Er hielt sie für richtig.
Ich schloß die Augen. Ich mußte mir klar überlegen, was mir geschehen war. Ich hörte den Arzt mit Janice flüstern und aus dem Zimmer gehen.
Sobald er fort war, bat ich sie, Schratt ans Telefon zu rufen. Sie zögerte, und ich mußte meinen Auftrag wiederholen.
Wenige Minuten später sprach ich mit Schratt.
»Nun, wie geht's, Patrick?« fragte er, erleichtert, meine Stimme zu hören. »Janice hat mir von dem Unfall erzählt.«
Janice stand am Fenster und wandte mir den Rücken zu.
»Ich wollte Sie fragen«, sagte ich langsam – ich wartete darauf, daß die Schmerzen jeden Augenblick wiederkehren könnten –, »ob sich das Hirn in den letzten achtundvierzig Stunden anders benommen hat.«
Zuerst antwortete er nicht. Schließlich sagte er: »Ich wollte Sie nicht beunruhigen, solange Sie krank sind ... aber es scheint Fieber zu haben. Ich kann nicht herausbekommen, warum. Die Temperatur steigt schnell und fällt dann, sobald es schläft, wieder auf normal.«
Plötzlich fielen mich die Schmerzen mit erhöhter Wut an. Ich glaubte sie nicht ertragen zu können. Selbst meine Schädelknochen schmerzten, als stieße eine Faust von innen dagegen.
»Wecken Sie das Hirn«, schrie ich ins Telefon. »Wecken Sie es auf! Klopfen Sie ans Glas! Erschrecken Sie es! Lassen Sie es nicht schlafen!«
Der Hörer fiel mir aus der Hand. Ich biß auf meine Unterlippe, bis mir das Blut den Mund füllte. Janice griff zur Morphiumspritze, aber der Schmerz verdunstete wie Dampf.
Ich nahm den Hörer wieder auf und hörte Schratt zum Telefon kommen.
»Jetzt ist das Hirn wach, Patrick. Die Lampe brennt.« Dann: »Was hat es Ihnen getan?«
Mein Kopf sank auf das Kissen. Ich wußte, was geschehen war, und versuchte es Schratt zu erklären.
»Es leidet meine Schmerzen, wenn es wach ist«, sagte ich mit Beherrschung, »es leidet statt meiner die Schmerzen. Es scheint meinen Thalamus durchdrungen zu haben. Seine Rinde empfängt jetzt die Reflexe meines Nervensystems. Die Schmerzen meines Körpers sind Erlebnisse in Donovans Großhirn. Es nimmt immer mehr von mir Besitz. Früher hat es nur meine Bewegungsnerven beherrscht, doch jetzt hat es den Teil meines Hirns in Besitz genommen, der den Schmerz registriert.«
Schratt atmete so laut, daß ich es hören konnte.
»Wenn es so fortfährt«, sagte er, »wird es bald Ihren Willen kontrollieren.«
»Nun, und wenn?« Ich versuchte leichthin zu sprechen. »Manche Menschen haben mehr für die Wissenschaft geopfert als ihre Identität.«
»Ja«, sagte er und hängte plötzlich ab.
Tastend legte ich den Hörer wieder auf den Haken.
»Jetzt werde ich mich ganz gut fühlen«, sagte ich zu Janice. Ich vergaß, daß sie unsere Unterhaltung gehört hatte. Schratts Stimme war so laut gewesen, daß auch sie sie vernehmen mußte.
Janice starrte mich an, ihre Augen waren groß vor Verzweiflung und Entsetzen. Ich hatte nicht gewußt, wieviel sie wußte, aber jetzt, da sie einige der Folgen verstand, konnte sie den Abgrund der Zerstörung ermessen, in den mich das Experiment geführt hatte.
Während der letzten Tage haben mich die Schmerzen weniger gepeinigt, aber ich bin immer noch in meinem Gipsgefängnis. Selbst wenn ich aufstehe, muß ich zwanzig Pfund Last mit mir herumtragen.
Das Hirn hat mir einige Adressen gegeben: eine von Alfred Hinds in Seattle und eine von Geraldine Hinds in Reno. In der letzten Nacht hat es die Namen ständig wiederholt.
Einmal versuchte ich, durch Telepathie gezwungen, aus dem Bett aufzustehen; Janice aber hörte mich stöhnen und gab mir eine Spritze Morphium, welche die Verbindung mit dem Hirn sofort trennte. Es war, als würde eine Telefonleitung abgeschnitten. Wenn ich unter Morphium stehe, kann das Hirn nicht zu mir gelangen. Es scheint nicht begreifen zu können, warum ich seine Befehle nicht befolge.
Es weiß nicht, daß ich einen Unfall hatte. Ich habe versucht, Donovan davon zu verständigen. Ich lag ganz still und versetzte mich selbst in eine Trance der Konzentration wie ein Yogi, und versuchte ihm die Botschaft zu übermitteln. Es gelang mir nicht.
