Vielleicht verbarg der schalldichte Raum Mikrophone? Vielleicht waren die Neonlampen da, um photographische Aufnahmen zu ermöglichen? Ein paar Diktaphone standen herum und ein Apparat zur Stimmwiedergabe. Vielleicht wurde jedes Wort, das ich sprach, als wächserner Beweis gegen mich aufgenommen?
»Ich bin bereit, Ihnen einen Bonus von fünfzigtausend Dollar außerhalb Ihres normalen Honorars zu zahlen, wenn Sie Hinds' Freisprechung erreichen!« sagte ich.
Er saß und schwieg und dachte einen Augenblick scharf nach. Er nahm mein Angebot nicht ernst, sondern versuchte einen Ausweg zu finden, wie er mich schnell loswerden könne, ohne mich zu beleidigen. Der Betrag war phantastisch, unverhältnismäßig hoch, sogar für diesen Fall.
In meinem billigen, schlechtsitzenden Anzug machte ich nicht den Eindruck eines Mannes, der imstande ist, einem Anwalt fünfzigtausend Dollar zu zahlen.
Ich sah auf die Glasplatte des Tisches, und unsere Augen trafen sich wie in einem Spiegel. Es schien einer seiner Tricks zu sein, die Leute auf diese Art zu beobachten. Ich ärgerte mich.
»Freispruch? Sie meinen ... Freispruch durch die Geschworenen?« antwortete er, um Zeit zu gewinnen. Er griff nach der Klingel.
Ich zog ein Päckchen Geldscheine aus der Tasche und legte es vor ihn hin. Er zog die Hand von der Klingel zurück.
Unsicher versuchte er mich in eine Diskussion zu verwickeln, um mehr über mich zu erfahren.
»Wollen Sie mir bitte Ihren Grund nennen, Dr. Cory?«
»Nehmen Sie an, ich bekämpfe die Todesstrafe«, antwortete ich.
Er nickte. Das war eine Basis, auf der man verhandeln konnte. Viele Menschen auf der Welt sind bereit, ihrer Überzeugung durch Geld Nachdruck zu verleihen.
»Ich verstehe. Sie wünschen, daß Hinds verschont wird – als Exempel sozusagen. Vielleicht retten wir ihn vor dem Henker, und später könnte er entlassen werden.«
»Sie mißverstehen mich«, sagte ich. »Ich wünsche, daß Hinds freigesprochen wird – daß die Geschworenen ihn für unschuldig erklären.«
»Sie widersprechen Ihrer ersten Erklärung – daß Sie nur sein Leben zu retten wünschen«, antwortete Fuller unsicher. Er sah nicht klar, auf was ich aus war.
»Ich bin nicht hier, um mit Ihnen zu argumentieren«, antwortete ich, denn ich wußte, daß das Hirn Hinds sofort auf freiem Fuß haben wollte.
»Aber es besteht nicht der geringste Zweifel an seiner Schuld!« rief Fuller aus. »Und ich gebe mich niemals mit hoffnungslosen Fällen ab!«
Ich stand auf, bereit, wegzugehen.
Fuller sagte hastig: »Sie müssen mir ein paar Tage geben, um den Fall zu studieren. Ich hoffe, es wird sich ein Weg finden. Wenn das nicht der Fall ist, kann ich die Verteidigung nicht übernehmen!«
»Ich bin überzeugt, Sie werden es tun«, sagte ich.
»Wäre es Ihnen recht, den Betrag des Honorars zu deponieren, bis die Verhandlung vorüber ist?« fragte er.
»Selbstverständlich«, sagte ich. »Rufen Sie mich morgen im Roosevelt-Hotel an, und Sie können den Scheck haben.«
Er begleitete mich zur Tür. Ich blieb im Empfangsraum stehen.
»Können Sie mir die Erlaubnis verschaffen, Hinds zu sehen?«
»Freilich. Ich vermute, er ist mit Ihnen verwandt?« fragte Fuller höflich.
»Nein«, entgegnete ich.
Fuller verbarg sein Erstaunen. »Also ein guter Freund von Ihnen?«
»Um die Wahrheit zu sagen«, antwortete ich, »ich habe Hinds nie im Leben gesehen und erst vor ein paar Tagen seinen Namen gehört.«
Diesmal war Fuller sprachlos.
Achter Dezember
Heute fuhr Sternli nach Reno, um Fräulein Geraldine Hinds aufzusuchen. Ich hatte ihm gesagt, daß Donovan sterbend gebeten habe, ich möge mich um diese Frau kümmern und mich auch mit einem anderen Hinds, einem Installateur in Seattle, in Verbindung setzen. Sternli wird immer betroffener. Er kann nicht begreifen, daß meine Handschrift manchmal die Donovans ist, daß ich Geld von einem Konto ziehe, das nicht mir gehört. Und wie kann er sich diese unlogische Neugier auf verschiedene Leute erklären, die ich offenbar gar nicht kenne?
