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Das klang nicht sehr glaubhaft, aber man konnte mir auch nicht beweisen, daß es eine Lüge war.

»Ich danke Ihnen sehr herzlich«, sagte Sternli. »Wenn ich Ihnen mit irgend etwas dienen kann, so lassen Sie es mich bitte wissen! Ich habe viel freie Zeit übrig – leider Gottes!«

Er nahm meinen Arm, um mit mir zur Tür zu gehen. Plötzlich fühlte ich, daß Donovan noch etwas durch mich zu sagen wünschte.

»Ich wollte noch um den Schlüssel bitten«, sagte ich in der Tür.

Sternli blickte mich an, erstaunt darüber, daß ich eine so wichtige Sache beim Hinausgehen zur Sprache brachte.

»Den Schlüssel ... welchen Schlüssel?« fragte er unsicher.

Ich nahm den Zettel mit seinem Namen und der Zahl aus meiner Tasche und zeigte ihn Sternli. Er hielt ihn so dicht an die Augen, daß er sie fast damit berührte. Als er ihn sinken ließ, war sein Gesicht vor Staunen gerötet.

»W. H.'s Schrift!« murmelte er. Er tastete sich in das Zimmer zurück und kam mit einem Schlüssel wieder. Er war klein und flach, der Schlüssel für einen Safe.

Beunruhigt durch die ziellosen Anweisungen, die mir das Hirn gegeben hatte, ging ich zur Stadt zurück. Donovan machte Fehler; sein Gedächtnis war nicht präzis. Die Nummer des Safes hatte er aufgeschrieben, er hatte aber vergessen, in seiner Botschaft den Schlüssel zu erwähnen. Sicherlich hatte er beabsichtigt, mich davon in Kenntnis zu setzen, denn die Nummer gehörte zu dem Schlüssel. Doch seit kurzem war etwas nicht in Ordnung mit seinem Denkprozeß. Früher war er ganz präzis gewesen.

Ich notierte mir Stunde und Datum, wann ich in der Nacht vor dem 23. November die Instruktionen erhalten hatte. Ich mußte Schratt fragen, ob in den Reaktionen des Hirns Unregelmäßigkeiten um diese Zeit festzustellen waren. Ist das Organ krank? Beginnt die geistige Zersetzung?

Es ärgerte mich, daß sich das Hirn erst erinnerte, seine Botschaft zu vervollständigen, als ich aus Sternlis Wohnung wegging.

Beim Weitergehen kreuzte ich eine Straße, in der Arbeiter Gräben zogen. Die Maschinen machten einen betäubenden Lärm, sie hoben die Erde aus und warfen sie auf ein bewegliches Band, das sie zu den Lastwagen hinüberschaffte.

Ich paßte nicht auf, wohin ich ging. Auf Donovan konzentriert, versuchte ich ihn zu zwingen, mir alles Nötige über den Schlüssel und die Safenummer mitzuteilen.

Donovan konnte sich jederzeit, wenn es ihm beliebte, mit mir in Verbindung setzen, ich aber war abgeschnitten von ihm. Es war ein einseitiges Verbindungssystem, doch da das Hirn ständig stärker wurde, mußte es meine Gedanken bald ganz frei empfangen können.

Ich ging in einem Trancezustand, nur von dem Willen erfüllt, daß Donovans Hirn mich hören sollte – meine ganze Konzentrationskraft war angespannt. Plötzlich hörte ich das Kreischen von Bremsen hinter mir. Instinktiv hielt ich an und stolperte – etwas Schweres schlug mir in den Rücken. Das Ächzen und Klappern der großen Eisenschaufel war dicht bei meinem Ohr.

Als ich fiel, umhüllte mich eine ungeheure Welle von Angst. Ich verlor das Bewußtsein.

Es war Nacht, als ich erwachte.

Noch bevor ich die Augen aufschlug, sagte mir der schwache Geruch antiseptischer Mittel, daß ich im Krankenhaus sei. Die bräunlichen Wände sahen mir bekannt aus. Man hatte mich in die ›Zedern vom Libanon‹ gebracht, wo ich als Interner gearbeitet hatte. Janice saß an meinem Bett, sie beobachtete mich reglos. Als ich mich rührte, kam sie sofort und beugte sich über mich. Man hatte meinen Brustkorb in zwanzig Pfund Gips gepackt. Ich lag absolut still und untersuchte in Gedanken meinen Körper Zoll um Zoll, bis ich überzeugt war, daß es sich um nichts Ernsthaftes handeln konnte.

Ich konnte den Kopf ein wenig bewegen, die Finger krümmen, die Arme heben.

Janice betrachtete mich angstvoll. Sie war nicht sicher, ob ich schon ganz bei Bewußtsein war, denn ich hatte die Augen noch geschlossen. »Schmerzen?« fragte sie leise.

