Es wurde mir klar, daß Donovan in dem Augenblick, da Sternli ihm von seiner Liebe zu Katherine sprach, seinen Untergang beschlossen hatte. Nicht, daß Donovan eifersüchtig war. Er war zu groß, um sich eine solche Schwäche zu gestatten – aber jemand war freventlich auf sein Eigentum aus. Auch wenn das Verbrechen nur eine Gedankensünde war, fühlte Donovan sich doch betrogen und bestohlen.
Sternli berichtete mir von Donovans Gewohnheit, Leute durch Spitzel beobachten zu lassen. Jeder in seiner nächsten Umgebung stand unter heimlicher Bewachung. Nummer Eins der Verdächtigen war Katherine. Ich war überzeugt, Donovan kannte jeden ihrer Schritte, war informiert, wie sie jede Minute ihrer Zeit verbrachte. Er hatte auch Sternli bespitzeln lassen – rein gewohnheitsmäßig. Seine Wachhunde hatten diesem kleinen Mann nachgespürt.
Sternlis Augen wurden schlecht. Langsam verlor er die Sehkraft, er war nicht mehr imstande, Donovans schnelle Diktate aufzunehmen. Es mußte ein neuer Sekretär engagiert werden.
Sternli hatte jetzt keine andere Verwendbarkeit mehr als die einer lebendigen Kartothek, eines unfehlbaren Protokolls über vergangene Dinge. Da seine Nützlichkeit auf die Hälfte reduziert war, reduzierte Donovan auch sein Gehalt auf die Hälfte. Und eines Tages begann er die fünfhundert Dollar einzubehalten, die er ihm vor Jahren geborgt hatte – in Fünf- und Zehn-Dollar-Raten aus Sternlis ohnedies gekürztem Gehalt.
Als Sternli sich selbst in Bedrängnis sah, tat Donovan sehr überrascht. »Erzählen Sie mir doch nicht, daß Sie kein Geld haben«, sagte er. »Sie müssen doch reich sein! Sie haben doch bestimmt genug auf die Seite gelegt!«
Sternli war tief gekränkt und verteidigte sich.
»Ich behaupte ja gar nicht, daß Sie mir Nickel aus der Tasche gestohlen haben«, meinte Donovan. »Aber Sie haben doch sicher ein paar hundert Dollar mit angelegt, wenn ich Börsenpapiere kaufte!«
Sternli hatte niemals an etwas Derartiges gedacht, und nach seinem sehr strengen Ehrenkodex wäre das unehrlich gewesen.
Nur einmal hatte Sternli Donovan schwach und unbeherrscht gesehen. Am Tage, da Katherine starb. Sie entfloh Donovans Tyrannei, indem sie ihm ganz still aus der Hand glitt. Durch ihr Sterben beraubte sie ihn des endgültigen Sieges, sie zu brechen. Um sie zu halten, hatte er sie gezwungen, ihm ein Kind nach dem andern zu gebären. Nur das erste und das letzte blieben am Leben – Howard und Chloe. Als Katherine starb, mußte Sternli ständig mit Donovan in einem Zimmer bleiben. Er sah zu, wie der schwere Mann nächtelang hin und her lief und etwas vor sich hinmurmelte.
Donovan schwach gesehen zu haben, war ein Todesurteil – wie für einen Sklaven, der weiß, wo seines Königs Schatz verborgen ist. Nun saß mir hier ein Mann von fünfzig Jahren gegenüber, der wie siebzig aussah, der halb blind, hilflos und arm wie eine Feldmaus war.
»Ich weiß nicht, warum mir Herr Donovan die fünfhundert Dollar geschickt hat, Dr. Cory. Genau die Summe, die er mir lieh und dann wieder ratenweise einkassierte. Fünfhundert Dollar. Hat er gerade diese Summe aus irgendeinem Grunde gewählt? Wollte er gern, daß ich glauben soll, er bereue manche Dinge, durch die er mich unbewußt verletzt hat? Ich bin überzeugt, er glaubte, immer gut zu sein. Und er starb nicht, ohne sich meiner zu entsinnen! Es ist nicht das Geld, es ist sein Gedenken, das mich glücklich macht.«
»Er wußte nicht, daß er sterben mußte«, sagte ich.
»O ja!« antwortete Sternli ruhig. »Er wußte seit mehr als einem Jahr, daß seine Tage gezählt waren.«
Diese Enthüllung erschütterte mich. Sie stellte Donovan plötzlich in ein ganz anderes Licht. Sie gab mir eine Perspektive für die Beurteilung seines Charakters, die ich vorher nicht hatte.
»Was konnte er denn im voraus über den Unfall wissen?« sagte ich überrascht.
