In dem Halbschlaf, der meinen Geist umnebelte, wiederholte ich einen Namen, den ich schon zuvor irgendwo gehört hatte: Anton Sternli. Der Gedanke lief im Kreise durch mein Halbbewußtsein und folgte mir in den Schlaf.
Achtundzwanzigster November
Heute bin ich zum erstenmal nach einer Woche wieder imstande, meinen Bericht fortzusetzen. In der Nacht, als ich Yocums Hütte niedergebrannt hatte, träumte ich von nichts, dessen ich mich erinnern kann, aber Schratts Stimme wiederholte einen einzigen Satz immer wieder, ohne aufzuhören. Der Satz hatte für mich keinen Sinn, klang jedoch die ganze Zeit durch meinen Schlaf, und mich ergriff ein kalter Schrecken, als drohten mir die Worte mit tödlicher Gefahr:
Es war unverkennbar Schratts Stimme, die diesen Unsinn sprach. Sie verfolgte mich bis zum Morgen.
Ich stand auf. Auf dem Fußboden lag ein Zettel, den ich in der Nacht geschrieben hatte: ›Anton Sternli, Pasadena, Byronstraße 120‹ war deutlich in Donovans Handschrift darauf zu lesen.
Und hinter den Namen hatte ich ›Fünfhundert Dollar‹ geschrieben, und danach die Zahclass="underline" 142 235.
Ich kleidete mich an und ging fort, um den Mann zu finden.
Er wohnte nicht Byronstraße 120, sondern Byronstraße 210. Daraus ging hervor, daß Donovans Gedächtnis nicht unfehlbar ist. Er kann Schnitzer machen wie ein gewöhnlicher Mensch.
Als ich klingelte, öffnete ein junges Mädchen von vierzehn Jahren die Tür. Ich fragte nach Herrn Sternli, und sie führte mich in eine kleine Bibliothek, in der ein alter Mann, gebeugt und weißhaarig, allein saß. Er war fast blind, seine Augen konnten mich nicht in ihr Blickfeld bekommen, aber er trug keine Brille. Er sah ungefähr nach der Richtung, aus der meine Stimme kam, und tastete sich am Schreibtisch entlang, als er mir entgegenging.
»Ich bin Dr. Cory«, sagte ich. »W. H. Donovan schickt mich.« Meine Worte hatten eine sonderbare Wirkung. Er hielt inne. Seine blicklosen Augen schweiften nervös umher.
»Herr Donovan ist tot«, sagte er unsicher.
»Natürlich«, erwiderte ich. »Er starb in meinem Hause in Washington Junction.«
Sternli bat mich, Platz zu nehmen, und tastete sich zum Schreibtisch zurück. »Was kann ich für Sie tun, Herr Doktor?« fragte er.
»Donovan bat mich, die Verbindung mit Ihnen aufzunehmen. Er wünschte, daß ich Ihnen fünfhundert Dollar bringen sollte.«
Ich zog das Geld aus der Tasche und legte es auf den Tisch, doch Sternli war zu kurzsichtig, um meine Bewegung zu sehen. Er sah mich betroffen an, als habe er nicht recht verstanden, und wiederholte dann: »Fünfhundert Dollar.«
Ich stand auf und legte das Geld vor ihn hin. Er beugte sich darüber, um es anzusehen. Plötzlich lächelte er und sagte in scherzhaftem Ton: »Es kommt gerade zur rechten Zeit. Normalerweise kommt Geld immer zur rechten Zeit oder zu spät – aber niemals zu früh. Ich habe meine Brille zerbrochen und könnte mir kaum eine neue leisten. Die Gläser sind schrecklich teuer – ich bin nämlich fast blind.«
Er nahm eine zerbrochene Linse vom Tisch und sah mich durch das Glas an. »Sie verübeln es mir hoffentlich nicht, daß ich Sie so anstarre? Das ist der Rest meiner Brille – ich hatte mich daraufgesetzt!« Reuevoll kicherte er.
Dann saßen wir schweigend, bis er mit freundlicher Stimme fragte: »W. H. dachte an mich, ehe er starb? Dann muß ich ihn mein Leben lang falsch beurteilt haben!«
Er schüttelte den Kopf und legte behutsam das Stück Brillenglas nieder. »Was hat er Ihnen sonst gesagt?«
»Nichts. Er war nicht in der Verfassung zu sprechen.«
»Sagte er Ihnen nicht, wer ich bin?« fragte er. Sofort fügte er hinzu, um mich nicht in Verlegenheit zu bringen: »Ich war Herrn Donovans Sekretär – viele Jahre lang. Um genau zu sein – all die Jahre lang, in denen ein Mann arbeiten kann, um sich ein sorgenfreies Alter zu schaffen.«
Der Raum war ärmlich eingerichtet, außer den Reihen kostbarer Bücher, die sorgsam auf soliden Regalen geordnet waren. Die Wände waren schmutzigbraun vor Alter.
