Der gleiche Traum hat mich nächtelang verfolgt, und ich bin überzeugt, er enthielt die Botschaft, die Donovan über mich mitteilen möchte.
Donovan hat mich nie gesehen, denn er war im Koma, als ich ihn fand. Infolgedessen kann das Hirn sich kein Bild von mir machen, ich habe mich also auch nicht tatsächlich im Traum gesehen. Da das Hirn nicht imstande ist, neue visuelle Eindrücke zu empfangen, muß es sich auf sein Erinnerungsvermögen verlassen, und in diesem existiere ich nicht.
Aber Donovan kannte die kalifornische Handelsbank. In meinem Traum trat ich dort ein und ging hinüber zum Kassierer, einem Mann mit blaßgelbem Gesicht und einem kleinen Schnurrbart. Ich bat um einen Blankoscheck, trat an ein Pult, füllte das Formular mit einer großen Summe aus und zeichnete den Scheck mit dem Namen Roger Hinds, von dem ich noch nie etwas gehört habe. Ehe ich mit dem Scheck zur Kasse ging, zeichnete ich ein Pik-As in die obere rechte Ecke.
Der Traum wiederholte sich ohne die kleinste Abweichung, wie eine Geschichte, die man einem Kind fest einprägen will.
Als ich aufwachte, fand ich auf meinem Schreibtisch ein Papier mit einer grob gezeichneten Skizze von Los Angeles, auf der einige Straßen und die Handelsbank deutlich markiert waren.
Die Botschaft war klar genug, aber ich fand den Sinn nicht heraus. Ich fragte Schratt um Rat, und er drang in mich, sofort zu fahren.
Ich stand bei meinem Werk an einem Kreuzweg. Wenn ich Aufträge des Hirns entgegennahm, war ich nicht mehr wissenschaftlicher Beobachter, sondern praktisch ein Werkzeug. Noch war mein freier Wille nicht beeinträchtigt, und noch war ich stark genug, diesem Fragment lebender Zellen, die ich in einem Glasrespirator kultivierte, Widerstand zu leisten.
Einmal hatte Donovan mich fast zum Mord gezwungen, aber ein solcher Kraftausbruch kann nicht nach Belieben produziert werden. Er war durch höchst ungewöhnliche Umstände entstanden. Mein Geld ging aus. Ich fand ein paar hundert Dollar, die Janice mir dagelassen hatte, und gab sie Schratt. Ich handelte für das Hirn, dem Plan gemäß, der in seiner trägen Materie gezeugt war.
Da sein Erleben mit dem Augenblick des Absturzes aufhörte, mußte es sich um einen Plan handeln, den es vor dem Unfall gehegt hatte.
Zweiundzwanzigster November
Heute morgen erlebte ich einen ärgerlichen Zwischenfall. Ich war im Begriff, das Hotel zu verlassen, um zur Bank zu gehen, als der Portier mich anrief, ein Herr Yocum wünsche mich dringend zu sprechen. Ich kannte niemanden dieses Namens, gab aber Bescheid, der Mann möge mich in der Halle erwarten.
Sobald ich im Fahrstuhl herunterkam, erkannte ich Yocum. Er war der schäbige Photograph, der mich vor dem Krankenhaus in Phoenix geknipst hatte. Er tat, als sähe er mich nicht. Unter dem Arm hatte er eine alte lederne Aktenmappe. Als der Page ihn mir zeigte, kam er schnell herüber und trat so dicht an mich heran, daß er mich fast berührte.
»Dr. Cory?« fragte er mit heiserer Stimme.
Er starrte mich an, als hoffe er, mich einzuschüchtern, aber als ich ihn nicht weniger groß ansah, senkte er den Blick.
Ich war überzeugt, er hatte diesen Auftritt sorgfältig geplant, aber ihm fehlte der Mut, ihn durchzuführen. Sein ganzes Auftreten verriet den Mann, der in seinen Gefühlen unsicher und von Furcht beherrscht war. Ich sah genau – er war auf etwas aus, seine Angst war jedoch größer als der Trieb, seinen Plan durchzuführen.
Ich sprach nicht. Ich sah ihn weiter fest an. Es war offensichtlich – er brauchte Geld. Er war seit dem Unfall auf meiner Spur gewesen, hatte im Krankenhaus Aufnahmen gemacht, hatte mir nachspioniert und meinen Haushalt umschlichen. Plötzlich erriet ich, was er wollte. Er hatte Donovan in der Leichenkammer photographiert und die Binden geprüft!