Neunter Dezember
Fuller rief mich heute früh an. Er hat mit dem Direktor des Bezirksgefängnisses gesprochen, um mir die Erlaubnis zum Besuch Cyril Hinds' zu erwirken.
Da Fuller meine Beziehung zu dem Angeklagten nicht erklären konnte, wünschte der Beamte mich erst zu sehen, ehe er seine Zustimmung gab.
Fuller hat den Fall studiert. Seiner Meinung nach könnte nur eine einzige Verteidigung Erfolg haben. Er wollte den Plan nicht am Telefon besprechen. Ich sagte ihm, er könne mich in meinem Hotel aufsuchen.
Fullers Optimismus klang gezwungen. Ich habe die starke Überzeugung, ohne das Geld, das ich ihm versprach, würde er den Fall nicht anrühren. Ehe er abhängte, erinnerte er mich daran, den Honorarbetrag auf seiner Bank zu deponieren.
Ich bin überzeugt, das Hirn denkt klar! Es kann nicht irre sein, wie ich fürchtete, denn seine Instruktionen sind deutlich und scheinen logisch. Das einzige störende Element ist die Wiederholung dieser albernen Zeile, die sich meistens in mein Hirn schleicht, wenn ich schlafe. Manchmal taucht sie auch tagsüber auf, und ich bin niemals imstande, das widersinnige Gefühl schrecklicher Angst zu unterdrücken, von dem sie begleitet ist.
Die Identifizierung des Hirns mit meinem Bewußtsein hat sich verstärkt. Indem es einen weiteren Teil meines Kleinhirns durchdrungen hat, kann es vielleicht schon meine sinnlichen Wahrnehmungen auf sein eigenes Bewußtsein übertragen. Es kann vielleicht meine Empfindungen von Ton und Gesicht empfangen und die Geschmacksreaktionen meines Gaumens fühlen. Ich kann es nicht beweisen, aber ich glaube, das Hirn lebt durch mich das volle Leben eines normalen Wesens.
Wenn meine Theorie richtig ist, sollte Donovans Hirn imstande sein, mit anderen Menschen zu reden, nachdem mein Gehör sich auf sein Nervenzentrum überträgt und meine Zunge durch seine Befehle geleitet wird – es hat also alle Werkzeuge, die es zu einem verständlichen Ausdruck seiner selbst benötigt.
Das Hirn benutzt meine Bewegungsnerven wie Instrumente, die von einem Tiefseetaucher kontrolliert werden, der in einer Taucherglocke arbeitet.
Donovan muß die Welt durch meine Augen sehen, und er muß fähig sein, auch mich zu sehen, wenn ich mich im Spiegel betrachte.
Zehnter Dezember
Auf dem Wege zum Gerichtsgebäude kaufte ich mir in einem Tabakladen ein Dutzend Upman-Zigarren.
Jahrelang habe ich keine Zigarren geraucht. Ich verabscheute den kalten, feuchten Geschmack. Ich machte diesen Einkauf auf Befehl.
Sofort steckte ich mir eine Zigarre an, aber ich hatte nicht den geringsten Genuß davon. Als ich versuchte, sie wegzuwerfen, hielt meine Hand sie jedoch fest. Ich mußte fortfahren, langsam zu paffen, als hätte ich eine große Freude daran.
Ich rauchte mit meiner linken Hand, was ungewöhnlich ist, denn ich rauchte meine Zigaretten mit der rechten.
Donovan war Linkshänder!
Wenn ich herausbekäme, welche Zigarren Donovan rauchte, so hätte ich einen Teil des Beweises, den ich brauche. Habe ich denn meinen Geschmackssinn verloren? Gestern abend hatte ich plötzlich Abscheu vor Fleisch und bestellte mir zu Tisch lauter Gemüse. Es hatte gar keinen Geschmack. War Donovan Vegetarier? Ich muß nachfragen. Sternli wird es wissen.
Ich inhalierte den Zigarrenrauch tief, und es war, als inhalierte ich geschmacklosen Wasserdampf. Empfängt Donovans Hirn diese Eindrücke meiner eigenen fünf Sinne? Oder hat dieser Zustand von Schizophrenie meine physischen Eindrücke getötet, weil das Hirn meine Geschmacks- und Geruchsempfindungen übernommen hat? Das Hirn dringt langsam vor, hat aber unwiderstehlich jeden Teil meines Kleinhirns umschlossen.
Eines Tages kann es vielleicht meine Handlungen völlig bestimmen. Die Impulse, die meine Handlungen veranlassen, werden in Washington Junction erzeugt, während mein Körper durch die Welt schweift – sozusagen ferngeleitet!