Donovan folgte ihm in die Bibliothek, wo sie sich setzten.
Fuller eröffnete die Unterhaltung finster: »Ich wünschte, Sie erklärten mir Ihr seltsames Betragen gestern abend in Howards Haus. Ich verstehe diese Art von Humor nicht.«
»Ich frage Sie nicht nach Ihrer Meinung über irgendeine meiner Handlungen, Fuller«, entgegnete Donovan scharf. »Sie werden dafür bezahlt, Hinds aus dem Gefängnis zu holen, nicht mein Benehmen zu kritisieren!«
Fullers Gesicht wurde dunkel rot, doch er sprach in seinem glatten Verhandlungston: »Wissen Sie, ich bin nicht sicher, ob ich den Fall überhaupt übernehmen will. Er ist hoffnungslos. Der Mann ist ein kaltblütiger Mörder. Gehen Sie lieber zu jemand anderem.«
Donovan knurrte etwas, stand auf und öffnete einen kleinen Schrank neben der Tür. Darin war, an eine Wachsplatte angeschlossen, ein elektrischer Schalter. Donovan knipste ihn aus und humpelte zum Tisch zurück.
Fuller beobachtete ihn mit verzerrtem Gesicht. Er vermutete eine übernatürliche Intelligenz hinter Donovans sonderbarem Betragen, aber er konnte sie nicht definieren.
»Immer vorsichtig, nicht wahr?« sagte Donovan und seine Stimme klang drohend. Fuller sah ihn mit mühsam verschleierter Furcht an.
»Wie konnten Sie wissen ...«, fragte er.
»Das spielt keine Rolle«, schnitt ihm Donovan das Wort ab. »Ich wünsche nicht, daß meine Besprechungen aufgenommen werden! Damit legen Sie mich nicht herein! Erinnern Sie sich nur an den Fall Ralston und Trueman. Wir brauchen keine Spiegelfechterei!« Er benutzte Fullers Worte vom Abend vorher.
Fuller erbleichte, als würde er ohnmächtig. Eine entsetzliche Furcht ergriff Besitz von ihm.
Donovan fuhr mit hämischer Entschlossenheit fort: »Pulse versuchte, mich zu erpressen. Sehen Sie lieber zu, daß er mit seinem Preis heruntergeht! Sagen Sie ihm, daß ich ihn zu sprechen wünsche. Sofort!«
Fuller sah betäubt aus. Er wagte nicht, zurückzuschlagen, nahm das Telefon auf und sprach mit dem Mädchen am Klappenschrank. Er nahm sich Zeit dazu. Als er abhängte, schien er sich wieder etwas in der Gewalt zu haben.
»Der Staatsanwalt hat eine Überraschungszeugin in Reserve«, sagte er und warf Donovan einen schnellen forschenden Blick zu. »Wenn er die aufruft, sind wir schlecht dran.«
»Also lassen Sie ihn diese Zeugin nicht aufrufen!« sagte Donovan in stiller Wut.
Fuller beugte sich über den Glastisch, die Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn. »Sie können die Justiz nicht auf den Kopf stellen«, sagte er leise und verzweifelt. »Es gibt Dinge, die man nicht tun kann. Und das können Sie einfach nicht!«
»Aber Sie können es!« sagte Donovan grausam. »Ich will Hinds auf freiem Fuß haben!«
Er war ein Wahnsinniger mit einer fixen Idee. Niemand in der Welt hätte Donovan von seinem Kurs abbringen können – aber Fuller merkte das nicht; er versuchte weiterzukämpfen.
»Was für ein Interesse haben Sie denn an dem Mann? Sie sind nicht mit ihm verwandt – Sie haben ihn vorher nie gesehen!«
»Das geht Sie nichts an«, sagte Donovan hochmütig. »Sie sollen ihn nur freibekommen.«
»Aber dieser Zeuge kann nicht gekauft werden!« sagte Fuller.
»Ich zahle, was er verlangt«, entgegnete Donovan.
Das Elend in Fullers Stimme war herzzerreißend. Sie saßen schweigend, bis Fuller ärgerlich fortfuhr:
»Sie ist ein kleines Mädchen, dreizehn Jahre alt, aus San Franzisco, die von Hause weglief, um zum Film zu gehen. Sie kam per Anhalter her und hatte keine Schlafstelle. Sie versteckte sich gerade im Eingang eines Gebäudes, als Hinds die alte Frau überfuhr. Sie sah, wie er es tat. Sie sah, wie er anhielt und im Rückwärtsgang zurückfuhr. Die alte Frau erkannte ihn und rief ihn beim Namen. ›Cyril!‹ rief sie und bat ihn, einen Arzt zu holen. Aber Hinds fuhr weiter zurück und fuhr über ihr Gesicht.«
Fuller sprach, als wäre die Aussage gegen Donovan gerichtet.