Meine Betroffenheit muß auf meinem Gesicht zu lesen gewesen sein, denn plötzlich fand er seinen Mut wieder und sagte: »Kann ich Sie allein sprechen?«
Wir gingen in die Cocktail-Bar und setzten uns.
»Ich habe in Phoenix eine Aufnahme von Ihnen gemacht«, begann er nervös und öffnete seine Brieftasche. »Hier ist sie.«
Seine Finger, lang, dünn und tabakfleckig, hielten mir das Photo hin. Ich sah es nicht an. Ich wartete stumm. Wieder verlor er die Fassung, und eine Minute herrschte Schweigen.
»Ich lege keinen Wert darauf, das Bild zu kaufen«, sagte ich endlich, und meine Worte gaben ihm das Stichwort.
Er nickte und zog rasch ein anderes Bild hervor.
Dieses zeigte Donovan in der Leichenkammer. Ich konnte nicht umhin, es mir anzusehen. Donovans Gesicht war in meiner Erinnerung verblaßt, und als ich es jetzt sah, versuchte ich diese Züge mit dem Hirn in Verbindung zu bringen, das ich so intim kennengelernt hatte.
Yocum beobachtete mein Interesse mit wachsendem Mut. »Ich wußte, daß es Ihnen gefallen wird«, sagte er mit einem Ausdruck, der mich beunruhigte. »Und hier ist eins, das Sie wirklich interessieren wird!«
Er hatte Donovans Kopf ohne Bandagen photographiert. Die Schädeldecke war aufgehoben, und die Baumwolle, die ich in die Schädelhöhle gestopft hatte, war sichtbar. Als Photograph hatte er gute, klare Arbeit getan!
Einen Augenblick war ich zu erschrocken, um mich zu regen. Dann nahm ich das Bild und legte es, mit der Vorderseite nach unten, auf den Tisch.
»Sie können das Negativ haben«, schlug Yocum ruhig vor.
Als ich mich vorwärts beugte, stand er schnell auf, als hätte er Angst, ich würde ihn schlagen. Es gelang mir, eine gleichgültige Miene beizubehalten.
»Ich brauche es nicht. Was sollte ich damit anfangen?«
Er lächelte, aber mit zitterndem Kinn. Er hatte so lange für diesen Augenblick gelebt. Er brauchte Geld. Und hier schien es tatsächlich greifbar nahe.
Offensichtlich brauchte er es sehr nötig. Sein Anzug glänzte, und die Hemdbrust dazwischen war nur ein gestärktes Chemisette. Wenn er sich bewegte, merkte ich, daß er unter seiner Jacke nackt war.
Er wurde bleich, als er sah, daß ich dastand und lächelte. Seine Augen, rot und hungrig und tief in dem hageren Gesicht eingesunken, starrten mich verzweifelt an.
»Wer gab Ihnen die Erlaubnis, die Leiche zu photographieren?« fragte ich.
Er antwortete nicht, sondern setzte sich wieder, und sagte dann leidenschaftlich: »Donovans Familie würde einen hohen Preis dafür zahlen. Es wird sie interessieren zu erfahren, daß Sie sein Hirn gestohlen haben!«
Ich lehnte mich in meinen Sessel zurück, erschrocken über diesen Ausbruch. Was wußte er über Donovans Hirn?
»Und hier ist noch ein Bild«, sagte er mit Genugtuung. Er fühlte, er hatte mich in die Enge getrieben, und genoß seinen Vorteil.
Er legte das Bild auf den Tisch. Es war nachts durch das Fenster meines Labors aufgenommen worden. Er hatte Blitzlicht benutzt. Das Glasgefäß und die elektrische Apparatur waren deutlich zu sehen. Er hatte das Bild retuschiert und das Hirn markiert.
Yocum seufzte und leckte sich einen Speichelfaden von den Lippen. Als typischer Neurotiker hatte er sich selbst in eine Situation hineinmanövriert, aus der er nicht zurückkonnte, ohne seine Haut zu riskieren.
Was hätte wohl Donovan mit diesem verzweifelten Schafskopf angefangen? Ich war nicht daran gewöhnt, mit Erpressern zu verhandeln, und der Narr konnte mein ganzes Experiment zerstören!
Es hatte keinen Sinn, sich von ihm loszukaufen. Wenn ich mir die Negative aushändigen ließ, ging er mit anderen Abzügen zu Donovans Familie. Er ließ gewiß keinen Winkelzug unversucht. Seine Einfalt steigerte die Gefahr; dieser Typ schreckte vor nichts zurück.
Ich hatte kein Geld.
»Wieviel verlangen Sie für die Negative?« Er grinste und fuhr nervös mit einem schmutzigen Taschentuch an seine Lippen. »Fünftausend Dollar.«