnisse genug – und meine eigene Erfahrung bestätigte sie –, daß Telepathie kein Unsinn ist.
Ein Gedanke, der im Hirn Nummer Eins entsteht, kann von der Person Nummer Zwei empfangen werden. Es ist glaubwürdig, daß unser Hirn wie eine Radiostation arbeitet.
»Angenommen, daß Ihre Theorie von der Auswirkung der Telepathie wahr ist – wie können wir sie auf unser Problem anwenden?« fragte ich.
»Versuchen Sie es«, sagte Schratt. »Versuchen Sie, Ihre eigenen Gedanken auszuschalten. Dann könnten sich vielleicht Donovans Gedanken auf Sie übertragen.«
»Ich könnte mir allerhand einbilden. Ich brauche einen hieb- und stichfesten Beweis«, sagte ich ungeduldig.
»Es gibt eine Menge berühmter Medien«, schlug er vor.
»Wir könnten an einen Schwindler geraten«, erwiderte ich. Ich hatte von Schratt etwas Besseres erwartet als diesen ungesunden Vorschlag. »Wir sind in einem Laboratorium, nicht bei einer spiritistischen Séance.«
Schratt ging hin und her, murmelte etwas zu sich selbst, schüttelte den Kopf. Er versuchte, die Wahrheit zu finden – und statt ihm zu helfen, hatte ich seine tastenden Vorschläge verworfen!
»Geben Sie mir Zeit!« sagte er. »Wir werden das Richtige finden!«
Er ging zur Tür und verließ mich, ohne Adieu zu sagen.
Der Morgen war angebrochen. Die Dämmerung erhellte den Himmel. Ich fühlte mich müde. Meine Gedanken waren nicht zusammenhängend. Dieser Schwächezustand, sagte ich mir, könnte meine Empfänglichkeit steigern. Schratts Theorie konnte sich auswirken!
Ich schob einen Stuhl dicht an das Hirn. Es war wach. Die Lampe brannte.
Ich starrte auf die graue Masse von Nervengewebe, deren Energien Gedanken in elektrische Ströme verwandelten. Ich versuchte, die Bahn frei zu machen für die Botschaft, die Donovan vielleicht für mich bereit hatte.
Sechster Oktober
Nachdem ich tagelang erfolglos experimentiert hatte, habe ich die Telepathie aufgegeben. Donovans Hirn ist nicht dafür geeignet. Das zentrale Nervensystem besteht aus Zerebrum, Zerebellum und Rückenmark. Doch bei Donovans Hirn fehlt die Mitarbeit des Rückenmarks, und ohne sie kann es nicht genug Kraft produzieren, um mein Nervensystem zu beeinflussen.
Ich bin an der gefürchteten Grenzlinie angelangt, wo das Experiment seinen toten Punkt erreicht. Eine neue Annäherung an das Problem ist notwendig geworden – aber ich habe keine neuen Ideen. Wohin ich sehe, stehe ich vor einer nackten Wand.
Schratt hat das Problem nicht nochmals mit mir diskutiert. Nachdem er keine weiteren Vorschläge zu bieten hat, scheut er mich. Auch ich habe ihm nichts zu sagen, und so weichen wir einander aus.
Seine Unfähigkeit hat ihm wohl starke Gewissensbisse verursacht – und ich bin ärgerlich auf ihn wegen seiner negativen Haltung meiner Arbeit gegenüber.
Janice ist gestern ohnmächtig geworden. Schratt kümmert sich um sie. Ich bin überzeugt, die Wüstenluft hat sie bleichsüchtig gemacht. Sie sollte hinweggehen von hier – ehe sie ihre Halsstarrigkeit teuer bezahlen muß! Ich habe sie oft genug gewarnt. Man kann mir keine Vorwürfe machen.
Franklin hat wieder Illustrierte und Zeitungen mit neuen Geschichten über Donovan gebracht.
Die eine zeigt das Begräbnis in Forest Lawn. Hinter dem Sarge gehen sein Sohn Howard und seine Tochter Chloe.
