Ich berührte das Glas, in dem das Hirn des Affen war, und der Enzephalograph registrierte sofort die Reaktion der gestörten Gewebe.
Ich beobachtete Schratt sehr genau. Ich wollte wieder den Blitzstrahl des Genies aufzucken sehen, der meine Forschungen fruchtbar machte. Aber Schratts Gesicht blieb kalt und ablehnend.
»Sie sind synthetisch und eng«, sagte er endlich unglücklich. »In Ihnen ist keine menschliche Regung mehr. Ihre Leidenschaft für Beobachtungen und Ihre mathematische Genauigkeit haben Sie getötet, Patrick. Ihre Intelligenz ist verkrüppelt – durch eine tiefe Unfähigkeit, das Leben zu verstehen. Ich bin überzeugt, daß das Leben eine Synthese von Liebe und Haß ist, von Ehrgeiz und Planlosigkeit, von Eitelkeit und Güte. Wenn Sie einmal in Ihren Versuchsröhren Güte herstellen können, werde ich wiederkommen.«
Langsam und wie verloren schritt er zur Tür, wie immer, wenn er sich entschlossen hatte, mit mir zu brechen. Doch auf der Schwelle wandte er sich um und sagte mit zitternder Stimme: »Tun Sie mir eins zuliebe, Patrick: Schalten Sie die Pumpe ab. Lassen Sie das arme Ding da drinnen sterben!«
Sechzehnter September
Gegen Mitternacht hörten die Ausschläge des Enzephalographen auf, und das Hirn des Affen starb.
Um drei Uhr morgens läutete das Telefon im Wohnzimmer – ich arbeitete noch im Laboratorium. Ich hörte die Glocke wieder und wieder leise schrillen. Janice war vor Stunden zu Bett gegangen, nachdem sie mir auf einem Tablett etwas zu essen gebracht hatte. Offenbar hatte sie ein Schlafmittel genommen, sonst hätte das andauernde Klingeln sie geweckt. Franklin, der hinten in einer Hütte schlief, würde bestimmt nicht aufstehen.
So nahm ich endlich den Hörer ab; Lichtwart White sprach mit aufgeregter Stimme. Ein Flugzeug war in der Nähe seiner Station abgestürzt.
»Ich kann Konapah nicht erreichen!« White schrie, als müßte er ohne Telefon über die ganze Entfernung mit mir sprechen. »Der alte Doktor Schratt ist wieder betrunken.«
Er fing an zu fluchen, denn er war ganz außer sich – so allein in seinem Blockhaus auf dem Berggipfel, gute acht Meilen vom nächsten Haus, und dicht dabei ein abgestürztes Flugzeug.
Er hatte zehn Minuten lang versucht, Schratt anzurufen, ehe er meine Nummer wählte. Er hatte nur die beiden Linien, auf denen er sprechen konnte – Schratts und meine. Der Telefonist ließ diese Verbindungen die ganze Nacht offen – falls ein Unfall passieren sollte.
Ich beruhigte White und versprach ihm rasche Hilfe.
Endlich bekam ich Schratt ans Telefon. Er konnte kaum sprechen, ja, kaum verstehen, was ich zu ihm sagte. Ich mußte die Nachricht ein paarmal wiederholen.
»Ich kann nicht bis dort hinauf!« winselte er, als meine Worte in sein alkoholbenommenes Hirn eingedrungen waren. »Ich kann nicht. Ich bin ein alter Mann. Ich kann nicht stundenlang auf dem Pferde sitzen. Mein Herz ist nicht in Ordnung.«
Er hatte Todesangst, seinen Posten zu verlieren, aber der Alkohol hatte ihn gelähmt.
»Nun gut, ich werde es für Sie übernehmen«, sagte ich. »Kommen Sie heute abend zu mir herüber.«
»Heute abend – zu Ihnen, Patrick«, wiederholte er kläglich. »Dank, Patrick, tausend Dank!«
Franklin aus dem Schlaf zu wecken, war keine leichte Aufgabe. Ich befahl ihm, die Nachbarn zu holen, die mir helfen sollten. Dann ging ich zurück ins Laboratorium und packte meine Tasche mit allen Instrumenten und Medikamenten, die ich vermutlich brauchen würde. Als ich aufschaute, stand Janice in der Tür.
Sie hatte ihren Schlafrock an und versuchte mit ihren dünnen Fingern den Gürtel um die Taille zu schlingen. Ihre Augen waren müde und stumpf. Sie hatte zuviel Schlafpulver genommen. Ich sah es sofort.
