»Mein ganzes Leben lang habe ich mir etwas Geld gewünscht!« murmelte er. »Und jetzt haben Sie es verbrannt!«
Seine Verzweiflung überwand seine Angst, und er begann mich anzuklagen: »Sehen Sie mich doch an«, sagte er. »Ich verwese sozusagen.« Er machte seinen schmutzigen Rock auf und zeigte mir seinen fleischlosen Körper. »Ich will nicht sterben. Ich wollte endlich einmal leben – und nun haben Sie mein Geld verbrannt!«
Er erinnerte sich offenbar gar nicht daran, daß er mich erpreßt hatte. Er hatte das Geld in der Hand gehabt, und es ihm wegzunehmen war eben Raub.
Er glitt aus dem Wagen und stand schlotternd an der Kante des Fahrdammes. Er war mit seiner Kunst am Ende. »Ich bin achtunddreißig«, murmelte er, sich zu mir beugend, als beschuldigte er mich mit diesen Worten. »Ich habe seit Jahren keine anständige Mahlzeit gehabt. Ich muß jetzt Geld haben! Ich kann es nicht durch Arbeit verdienen; ich bin krank, und kein Mensch will einen, der hustet und seine Stimme verliert. Man will gesunde, starke Leute – keine wie mich!«
Er starrte mich an. Seine Augen waren farblos.
»Ein einziges Mal lebte ich gut – als ich Typhus hatte und drei Monate im Krankenhaus war. Ich lag zwar mit zwanzig anderen Jungens, aber es ging mir einfach glänzend! Ständig war jemand da, um mir zu essen zu geben, um nach mir zu sehen. Ich habe immer daran gedacht, wie herrlich es sein muß, in einem Zimmer allein krank zu sein – mit einer Klingel, daß ich einfach nach der Schwester läuten kann, und alles ist still, wenn ich Ruhe haben möchte! Es kann nicht so schlimm sein, in der ersten Klasse zu sterben. Daran habe ich schon jahrelang gedacht.«
Er grinste, seine stockigen Zähne entblößend. Es schien ihm Vergnügen zu machen, mir sein Elend zu erzählen.
»Als Donovan abstürzte, dachte ich, ich hätte das Große Los gewonnen! Der einzige Photograph in Phoenix! Und wieviel habe ich bekommen? Zehn Dollar! Ich hätte mehr verlangen können, aber sie wußten, daß ich Geld brauchte. Und wenn sie wissen, daß man Geld braucht, zahlen sie einem 'nen Nickel für einen Klumpen Gold.«
Er schien Gefallen daran zu finden, daß das Leben so konsequent grausam war.
»Ich photographierte Donovans leeren Schädel, um zu zeigen, wie er umkam. Ich hatte keinen Plan dabei, als ich die Aufnahme machte. Vielleicht nimmt man das Hirn toter Menschen immer heraus – ich hatte keine Ahnung. Dann knipste ich Ihr Haus und Ihre Frau und Ihren Wagen. Eine Aufnahme machte ich durch das Fenster Ihres Laboratoriums, und als ich das Photo vergrößerte, sah ich das Ding in dem Glase schwimmen. Es sah mir aus wie Donovans fehlendes Hirn. Ich zählte zwei und zwei zusammen und wußte, daß Sie auf etwas aus waren. Denn aus Versehen nimmt man ja kein Hirn aus einem Kopf und legt es in ein Goldfischglas.«
Er lachte mir zu, als gefiele ihm sein Scherz.
»Dann bekam ich alles über Sie heraus. Sie hatten nicht viel Geld, als ich Ihnen aber nach hier folgte und Sie aus der Bank kommen sah, stopften Sie viele Banknoten in eine Aktentasche, die Sie erst kauften. Es war nicht sehr geschickt, daß Sie so viel herumschleppten. Ich hatte fünftausend verlangt – ich hätte genauso eine Million sagen können – aber schließlich, was hätte das besser gemacht? Als ich das Geld hatte, verbrannten Sie es!« Er schluchzte, aber er hatte keine Tränen mehr. Sein Mund hing offen, und der Ton erstickte in einem Krächzen.
Nun war ich sicher, daß ich alle übrigen Negative und Abzüge verbrannt hatte. Ich stieg aus dem Wagen – aber er hatte Angst, ich könnte ihn hier mit seinem Wagen im Dreck lassen. Wenn die Hoffnung zu Ende ist, ist die Welt zu Ende.
Vielleicht blieb er sein Leben lang nur darum ein ehrlicher Mann, weil er überzeugt war, daß er, falls die Dinge zu schlecht stünden, einfach unehrlich sein und damit sein Glück machen könnte. Nun war aber auch das nicht gelungen, und er verzweifelte.
»Und meine Kamera haben Sie auch verbrannt!« sagte er. »Eine Graflex. Fünfundsiebzig Dollar aus zweiter Hand. Ich habe ein Jahr lang daran abgezahlt.«
Er kam wieder zur Erde herunter; sein Elend fand seinen Brennpunkt in greifbaren Tatsachen. Er hatte eine Kamera verloren. Die fünftausend Dollar waren nur Traumgeld. Die Kamera war Wirklichkeit.