»Oh, darüber nichts!« erwiderte Sternli mit düsterem Lächeln, »aber er wußte, daß er krank war. Es bestand keine Hoffnung. Die Ärzte gaben ihm nicht mehr als ein Jahr.«
»Nierensache«, diagnostizierte ich, mich der Farbe von Donovans Gesicht erinnernd – weißlich, mit einem Stich ins Gelbe. Er hatte an einer nephritischen Entartung der Nieren gelitten, die gewöhnlich mit einem gleichen Prozeß in der Leber zusammengeht.
»Ja«, nickte Sternli. »Das ist, was sie ihm gesagt haben. W. H. pflegte allein zu trinken. Einsame Trinker sind gefährlich. Manchmal dachte ich, er machte sich absichtlich betrunken, nicht, weil er das Trinken liebte, sondern weil er seine Gedanken auslöschen wollte. Er war es müde, so viele neue und gewaltige Projekte zu erwägen. Er war von seiner eigenen Intelligenz gehetzt. Oft rief er mich mitten in der Nacht herein und diktierte stundenlang. Ich schenkte ihm einmal zum Geburtstag ein Diktaphon, aber er blieb dabei, mich zu den unmöglichsten Stunden rufen zu lassen. Und während der letzten Jahre fing er an, heimlich zu trinken. Er wollte nicht, daß es irgend jemand merkte, und lud mich niemals ein, eine Flasche mit ihm zu teilen. Ich glaube, daß er den Alkohol in Wirklichkeit haßte.«
Sternli fiel plötzlich ins Grübeln und vergaß mich darüber. Also hatte Donovan versucht, sich selbst zu entfliehen. Hatte er demnach doch ein Gewissen? Und was versuchte er zu vergessen? »Er hat seinen Ärzten die Wahrheit herausgelockt. Niemand konnte Donovan belügen. Und als er erfuhr, daß seine Tage gezählt waren, veränderte er sich sehr«, sagte Sternli.
»Er wurde weicher, nehme ich an?« wollte ich ihm weiterhelfen, aber Sternli schüttelte den Kopf. Er polierte seine Gläser wieder und lächelte. Seine kurzsichtigen Augen standen weit offen.
»Nein. Nicht, was man gemeinhin darunter versteht. Das erste, was er tat, war, daß er mich hinauswarf, ohne Pension. Er gab die Präsidentschaft an seinen Sohn ab. Er übereignete seiner Familie alles außer Häuser und Appartements, in denen er zu wohnen pflegte. Er hatte eine ganze Reihe Landhäuser überall im Lande, und in jeder Stadt ein Appartement. In jeder seiner Privatwohnungen mußte täglich das Frühstück hereingebracht werden, ob nun der Herr da oder das Bett leer war. Die Dienstboten hatten zu klopfen, einzutreten und nach einer angemessenen Zeit das Tablett wieder herauszunehmen. Dasselbe geschah mittags. In jedem Haus wurde ein Essen für acht Personen jeden Abend um dieselbe Zeit serviert. Donovan liebte es, überraschend zu erscheinen, wenn der erste Gang aufgetragen wurde. In einem Buch über Philipp II. von Spanien hatte er die Beschreibung dieses Brauchs gelesen, und er entsprach seinem Gefühl für das ›Herrschaftliche‹. ›Ich bin allgegenwärtig‹, pflegte er zu sagen, ›und wenn ich zahle, erwarte ich die entsprechenden Dienste.‹ Doch als man ihm sagte, daß er sterben müsse, schloß er alle diese Häuser. Er hatte einen Plan für die begrenzte Zeit, die ihm noch übrig blieb.«
»Was für einen Plan?« fragte ich. Ich fühlte, jetzt war ich Donovans Geheimnis nähergekommen.
»Er sagte, er wolle seine Bücher ausgleichen«, antwortete Sternli. Die blauen Augen hinter den scharfen Brillengläsern sahen nachdenklich aus. »Ich weiß nicht, was er damit meinte.«
Plötzlich wurde Sternli unruhig und sah nach der Uhr.
»Ich darf nicht mehr so viel reden«, sagte er, als merkte er erst jetzt, daß er mir eine Geschichte anvertraute, die er bisher noch niemandem erzählt hatte. Er war so verlegen, daß er sich entschuldigen mußte: »Verzeihen Sie einem alten Mann, daß er so viel geschwatzt hat!«
Er hatte es eilig wegzukommen, aber ich bat ihn, noch nicht zu gehen. Ich empfing plötzlich die Befehle des Hirns stärker denn je zuvor. Als hätte es die ganze Zeit zugehört und wolle nun das seine zu der Unterhaltung beitragen.
»Da Sie unbeschäftigt sind«, sagte ich, durch das Hirn dazu veranlaßt, »hätten Sie Lust, für mich zu arbeiten? Ich kann Ihnen ebensoviel zahlen wie Donovan.«
»Für Sie arbeiten?« Sternlis Gesicht wurde rot vor glücklicher Überraschung. »Aber womit könnte ich Ihnen denn zu Diensten sein?«