Ich befahl White und Phillips, den älteren Mann ins Blockhaus zu bringen. Den jüngeren untersuchte ich, wo er lag. Seine Brust war eingedrückt und beide Arme gebrochen. Ich sagte Tuttle, er solle mir vier gerade Zweige von einem Baum schneiden.
Der Mann war jetzt bei Bewußtsein, konnte aber nicht sprechen. Das Morphium hatte seine Schmerzen gelindert; er war schweißgebadet. Sein Puls war fast hundertundzehn.
»Beruhigen Sie sich, versuchen Sie zu schlafen«, sagte ich ihm. »Kämpfen Sie nicht dagegen an. Wir bringen Sie durch!«
Er schien mich zu verstehen und versuchte zu antworten. Aber das Morphium tat schon seine Wirkung, und er schloß die Augen.
Ich hob ihm die Arme behutsam über die Brust, umwickelte die vier Äste, die mir Tuttle gebracht hatte, mit Bandagen, brachte sie zu beiden Seiten der Oberarmknochen an und befestigte sie gut an den Handgelenken und Ellenbogen. Ich gab dem Mann eine zweite Morphiumspritze, damit er weiterschlief, bis wir ihn ins Krankenhaus gebracht hatten, und befahl Tuttle, ihn nach Washington Junction hinunterzubringen, wo er die Ambulanz finden würde. Tuttle rief Phillips, und sie schnallten den Bewußtlosen auf eine Bahre. Ich ging zum Haus zurück, ohne zu warten, bis er abtransportiert wurde.
White hatte den älteren Mann auf einen Tisch gelegt. Er begann sich zu regen und zu stöhnen, als ich die Aderpressen von seinen Beinen löste, die schnell anschwollen.
»Sie müssen amputiert werden«, sagte ich zu White, »sonst ist er in ein paar Stunden tot.«
White wandte sein fahles Gesicht zu mir und nickte. Er grinste in der Anstrengung, sich zu beherrschen, doch ich fürchtete, er könnte die Operation nicht durchstehen.
Jetzt tat es mir leid, daß ich Janice nicht mitgenommen hatte. Matthews, der Gemüsehändler – der zweite ›Helfer‹, den ich bei mir hatte –, übergab sich draußen. Er hatte noch nie zuvor gebrochene Glieder und verstümmelte Körper gesehen. Ich redete ihm zu, aber es half nichts.
Also versuchte ich White mit einem Bromoid zu beruhigen. Und wirklich, es half – er führte meine Anordnungen schnell und genau aus. Doch er konnte nicht aufhören zu reden. Ich ließ ihn also schwatzen, denn es schien ihn zu erleichtern. Er erklärte mir immer wieder, was passiert war.
Er hatte das Flugzeug bald nach Mitternacht über sich kreisen gehört. Es schien seine Peilung verloren zu haben. Die Leuchtfeuer waren alle in Ordnung, doch die Wolken ungewöhnlich dicht. White wußte nicht, was für ein Flugzeug es war. Das Flugzeug von Los Angeles war schon durch, und aus Konapah war keine weitere Meldung gekommen.
White sprach mit abgerissener Stimme, während er frisches Bettzeug und weiße Hemden aus einer Kommode holte. Er heizte den Küchenofen und stellte Wasser auf – geschickt, doch völlig mechanisch. Ich scheuerte den Küchentisch mit grüner Seife, die er zum Glück im Hause hatte.
Whites Stimme klang fiebrig, während er gelassen herumhantierte. Acht Jahre lang hatte er auf der Station gelebt, und niemals war ein Unfall oder auch nur eine Unregelmäßigkeit vorgekommen. Einmal hatten ein paar Forellenfischer aus einem der Leuchtfeuer Benzin für ihren Ofen gestohlen. Das war zwar ein Frevel gegen den Staat, aber White hatte sich nicht die Mühe gemacht, es zu berichten. Er fühlte sich merkwürdig verantwortlich und war ganz besessen von der Idee, daß man ihn der Nachlässigkeit beschuldigen könne. Er versuchte, sein Schuldbewußtsein in einem Sturzbach von Erklärungen zu ertränken. Daß der Absturz in der Nähe seiner Station passiert war, nahm er als persönliches Pech.
Das Wasser kochte, und ich sterilisierte die Instrumente. Sogar der strengsten Asepsis kann eine Infektion folgen – und die staubige Küche als Operationsraum gab dem Mann auf dem Tisch wenig Chancen. Eine Minute überlegte ich, ob ich überhaupt operieren oder das Schicksal entscheiden lassen sollte.
Ich trat näher zu dem Mann und betrachtete sein Gesicht. Diese Züge waren mir irgendwie bekannt – der dünne, farblose Mund, die hohen Backenknochen, die kurze Nase, die bedeutende Stirn. Selbst die Narbe, die vom linken Ohr zur Spitze des Kinns lief, kam mir bekannt vor.
