Pulse zwinkerte mir amüsiert zu, und plötzlich fragte er: »Nun, falls wir es mit allen zwölf Geschworenen zu tun hätten – wären Sie bereit, so viel dafür auszugeben?«
»Das muß ich erst mit Herrn Fuller besprechen«, antwortete ich.
Pulse kniff die Lippen ein.
»Dieser Fall kann nur durch mich gehandhabt werden, da ich anonym bin – Ihr Anwalt dagegen ist sozusagen eine Gestalt der Öffentlichkeit. Verstehen Sie?« Er sprach gleichgültig.
Fuller wünschte nicht, in die Bestechungssache verwickelt zu werden. Er wünschte nicht, daß jemand etwas von dieser Abmachung erfuhr.
»Mein Honorar beträgt fünftausend Dollar, und für den Spruch der Geschworenen kann ich keine Gewähr leisten«, fügte Pulse hinzu. Er verbarg sein Gesicht in einer Rauchwolke.
Es war mir gleichgültig, wieviel Geld von Donovans Konto seinen Weg in Pulses Tasche fand, aber ich wollte wenigstens einmal eine menschliche Erregung in diesem fetten Gesicht sehen. »Das ist viel Geld – wenn das Resultat noch nicht einmal verbürgt wird!«
Pulse zog seine schweren Schultern hoch. »Die Klage lautet auf Mord ersten Grades, und der ganze Fall ist äußerst schwierig zu handhaben. Bedenken Sie, wie leicht es der Staatsanwalt hat! Cyril Hinds hat nie in seinem Leben eine Stellung gehabt und gearbeitet. Er trieb sich mit zweifelhaften Leuten in zweifelhaften Lokalen herum. Er schuldete jedem Menschen Geld und stahl es seiner alten Mutter, die im Biltmore-Hotel Fußböden scheuerte. Die grausamen Umstände ihres Todes! Sagen Sie selbst – klingt das nicht schon wie eine Anschwärzung des Charakters des Beklagten mit billigen Knalleffekten?«
»Und warum hat er seine Mutter getötet?«
Sogar diese Frage schien Pulse nicht zu überraschen.
»Sie sollten den Fall besser kennen als ich, oder ich wäre nicht hier! Hinds stahl seiner alten Dame Geld. Er wußte, diesmal würde sie ihn der Polizei übergeben. Es war nur wenig – sie hatte für ihr Begräbnis gespart. Die Leute tun so etwas. Wenn sie ihr Leben lang arm gewesen sind, wünschen sie sich ein schönes Begräbnis. Vielleicht wäre sie zur Polizei gegangen. Um das zu verhindern, drückte sich Hinds beim Biltmore-Hotel herum, bis sie herauskam. Dann überfuhr er sie. Jedenfalls ist das die Lesart des Staatsanwalts. Vorsätzlicher Mord.«
Pulse stand auf, als sei er entsetzt über seine eigene Erzählung.
»Auch vierzigtausend wären in Anbetracht des Falles nicht zuviel«, murmelte er.
Ich brachte ihn zur Tür. »Sie wünschen es in bar?« sagte ich.
»Natürlich«, antwortete er – hielt aber plötzlich inne und sah mich groß an. Seine Augen sprangen aus den Höhlen.
»Er ist nicht Ihr Sohn?«
»Sehe ich so alt aus?« fragte ich erstaunt zurück.
Ein Ausdruck seltsamer Betroffenheit flog über Pulses Gesicht.
»Für einen Augenblick ... ja!«
Dreizehnter Dezember
Heute früh ging ich ins Krankenhaus, um den Gipsverband abnehmen zu lassen.
Manche Schauspieler befestigen tagsüber an ihren Händen und Füßen Gewichte, um dann ihre Rollen geschmeidiger zu spielen. Wenn sie für die Vorstellung die Gewichte abnehmen, haben sie das federleichte, schwebende Gefühl, das mich erfüllte, als die zwanzig Pfund Gips herunterkamen.
Ich nahm ein Bad – das erste seit Wochen! – und fühlte mich grenzenlos glücklich. Ich legte den übergroßen Anzug weg und zog einen meiner alten an.
Zuerst war mein Rücken steif, bald aber hatte er wieder seine Bewegungsfreiheit.
In der Tasche meines Anzugs fand ich den Schlüssel, den mir Sternli gegeben hatte. Ich ging zur Kalifornischen Handelsbank. Der blasse Kassierer mit dem schwarzen Bärtchen sah mich kommen und verschwand sofort, um mit dem Direktor wiederzukehren.
Dieser Mann hatte sich damit abgefunden, daß ich der regelwidrige Kunde war, und auf meine Bitte führte er mich direkt zum Gewölbe, in dem die Safes standen. Nachdem ich die Kombination auf die Nummer 114474 gestellt hatte, ließ sich das Fach mit dem Schlüssel öffnen. Es war leer bis auf einen kleinen Briefumschlag, den ich in meine Tasche steckte.