Er mußte bald sterben. Ich gab ihm noch knapp sechs Monate. Warum sollte er nicht mit Donovans Geld sterben? Ich zog ein Bündel Banknoten aus der Tasche und reichte es ihm. Ich hielt ihm die Noten hin und fühlte keine Hemmung. Donovan hatte nichts dagegen.
Yocum starrte auf das Geld in meiner Hand und wagte nicht, es anzurühren.
»Kaufen Sie sich eine goldene Kamera! Und mieten Sie sich ein Zimmer in einem Sanatorium! Sie müssen etwas für sich tun!«
Er nahm die Scheine und bewegte krampfhaft die Lippen.
Ich ging fort. Ich zog es vor, die Meile hinunter zum Ventura Boulevard zu Fuß zurückzulegen, statt mich durch einen sentimentalen Ausbruch in Verlegenheit bringen zu lassen.
Am Wilson Drive nahm ich eine Taxe, die mich ins Hotel brachte.
Ich rief Schratt an, ehe ich packte, um nach Washington Junction abzureisen – ich wollte ihm sagen, daß ich käme. Die Vermittlung mußte mehrmals anrufen, ehe er sich meldete.
»Ich habe geschlafen«, erklärte er, aber seine Stimme klang hellwach. »Wie geht's denn, Patrick?«
Ich sagte ihm, daß ich am nächsten Tag nach Hause käme. Er zeigte keine Begeisterung; ich hatte den Eindruck, daß meine Rückkehr ihn in Verlegenheit setzte. Ich hatte Angst, daß etwas mit dem Hirn passiert war.
»O nein«, sagte Schratt hastig, »alles in bester Ordnung! Ich habe gerade die elektrische Entladung gemessen – die Leistung steigt rapide – fast bis zu fünftausend Mikro-Volt! Das Hirn hat auch bereits seine doppelte Größe angenommen. Wenn das so weitergeht, brauchen wir einen größeren Glasbehälter. Ich habe genug Hirnasche für das Serum. Sie brauchen keine Sorge zu haben, Patrick!«
Er ließ es sich sehr angelegen sein, meine Ungewißheit zu zerstreuen, forderte mich aber gar nicht auf, zurückzukehren. Er wollte lieber, daß ich in Los Angeles bliebe und dahin ginge, wohin mich das Hirn schickte. Er redete, als führe er das Experiment durch und ich sei nur der Schüler.
»Aber es liegt für mich kein Grund vor, hierzubleiben.« Ich war überrascht, mich in der Defensive zu finden! »Ich habe alles entdeckt, was ich gerne wissen wollte. Es hat keinen Sinn, Tatsachen zu Tode zu hetzen, die ich bereits besitze.«
Schratt wich so geschmeidig aus, als habe er sich das schon im voraus zurechtgelegt. »Aber Sie wissen doch noch immer nicht, weshalb Donovan Sie nach Los Angeles geschickt hat! Denkt das Hirn nun logisch oder nicht? Haben Sie herausgefunden, ob es nach einem vorher ersonnenen Schema handelt? Sind seine Befehle nur ein planloser Ausbruch, ohne Vernunft, oder geht es systematisch nach einem Plan vor? Ich glaube, Sie sind gezwungen festzustellen, ob diese scheinbar übermäßige Zunahme der Zellengewebe den organischen Denkprozeß zerstört oder fördert. Nur dann wissen Sie, ob das Hirn allein den Denkprozeß ausführen kann, oder ob das ganze zentrale Nervensystem notwendig ist.«
Ich wußte keine Antwort. Schratt hatte mich mit Fragen überschwemmt. Sein fieberhaftes Interesse befremdete mich, und ich konnte den Verdacht nicht loswerden, daß er diese Dringlichkeit vorschützte, um mich in Los Angeles festzuhalten.
»Übrigens«, fuhr er fort, »wie geht es Janice? Haben Sie sie gesehen? Sie ist im Krankenhaus ›Zedern vom Libanon‹.«
»Ich habe mit ihr telefoniert«, sagte ich, »aber ich habe sie noch nicht gesehen.«
»Das sollten Sie aber!« sagte er. Diesmal war ehrliche Anteilnahme in seiner Stimme.
»Ich werde es vielleicht noch tun«, antwortete ich. »Doch auch in diesem Falle werde ich morgen zurück sein.«
Er hatte nichts zu erwidern – wir hängten ab.
Es war kurz vor Mitternacht, aber ehe ich zu Bett ging, legte ich einen Notizblock und einen Bleistift in Reichweite. Ich war schläfrig. Der Straßenlärm verschwamm. Im nächsten Zimmer telefonierte jemand, bald aber verlor die Stimme ihre Lebhaftigkeit und die Worte wurden sinnlos.