White hatte den Rock des Mannes aufgeschnitten und über einen Stuhl geworfen. Ich nahm die Brieftasche heraus. Sie war blutdurchtränkt, ein Paket großer Banknoten klebte zusammen. Der Mann trug ja ein Vermögen bei sich! Die Brieftasche war alt und abgegriffen und mit den Initialen W. H. D. gezeichnet. Warren Horace Donovan!
Jetzt, da ich wußte, wer er war, mußte ich sein Leben retten! Dieser Mann war zu wichtig. In wenigen Stunden würden Dutzende von Spezialisten ihre Nasen in diesen Fall stecken, und wenn ich ihn nicht lebend nach unten brachte, würde man mich der Nachlässigkeit zeihen. Ich mußte saubere Arbeit leisten.
Ich sagte White nicht, wer der Mann auf seinem Küchentisch war. Hätte ich das getan, so wäre er viel zu aufgeregt und vor Ehrfurcht gelähmt gewesen, um mir zu helfen.
Nachdem ich Donovans Hosen und Unterzeug heruntergeschnitten hatte, injizierte ich eine Spinalanästhesie zwischen den dritten und vierten Lendenwirbel. Wenn er jetzt zu Bewußtsein kam, konnte er keine Schmerzen fühlen.
Sein Atem ging unregelmäßig, und ich legte den Kopf tiefer, indem ich ein paar Bücher unter die hinteren Tischbeine schob. Der Blutdruck fiel beängstigend. Ich gab Donovan einen halben ccm 1-1000 Adrenalin, intravenös. Der Blutdruck stieg wieder. Ich begann mit der Amputation.
Ich war genötigt, das Oberschenkelbein zu durchsägen, denn die Knochen hatten zahlreiche Brüche erlitten, und die Arterien waren zerrissen. Ein steter Strom von Arterienblut schoß hervor, sobald die Aderpresse gelöst war. Die Zehen waren eiskalt und klamm. Niemand hätte Donovans Beine retten können! Und während der ganzen Zeit der Operation, die eine knappe Stunde dauerte, war ich mir der Nutzlosigkeit meiner Bemühungen bewußt.
Die Sonne stand hoch, als wir ihn auf die Bahre schnallten, um ihn den Saumpfad hinunterzubringen. Wir befestigten sie zwischen zwei Pferden; die Rückseite stellten wir tief, um den Körper in einigermaßen horizontaler Lage zu tragen. Der mühsame Abstieg begann.
Ich ließ White zurück. Matthews hatte sich von seinem Schock erholt und schien sich zu schämen, daß er schwach geworden war und mich im Stich gelassen hatte. Er versuchte es nun gutzumachen, indem er neben der Bahre ging und mich das Pferd reiten ließ.
Wir mußten alle paar Minuten anhalten, um Donovans Puls zu fühlen. Er war fast hundertvierzig und sehr schwach. Ich gab ihm einen ccm 1-1000 Adrenalin, intravenös.
Als wir zwei Stunden unterwegs waren, hörte Donovan auf zu atmen. Ich mußte seine Zunge herausziehen und ihm etwas Sauerstoff geben, den ich in einer kleinen Stahlflasche mitführte. Er hätte eine intravenöse Injektion von Coramin gebraucht, aber ich hatte keins.
Ich hatte zwei Tage nicht geschlafen, ich merkte, daß ich am Ende meiner Widerstandskraft war. Ein paarmal verschwamm mir der Weg vor den Augen. Ich mußte mich am Hals meines Pferdes festhalten.
Die Sonne schien am Himmel stillzustehen, und die Hitze wurde unerträglich, während wir den Paß hinunterzogen. Einmal scheuten die Pferde, aber Matthews fing noch rechtzeitig die Zügel, um sie am Durchgehen zu hindern. Während ich die aufgeregten Tiere hielt, erschlug Matthews mit einem Knüppel die Klapperschlange, die sich quer auf dem Weg sonnte. Dann warf er den gekrümmten Körper, so weit er konnte, beiseite, aber die tote Schlange verfing sich in den Zweigen eines Baums, und wir hatten große Mühe, die Pferde vorbeizubringen. Es war eine Tortur, mit einem sterbenden Mann, der zwischen zwei Pferden hing, bergab zu klettern.
Als wir endlich Stimmen hörten, die uns anriefen, machten wir auf der Stelle Halt und setzten uns erschöpft nieder.
Vier Männer kamen uns entgegen. Schratt hatte nach Phoenix telefoniert, und das Krankenhaus schickte ihm eine Ambulanz. Aber Schratt hatte die Hilfe eines Arztes aus Phoenix abgelehnt. Es war seine Pflicht, den Verletzten beizustehen. Und er klebte an seiner Aufgabe, während ich sie erfüllte!