Sie kann das Klima nicht vertragen, die Hitze der ausgedörrten Wüste, die plötzlichen Sandstürme, das schale Wasser, das durch meilenlange heiße Leitungen hergepumpt wird; sie welkt dahin, sie trocknet langsam aus. Ich habe ihr oft genug gesagt, sie solle Washington Junction verlassen. Sie müßte in Neu-England leben, wo sie geboren ist. Aber sie will nicht fort von mir.
»Ein Unglück?« fragte sie. Sie nahm sich zusammen und kämpfte gegen das Schlafmittel an.
Ich erzählte ihr von dem Flugzeug und Whites Anruf.
»Laß mich mitkommen«, bat sie, aber ihre Zunge war schwer. »Ich kann helfen ...«
Plötzlich war sie hellwach und unruhig. Ich wußte, sie wollte nur bei mir sein, dicht bei mir, und der Unfall war ein Vorwand.
»Nein«, sagte ich. »Du bist nicht in Form für den Weg. Geh nur zu Bett.«
Dabei wurde mir bewußt, daß ich seit Wochen nicht mit ihr gesprochen hatte. Ihr Schatten war immer hinter mir – das Essen kam im rechten Augenblick in mein Zimmer, das Haus wurde geräuschlos gereinigt, sie belästigte mich nie durch Fragen. Sie wartete, daß ich sie rief – ich aber hatte ihre schattenhafte Existenz vergessen.
Die Männer kamen mit Pferden und Maultieren. Wir stiegen den Bergpfad hinauf.
Sechzehnter September
Unsere Pferde waren drei Stunden geklettert, als wir zu Whites Station kamen. Das ist ein Blockhaus aus schweren Balken mit einem Turm, von dem der Beobachter den weiten Ausblick über die Berge hat. Whites Aufgabe ist, nach Bränden Ausschau zu halten und Sorge zu tragen, daß die Batterien für die Blinkfeuer ordentlich geladen sind. Das Leuchtfeuer ist ein Orientierungspunkt für die Flugzeuge, die nach Norden und Westen fliegen.
White ist ein Mann von etwa fünfzig Jahren. Er lebt allein, nur mit einem Hund, in dieser Einsamkeit. Ihm scheinen selbst die wenigen Bewohner von Washington Junction eine unerträgliche Menge. Jetzt zum erstenmal fand ich, daß er sich sehnte, jemanden zu sehen – irgend jemanden. Sein wettergebräuntes Gesicht war fahl.
»Gut, daß Sie kommen«, sagte er und half mir vom Pferd.
Als er mich zu dem Flugzeug führte, fügte er hinzu: »Es ist ein gottverdammter Bruch!«
Von der Maschine war nicht mehr viel übrig. Der Aufprall hatte die Tragflächen, die Kabine und den Rumpf in ihre Bestandteile zerlegt. Stücke des Flugzeuges waren über eine weite Fläche verstreut. Es sah aus, als hätte der Pilot die Höhe des Berges falsch eingeschätzt.
»Es fing Feuer – aber ich konnte es löschen«, sagte White und deutete auf eine noch rauchende Stelle, wo der geschwärzte Benzintank geborsten war.
»Ich hoffe, sie leben noch.« White hatte trotz seines Schreckens gute Arbeit geleistet.
Er hatte die beiden Überlebenden unter einen Baum in den Schatten getragen. Der eine war jung, der andere ein älterer Mann, dessen Gesicht mir bekannt vorkam. Beide atmeten noch. Der Jüngere hatte die Augen offen, sah mich aber nicht. Er war nur halb bei Bewußtsein, die Zähne waren in die Unterlippe gegraben. Eine Blutspur rann sein Kinn hinunter.
Ich gab ihm eine Morphiumspritze und wandte mich dem Älteren zu. Er hatte beide Beine gebrochen – komplizierte Brüche. White hatte ihm über jedem Knie eine Aderpresse angelegt, damit er nicht verblutete.
Tuttle und Phillips kamen heran, blieben aber ein paar Schritte vor den beiden Verletzten stehen. Matthews, den dritten meiner Helfer, konnte ich nirgends erblicken. Er hatte mir schon auf dem Wege herauf erzählt, daß er kein Blut sehen könne.
Tuttle sagte: »Es sind noch zwei Leute dort drüben – aber sie sind tot.« Ich sah nach der angedeuteten Richtung – ein Propeller hatte sich in die Erde gebohrt, und ein Teil des Motors hing noch daran.
»Ihre Köpfe sind ab.« Phillips' Stimme war so leise, daß ich ihn zuerst gar nicht verstand.
White hatte vier Personen gefunden. Das Flugzeug war zu klein, um mehr zu tragen.