»Und ging sie nicht zur Polizei?« sagte Donovan.
»Sie hatte Angst, man würde sie nach Hause schicken«, antwortete Fuller, jetzt wieder Anwalt, mit weicher, bittender Stimme. »Sie wohnt in der Lomastraße – Verein Christlicher Junger Mädchen.«
»Dann lassen Sie ihre Eltern herholen. Zu ihnen können Sie doch sprechen – oder nicht?«
»Sie sind hier«, sagte Fuller.
»Um so besser! Zahlen Sie ihnen, was sie wollen, damit sie das Mädchen über die Grenze dieses Staates bringen! Sie darf im nächsten Jahr nicht gefunden werden. Dann hat der Staatsanwalt keinen Zeugen, und wir stehen rein da«, sagte Donovan. »Ein junges Mädchen, das von zu Hause wegläuft, ist ohnedies kein glaubwürdiger Zeuge. Sie ist hysterisch und bildet sich wahrscheinlich alle möglichen Dinge ein.«
»Aber sie hörte, wie die alte Frau ihn ›Cyril‹ rief!« Fuller war immer noch hartnäckig.
Donovan stand ungeduldig auf: »Das hat sie irgendwo in der Zeitung gelesen. Muß ich Ihnen sagen, wie man eine solche Geschichte zweifelhaft und unglaubhaft macht? Bin ich der Anwalt dieses Falles? Ich sehe, ich bin genötigt, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen!«
Er hinkte zur Tür. Fuller folgte ihm.
»Sehen Sie zu, daß das Mädchen zu ihren Eltern zurückkommt. Sie sind ein Idiot, Fuller! Sie versagen!«
Donovan ging hinaus.
Fuller wagte keine Antwort.
Ich, als stummer Zeuge der Szene, hätte am liebsten einfach herausgeschrien. Vielleicht hätte Fuller mich gehört ... Aber ich hatte keinen Mund, der meine Stimme hörbar machte. Ich war nichts als ein Hirn in einem Gefäß.
Pulse, der gerade ins Wartezimmer kam, ging zu Donovan hinüber und flüsterte in großspuriger Beflissenheit: »Hallo, Dr. Cory! Ich wollte gerade zu Ihnen ins Hotel gehen, als Dr. Fuller mich anrief.« Dann blickte er unter seinen schweren Augenlidern rasch zu dem Anwalt hinüber und fuhr mit leiser Stimme fort: »Ich war gerade bei der Familie des Mädchens ...«
»Schon gut ... lassen Sie uns gehen«, unterbrach ihn Donovan grob und hinkte aus dem Raum. »Kommen Sie mit, Pulse.«
Der dicke Mann drehte sich schnell um, von Donovans Grobheit erschreckt. Er erwartete immer, mit derselben Höflichkeit behandelt zu werden, mit der er selbst seine Affären einölte, aber er lief hinter Donovan her und erreichte ihn gerade noch im Fahrstuhl.
»Haben Sie einen Wagen mit?« fragte Donovan.
Pulse nickte, eingeschüchtert und unterwürfig, ohne zu wissen warum.
»Fahren Sie mich zu dem Haus, wo der Vater des Mädchens wohnt«, befahl Donovan, als sie beim Wagen waren.
Pulse quetschte seinen großen Körper hinter das Steuerrad.
»Die Lage ist äußerst heikel«, sagte er warnend. »Der Mann ist ein Pfarrer.«
»Ich habe schon öfters gehört, daß die Kirche Geld nimmt«, sagte Donovan. »Sie hat sogar Christus um billiges Geld verkauft!«
Pulse war so entsetzt, daß er nichts sagen konnte. Er heftete seine großen, feuchten Augen auf Donovan. Dann sagte er: »Ich wünschte, Sie würden die Religion nicht in eine solche Sache hineinbringen!« Seine Stimme war plötzlich voll und klingend. »Wir sollten nach dem Guten so wie nach Weisheit streben!«
»Hört! Hört! Er hat gerade mit einem Pfarrer gesprochen!« höhnte Donovan. »Bringen Sie mich nur hin zu ihm – dann werden wir schon sehen, ob er Geld nimmt. Er wäre der erste, der nein sagt! Nur ist der Preiszettel an den frommen Leuten etwas höher, das ist alles! Sie sind doch nicht fromm, Pulse – oder?«
Pulse antwortete nicht, seine Gläser glitten an der Nase herunter, er schob sie mit ärgerlicher Geste zurück.
»Gibt es Dinge, die Sie nicht um eine Zigarre täten?« schloß Donovan verächtlich.
Das erinnerte Pulse anscheinend an das Geld, das er zu bekommen hoffte, denn er sagte ruhig duldsam: »Wir haben bereits fünf ›Pillen‹ in unserer Schachtel, Dr. Cory. Fünf Geschworene sind auf unserer Seite. Wir gehen jetzt schon ziemlich sicher!«