In meinen Träumen und seit kurzem sogar während des Tages kommt immer wieder der lächerliche Satz in meinen Sinn: »Auf zwei sich spreizenden Zweigen ...«
Diese unaufhörliche Wiederholung quält mich ebenso wie der Schmerz. Es muß doch ein Sinn darin liegen ... Das Hirn muß einen Zweck haben, es immerfort zu wiederholen.
Ich rief Schratt an und sprach mit ihm darüber. Er schien sehr erstaunt, als ich ihm den Satz sagte, beharrte aber dabei, daß er ihn noch nie gehört habe.
Ich fragte Janice. Sie dachte einen Tag darüber nach und kam endlich zu dem Schluß, es müsse ein Sprüchlein sein, um jemand vom Lispeln zu kurieren. Das klingt plausibel. Warum aber wiederholt das Hirn diese Zeilen?
Janice und ich vermieden es, das Hirn zu erwähnen. Sie wartet, daß ich zuerst spreche, ich aber habe nicht die leiseste Absicht, dieses Thema zur Sprache zu bringen. Sie weiß bereits zu viel; es stört mich zu sehen, wie sie darüber nachgrübelt.
Was Janice auch durch den Sinn geht – es steht auf ihrem Gesicht geschrieben. Sie wäre der schlechteste Geheimagent der Welt.
Aber ich gewöhne mich wieder daran, sie um mich zu haben. Tatsächlich: Wenn sie auf ein paar Stunden weggeht und eine andere Pflegerin ihren Platz einnimmt, fühle ich mich unsicher, als könnte etwas passieren und nur sie könne mir helfen.
Wenn sie nicht da ist, werde ich manchmal ganz sentimental im Gedanken an sie. Ich entsinne mich des Tages, als ich von Santa Barbara zum Krankenhaus zurück wollte und sie mich im Wagen mitnahm.
Wie oft wartete sie geduldig, um mich herumzufahren!
Sie war immer bereit, mich ein Stück weiterzubringen. Das scheint ihre Bestimmung im Leben zu sein.
Sie ist geduldig. Sie war es immer. Und beharrlich.
Sie hatte sich entschlossen, mich zu heiraten. Sie tat es. Sie wollte mich weghaben von Washington Junction – hier bin ich. Nun sitzt sie bei mir und wartet – sie will mich zurückgewinnen.
Sie weiß, wann sie dasein soll und wann sie mich alleinlassen muß. Sie ist wie ein feiner Voltmesser, der die leichtesten Veränderungen der Spannung berichtet. Wieviel Glück könnte sie manchem Menschen bringen, statt ihre Kraft an mich zu verschwenden!
Ich muß eines Tages mit ihr darüber sprechen.
Neunundzwanzigster November
Anton Sternli hat mich besucht. Er ließ erst aus der Empfangsstelle anrufen. Janice war am Telefon, sie ging hinaus, um ihn beim Fahrstuhl abzuholen. Sie blieb fast eine Stunde mit ihm im Korridor, ehe sie ihn zu mir ließ.
Als wir in der Wüste lebten, beschränkte Janice ihre Tätigkeit darauf, unsern Haushalt zu führen. Nun machte sie sich meine Hilflosigkeit zunutze und hat ihr Feld bis zu den Leuten ausgedehnt, die mit mir in Verbindung stehen. Schratt hat sie immer um den Finger wickeln können, und bei Sternli hatte sie leichtes Spiel.
Sternli sah mehr denn je wie ein Schweizer Professor aus, als er in mein Zimmer kam, durch seine schweren Gläser waren seine Augen klein wie Haselnüsse. Der Anzug war bestimmt nicht für ihn gemacht. Die Hosen beutelten über den Knien. Er trug einen weißen Stock wie ein Blinder.
Er hatte in der Zeitung von meinem Unfall gelesen und wäre schon eher gekommen, aber er bekam erst gestern seine Brille. Er wollte mir nur sagen, wie leid es ihm tat.
Er sprach über unbedeutende Dinge, bis Janice das Zimmer verließ. Sie hatte aus seinem eifrigen Gesicht gesehen, daß er mit mir allein sein wollte.
»Sie haben mich mit dem Memorandum in Donovans Handschrift außer Fassung gebracht«, begann Sternli. »Sehen Sie, ehe er Florida verließ, gab er mir den Schlüssel und schrieb eine Nummer auf. Er war sein Leben lang übervorsichtig in allen Dingen. Selbst wenn er seinen Namen schrieb, schützte er seine linke Hand mit der rechten, so daß niemand sehen konnte, was er schrieb, bis er fertig war. Ich bin so erstaunt, daß er in der Stunde seines Todes an mich gedacht haben soll! Und warum hatte er meinen Namen auf einem Umschlag mit Geld in seiner Tasche? Er war niemals großmütig – wenn es ihm nicht selbst einen Vorteil brachte! Das macht mich sehr unsicher, Dr. Cory!«