Nun ist Donovan verbrannt – die letzte Spur ist vernichtet. Ich bin in Sicherheit.
Donovan hatte nie daran gedacht, daß seine Tage so kurz bemessen seien. Er hat kein Testament hinterlassen.
Kein Mensch gibt seine Macht auf, um sich ziellos von seinen Aufgaben zurückzuziehen. Man zieht sich zurück, um entweder das Leben zu genießen, oder weil man bald sterben muß. Donovan gab die Zügel eines Hundertmillionen-Unternehmens nicht aus der Hand, um in Florida Golf zu spielen oder Bücher zu lesen. Er war ein Mann, dem Arbeit gleichbedeutend mit Leben war – er hätte nicht leben können, wenn seine Tätigkeit aufhörte. Das wußte er, aber er zog sich von allem zurück, für das er gelebt hatte. Dahinter steckt ein Geheimnis!
Die Zeitungen bringen Vermutungen und Gerüchte, daß Donovan Millionen beiseite gebracht hat. Während der letzten Jahre seines Lebens zog er große Summen Bargeld heraus, die in seinen privaten Bankabrechnungen nirgends erscheinen.
Eine Geschichte in einer Sonntagsbeilage trug die Überschrift: »Das Landhaus der verlorenen Millionen.« Sie zeigte Donovans Haus in Florida, ein großes, breitangelegtes Gebäude, in dem das Geld versteckt sein soll. Ferner eine flüchtige Skizze von Howard, der versucht, die Wandtäfelung mit einer Axt anzugreifen, während Chloe – mit großer Betonung ihres Geschlechtes – ihm mit brennenden Augen zusieht.
Ein Blatt bringt mein Bild, wie ich gerade das Krankenhaus in Phoenix betrete, ferner mein Haus hier in Washington Junction. Auch ein Photo von Janice und meinem Wagen. Ich erinnere mich an den schäbig aussehenden Photographen, der hierhergekommen war.
»Dr. Patrick Cory, mysteriöser Arzt, der W. H. Donovan operierte und in dessen Armen der Millionär starb«, lautete die Überschrift.
Dann kam eine Zeichnung von mir in Whites Küche, auf der ich den Sterbenden dramatisch in den Armen halte. Unterschrift: »Hat der Millionär dem Arzt seine Geheimnisse ins Ohr geflüstert?«
White war auf der Leuchtfeuerstation abgebildet, auf die Stelle deutend, wo Donovans Beine eingegraben wurden. Und auf einem Bild von den Trümmern des Flugzeuges zeigt ein Pfeil auf die Stelle, wo die Leichen gefunden wurden. Die Presse hat sich nichts entgehen lassen. Ich warf die Zeitungen weg. Ich interessierte mich nicht für Donovans Vergangenheit. Mich beschäftigte die Zukunft des Hirns.
Ich wurde telefonisch aufgefordert, einen Bericht über den Unfall an die Geschäftsstelle der Fluggesellschaft in Phoenix zu machen. Da ich nicht wünsche, daß viele Nachforschungen gemacht werden, gab ich eiligst den angeforderten Bericht.
Ich möchte, daß man Donovan vergißt ...
Siebenter Oktober
Gestern abend kam mir plötzlich die Idee, das Radio im Wohnzimmer einzuschalten. Ich weiß nicht, was den Anstoß gab – ich höre niemals Radio. Tatsächlich ist mir der Apparat sogar unangenehm, er lenkt mich nur ab – aber Impulse, im Unterbewußtsein geboren, motivieren manchmal Handlungen, die völlig sinnlos scheinen. Ich erkenne diese Fähigkeit des Unbewußten an und leiste niemals Widerstand.
Janice war noch auf, sie stopfte eins von Schratts Hemden. Ich war wieder betroffen über ihr bleiches Aussehen. Sie hat beträchtlich abgenommen. Als ich eintrat, legte sie ihre Arbeit hin – sie glaubte, ich wolle mit ihr sprechen; aber ich drehte das Radio an.