Um mich selbst davor zu schützen, das Hirn meine Absichten erraten zu lassen, bediene ich mich eines sehr einfachen Tricks. Ich erinnere mich eines dummen kleinen Versehens, das ich als Kind gelernt habe – etwas zum Zungen-Zerbrechen: Meine Mutter übte es mit mir, um mich vom Lispeln zu kurieren. Jetzt wiederhole ich diese Zeilen unablässig, sobald die Lampe brennt und das Hirn wach ist. »Auf zwei sich spreizenden Zweigen saßen zwölf zwitschernde Spatzen – zwölf zwitschernde Spatzen saßen auf zwei sich spreizenden Zweigen.«
Wenn ich diese Zeilen unaufhörlich vor mich hinspreche, kann unmöglich ein Gedanke in mein Hirn eindringen.
Ich habe die Lampe mit einem Summer verbunden, der mich warnt, wenn ich jemals das Licht übersehen und weiterschreiben sollte, während es wach ist.
Es fühlte sich gestört durch die ständige Wiederholung, der Enzephalograph zeigt deutliche Delta-Kurven. Das beweist, das Hirn kann meine Gedanken lesen. Meine Vorsichtsmaßnahmen kamen nicht zu früh!
Janice rief mich aus Los Angeles an. Patrick hatte mit ihr gesprochen. Sie erzählte mir von diesem Gespräch und bat mich um Rat. Ich kann ihr nichts sagen. Ich kann es nicht wagen, daß irgendeine andere Menschenseele weiß, was ich vorhabe. Janice war niemals Patricks Vertraute, und nun muß sie denken, daß sie auch mich verloren hat. Das betrübt mich ...
Heute nacht rief Patrick an. Er möchte nach Hause kommen. Ich überredete ihn zu bleiben, wo er ist. Meine Mission wäre fehlgeschlagen, wenn er zurückkehrte.
Um das Hirn zu zerstören, muß ich sehr behutsam vorgehen, mit der ganzen Präzision, die eine schwierige Aufgabe erfordert, denn ich kenne die potentialen Kräfte des Hirns nicht.
Theoretisch wäre es einfach. Ich brauchte nur aufzuhören, es zu ernähren oder die Elektrizität abzuschneiden oder das Gefäß umzuwerfen. Ich könnte das Hirn vergiften. Ein Körnchen Kaliumzyanit im Blutserum würde es töten. Wenn es nicht meine Absicht im voraus spürt und zuerst zuschlägt! Wie, weiß ich nicht – aber wenn es diese Macht besitzt, würde mein Plan fehlgehen.
Ich darf mich auf kein Risiko einlassen. Ich muß warten, muß mich der sichersten Methode bedienen. In der Zwischenzeit muß ich weiter des Hirns treuer Diener sein! Muß es speisen, seine Temperatur messen, den Enzephalographen ablesen.
Es sieht grauenhaft aus. Eine weißlichgraue, formlose Masse, die über die Kanten ihres Behälters hinauswuchert. Ich würde nicht überrascht sein, wenn es plötzlich Augen und Ohren und einen Mund entwickelte! Es ist phantastisch!
Fünfter Dezember
Janice traf heute ein, ohne ihr Kommen angemeldet zu haben. Sie ist sehr nervös. Ich saß ihr im Schlafzimmer gegenüber und lauschte ihrer Erzählung von Patricks sonderbarem Verhalten – und hätte alles beantworten können; aber ich durfte ihr nichts sagen. Ich fürchtete, das Hirn könne meine Gedanken lesen, also plauderte ich leichthin mit ihr und riet ihr, sich Patrick eine Weile aus dem Sinn zu schlagen. Vielleicht ginge sie am besten zu ihrer Mutter zurück?
Aber sie fuhr wieder nach Los Angeles; sie wußte, Patrick würde sie bald brauchen. Einen Augenblick lang überzeugte sie sogar mich, daß dies für sie das Richtigste sei – aber ich wollte es ihr nicht sagen.
Sie war ganz aufgeregt, weil sie dachte, ich nähme Patricks Partei gegen sie. Sie glaubte, ich hätte sie verlassen! Sie war blind, sonst hätte sie die Lieblosigkeit ihrer Worte empfunden.