Wieder lauschte ich auf meinen Körper. Ich fühlte mich, als sei ich in der Luft aufgehängt – nicht, als sei mein Rücken in eine Gipsform gepreßt, sondern als sei er von zarten Händen gehalten.

»Ich fühle überhaupt nichts«, sagte ich schließlich.

Meine Worte beunruhigten sie mehr, als wenn ich vor Schmerzen geschrien hätte. »Erschütterung der Wirbelsäule«, sagte sie.

Ich schloß die Augen. Ich hätte Höllenqualen ausstehen müssen, wenn diese Diagnose stimmte. Janice stand auf, um den Arzt zu holen, jedoch ich hielt sie zurück.

»Ich kann Zehen und Finger bewegen«, sagte ich, »ich bin nicht gelähmt. Ich muß aus einem anderen Grunde keine Schmerzen haben. Bin ich betäubt worden?«

Ich wußte, sie würde es verneinen – und so war es auch.

»Du hattest Schmerzen, als du bewußtlos warst«, sagte sie, »stundenlang! Schreckliche Schmerzen!«

Sie sprach ruhig – sie teilte mir ihre Beobachtung der Symptome mit, wie ein Arzt dem anderen. Sie verstand genug von Medizin, um ebenso überrascht und beunruhigt zu sein wie ich. Wirbelsäulenerschütterung ist gewöhnlich von heftigen Schmerzen begleitet.

»Was ist mir denn passiert?« fragte ich.

»Das Dümmste, was passieren konnte!« sagte sie heiter. »Du bist in einen Graben gefallen und die Baggerschaufel hat dich fast zerquetscht.«

Sie sah sehr gut aus, ich bemerkte, wie anziehend sie in der Schwesterntracht war. Der bleichsüchtige Hautton war weg. Ich war halb überzeugt, daß sie gar nicht krank gewesen war; nur unsere unglückliche Ehe hatte sie so niedergedrückt.

»Ist das die Tracht, die hier die Patientinnen tragen?« sagte ich mit einem Blick auf ihre Uniform.

»Ich bekam die Erlaubnis, diesen Fall selbst zu übernehmen.«

Sie sprach mit einem Eigensinn, wie er langer Überlegung entspringt.

Ich schloß wieder die Augen.

Dann durchbohrten mich die Schmerzen.

Ich versuchte, den Gipsverband abzuschütteln, der plötzlich schwer war wie ein paar Tonnen Stahl. Meine Hand schloß sich im Krampf, und die Fingernägel bohrten sich in das Fleisch der Handflächen.

»Kodein!«

Ich versuchte, mich ihr verständlich zu machen. Doch ich hörte meine eigene Stimme nicht. Ich versank in einem klappernden Lärm, der aus der Richtung meines Rückenmarks zu kommen schien und meine Ohren mit einem immer lauter werdenden schnatternden Geheul erfüllte.

Ich wußte: Derartigen Schmerzen entkommt man nicht durch die Flucht in die Bewußtlosigkeit. Sie würden jeden Zustand durchdringen. Ich wußte es während der ganzen Zeit, als ich mich in diesem Anfall wand, das Wissen darum machte meine Schmerzen noch unerträglicher. Und seltsamerweise schwang in meine Qualen immer wieder dies sinnlose Verschen: »Auf zwei sich spreizenden Zweigen saßen zwölf zwitschernde Spatzen – zwölf zwitschernde Spatzen saßen auf zwei sich spreizenden Zweigen ...«

Die Schmerzen hörten so rasch auf wie sie gekommen waren. Ich sah Janice, die sich ängstlich über mich beugte. Sie wischte mir den Schweiß von der Stirn. Ich schwamm wieder, von weicher Luft getragen. Sogar die Erinnerung an meine Schmerzen war weg.

Die Tür ging auf, und ein Arzt kam. Hinter ihm rollte eine Pflegerin einen Tisch mit Gläsern und Instrumenten herein.

»Hallo«, sagte er mit berufsmäßiger Heiterkeit. »Noch immer Schmerzen?«

Er füllte eine Spritze mit Morphium.

»Danke, ich brauche es nicht«, sagte ich fest.

Der Mann sah erstaunt aus. »So schnell kann der Schmerz doch noch nicht aufgehört haben«, sagte er.

»Ich bin selbst ganz überrascht«, antwortete ich und sah an meinem Körper bis zu den Füßen hinunter.

Nirgends fühlte ich etwas. Als wäre ich nur ein Hirn, spürte ich kaum meine Arme oder Beine, nicht einmal meinen verletzten Rücken.

»Würden Sie bitte meine Nervenreaktionen prüfen?«

Er stach mit einer Nadel in den Arm, aber ich empfand keine Schmerzreaktion. Mein Gefühl war das eines Patienten unter spinaler Anästhesie. »Sind Sie sicher, daß Ihre Diagnose richtig ist?« fragte ich.