»Hat er Ihnen keine Vergütung gegeben?« fragte ich höflich.
Sternli nickte und lächelte. »Die Erinnerung an interessante Zeiten – jawohl. Aber Geld? Nein! Das hätte er nie getan. Und deshalb bin ich so überrascht, daß er in einem Augenblick an mich dachte, in dem jeder Mensch an sich selbst denken sollte. Tod war ein Wort, das in Herrn Donovans Gegenwart nicht ausgesprochen werden durfte. Wir sprachen nur einmal davon, und da sagte er: ›Ein Testament machen heißt sein Leben aufgeben. Am besten läßt man den Gedanken gar nicht in den Kopf hinein, sonst bohrt er im Bewußtsein wie die Termiten in einem Haus. Sie fressen alles heimlich weg – und eines Tages, wenn man es am wenigsten erwartet, kracht einem das Dach auf den Kopf. Zu mir soll keiner vom Tod sprechen!‹«
Sternli wandte mir sein Gesicht zu, und ich sah, er war nicht so alt, wie ich gedacht hatte. Er konnte nicht mehr als Fünfzig sein, aber seine Akademiker-Erscheinung, seine liebenswürdigen Manieren, vor allem sein weißes Haar machten ihn zwanzig Jahre älter.
»Womit kann ich Ihnen dienen, Herr Doktor Cory?« fragte er.
Ich zögerte – doch meine Neugier gewann die Oberhand.
»Nun ja ... können Sie mir etwas über Roger Hinds erzählen?«
Er blickte scharf auf – ein seltsamer Blick in diesen kurzsichtigen Augen, die keinen Mittelpunkt erfaßten. Dann lächelte er.
»Roger Hinds ist der Name, den W. H. für ein Bankkonto benutzte«, sagte er. »Ich habe selbst Geld darauf deponiert. Ich entsinne mich sogar noch der Summe der ersten Einzahlung. Achtzehnhundertdreiunddreißig Dollar und achtzehn Cent. W. H. schätzte mein Gedächtnis für Dinge, die an sich unwichtig sind.«
»Sie meinen, Roger Hinds existierte niemals?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht doch, aber ich sah ihn nie. W. H. korrespondierte auch nicht mit ihm. Immerhin ... er interessierte sich sehr für alle Leute, die Hinds heißen, und sammelte Informationen über sie. Ich weiß nicht warum. Einer aus dieser Familie ist seit kurzem ziemlich berüchtigt. Sie können den Namen in den Zeitungsschlagzeilen finden – er ist des Mordes angeklagt. Ein sehr grausamer Mord. Er geschah am ersten August dieses Jahres, um neun Uhr dreißig nachts.«
Er berührte mit seiner mageren Hand die Stirn.
»Ich kann einfach nichts vergessen, was ich einmal gehört oder gelesen habe«, sagte er entschuldigend. »Cyril Hinds! Er ist im Kreisgefängnis, falls Sie das interessiert.«
In dieser seltsamen Vermengung der Wirklichkeit und des fast Übernatürlichen wußte ich nicht, wo mein eigenes Denken begann und wo Donovans Befehle endeten. »Er erwähnte den Namen Hinds nicht«, sagte ich wahrheitsgemäß.
Sternli sah mich an und hob langsam das zerbrochene Stück Glas zum Auge. Mir wurde klar, daß ich in einen Widerspruch geraten war. Donovan mußte zu mir über Hinds gesprochen haben, sonst konnte Sternli es nicht verstehen, schließlich hatte ich den Namen zuerst erwähnt.
Ich stand auf.
Sternli hielt mir ziemlich schüchtern die Hand hin.
»Ich danke Ihnen, Dr. Cory. Es war freundlich von Ihnen, mir das Geld zu bringen. Aber sollten wir nicht Howard Donovan von diesem Geschenk unterrichten? Er ist der Erbe – er könnte etwas dagegen haben, daß ich es bekomme.«
Das war natürlich das letzte, was ich wünschen konnte – Howard Donovan und seinen Anwälten einen Wink geben, woher das Geld kam! Ich log also: »Es gehört ihm nicht. Es war in einem Briefumschlag mit Ihrem Namen. Donovan gab es mir, ehe er starb.«