Auf der Straße öffnete ich ihn.
Es war eine Quittung über achtzehnhundertunddreiunddreißig Dollar und achtzehn Cent, in Donovans Handschrift ausgestellt und von Roger Hinds unterschrieben. Das Datum war der 7. Februar 1901, der Ort San Juan, Kalifornien.
Ich drehte den Bogen um und um, aber ich fand keinen Hinweis darauf, warum Donovan ihn so sorgfältig aufbewahrt hatte.
San Juan, eine kleine Stadt von fünftausend Einwohnern, ist der Ort, wo Donovan sein Versandgeschäft eröffnet hat.
Ich steckte das Papier in meine Brieftasche. Sternli konnte mir mehr sagen, wenn er zurückkam. Ich hatte heute früh ein Telegramm von ihm bekommen, daß er sich mit Geraldine Hinds in Verbindung gesetzt hatte.
Donovans Chauffeur wartete in der Hotelhalle auf mich. Einer Eingebung gehorchend – oder einem telepathischen Kontakt – begrüßte ich ihn bei seinem Vornamen: »Hallo, Lonza!«
Er sah mich höchst betroffen an, denn er hatte mich nie gesehen. Dann grinste er über das ganze Gesicht, als habe ich einen Witz gemacht. Wir fuhren nach Norden auf dem Ventura Boulevard nach Encino. Ich lehnte mich behaglich zurück und rauchte eine Zigarre, die mir keinen Genuß bereitete.
Die Grenzlinie zwischen meinem und Donovans Bewußtsein verschwamm. Ich redete – aber es war Donovan, der mich dazu veranlaßte. Wenn ich ging, geschah das noch auf meinen eigenen Impuls. Oder bildete ich mir das nur ein? Ich mußte mich sehr konzentrieren, um zu wissen, ob Donovan meine Hände bewegte oder ob ich es tat. Doch meine Gedanken waren immer klar.
In Encino fuhren wir durch ein schmiedeeisernes Tor, das mir bekannt vorkam. Wir durchquerten einen großen Park mit trockenen künstlichen Seen und leeren Vogelhäusern. Der Garten sah verlassen aus, als hätten die Blumen beim Tod des Besitzers aufgehört zu blühen.
Der Wagen fuhr zu einem ausgedehnten spanischen Gebäude hinauf, das weite Patios und schattige Loggien hatte. Die meisten Fenster waren mit Läden geschlossen oder ihre Vorhänge zugezogen.
In der großen Halle waren die Möbel unter Staubhüllen verborgen. In einer Nische brannte eine einsame Lampe. Das Haus sah ebenso verlassen aus wie der Garten.
Der Chauffeur führte mich in die Bibliothek, wo ein großes Kaminfeuer brannte und flackernde Schatten über die getäfelten Wände warf. Howard Donovan und seine Schwester warteten auf mich, doch zu meiner Überraschung war auch Fuller, mein Rechtsanwalt, bei ihnen.
»Hallo, Cory!« Howard kam rasch auf mich zu, mit ausgestreckter Hand, blieb aber plötzlich mit einem fragenden Ausdruck im Gesicht stehen. Er starrte auf meine Hand.
»Entschuldigen Sie«, sagte ich und warf die Zigarre ins Feuer. »Ich vergaß es – ich hätte sie draußen lassen müssen!«
»Das ist doch eine Upman, nicht wahr?« sagte Howard. »Mein Vater rauchte diese Marke. Komisch, wie einem so ein Geruch in der Nase hängen bleibt!«
Er nahm liebenswürdig meinen Arm.
Fuller nickte nur, als ich ihn begrüßte, zog sich in die entfernteste Ecke des Zimmers zurück und beschäftigte sich damit, Bücher anzusehen. Frau Chloe Barton murmelte meinen Namen, machte aber keine Miene, mir die Hand zu geben.
Howard ging hinüber zur Bar. »Etwas zu trinken, Doktor?«
»Danke, nein«, sagte ich.
»Nur wenn es keiner sieht!« lachte er trocken, sichtlich an seinen Vater denkend. Er sprach wie ein Staatsanwalt, der seine Zeugen für das Verhör in gute Laune versetzen will.
Chloe saß in der Ecke und beobachtete mich. Sie schien amüsiert, doch irgendwie krampfhaft, neurotisch amüsiert. Sie war auffallend still, und der Ausdruck ihrer dunklen Augen machte mich fast verlegen. Sie beobachtete mich mit intensivem Interesse und trank förmlich meine Worte. Diese Intensität irritierte mich. Sie kam mir vor wie eine Frau, die jeden Augenblick ihren hysterischen Anfall bekommen konnte.