Sie fragte mich viele Dinge – und ich mußte lügen, ich durfte nicht einmal wagen, sie die Wahrheit ahnen zu lassen. Sie ging bald fort.
Es war ein trauriger Tag für mich, aber es tröstete mich zu wissen, daß sie mich später verstehen wird.
Dreizehnter Dezember
Die Situation hat sich in ihr Gegenteil verkehrt: Patrick rief mich an und befahl, ich solle aufhören, das Hirn zu ernähren. Er hat Furcht bekommen! Er möchte es sterben lassen – aber es ist zu spät. Ich muß mich weigern.
Wie konnte ich zustimmen, wenn es vielleicht um mein eigenes Leben ging, wenn es vielleicht über meine Macht ging, seinen Wunsch zu erfüllen? Wenn das Hirn seine telepathische Kraft mir aufzwingt und nicht mehr Patrick, so muß ich seine Befehle ausfuhren.
Ich habe immer nach dem verborgenen Sinn des Lebens getastet, und jetzt weiß ich! Das Leben hat mich auf diese Aufgabe vorbereitet. Ich denke jetzt so klar, wie ich nie zuvor gedacht. Meine Jahre sind nicht verschwendet. Ich glaube an keine einzelne Religion, sondern ich glaube an sie alle, denn das Gottsuchen ist eine persönliche Aufgabe.
Eines Tages wird Patrick wissen und – verstehen, aus einer Weisheit heraus, die von innen kommt.
Ich weiß – ich verstehe!
Fünfzehnter Mai
Ich habe die Möglichkeit verpaßt, es zu töten!
Heute ist ein Mann in das Laboratorium eingebrochen, er versuchte, das Hirn mit einem Schraubenschlüssel anzugreifen. Der plötzliche Angriff zerstreute seine Wachsamkeit. Das wäre die Zeit für mich gewesen, es zu töten! Es muß etwas Gewaltsames geschehen – nur dann kann es zerstört werden.
Ich bin froh, daß ich nicht vorschnell versuchte, es zu berühren. Es hätte mich ebenso ermordet wie den Fremden. Es kann Leben zerstören, indem es einem Menschen einfach zu sterben befiehlt. Sein Herzschlag stockte auf telepathisches Kommando.
Der Enzephalograph registrierte die Erregung des Hirns. Die Federstriche waren weit auseinandergezogen, als bewege sich das Hirn in seinem Glasgefäß.
Ich rief Patrick an, aber er wollte nicht verstehen. Zu ihm sprechen war nicht anders, als zum Hirn selbst sprechen!
Wenn ich wieder diese Macht-Explosionen herstellen und nicht auf mich selbst lenken könnte ... das wäre der Augenblick! Ich kann ihn nicht verfehlen!
Siebzehnter Mai
Ich darf nicht wagen, den Toten aus dem Hause zu nehmen oder das Krankenhaus oder die Leichenkammer anzurufen. Ich fürchte, das Hirn würde mich daran hindern, und das darf ich nicht riskieren.
Zwei Nächte habe ich nicht geschlafen. Ich darf die Augen nicht schließen – denn ich könnte den Augenblick verpassen. Und der nagende Zweifel, ob ich Erfolg haben werde, untergräbt meinen Mut.
Patrick hat mir in seiner bewundernswerten intellektuellen Ehrlichkeit oft gesagt, daß ich ein Versager sei. Nun bin ich nicht mehr so ganz überzeugt davon. Manchmal braucht ein Mensch sein ganzes Leben dazu, eine einzige Wahrheit zu lernen, und hier ist die Wahrheit und die Lehre, die ich zurücklasse:
Versuche Gott nicht in deinem Laboratorium zu finden, Patrick! Suche ihn unter Menschen – dort wirst du ihm begegnen!
Hier bricht der Bericht ab.
Einundzwanzigster Mai
Schratt war tot, als wir in Washington Junction ankamen.
Janice und ich hatten auf unserer schnellen Fahrt über zweihundertfünfzig Meilen Chaussee nicht von ihm gesprochen. Wir wußten, was uns erwartete.
Sie saß dicht neben mir, so daß ich die Nähe ihres Körpers fühlte. Mit jedem Atemzug, den sie tat, wurde mir ihre Gegenwart bewußter. Ich brauchte nur in ihr Gesicht zu blicken – ruhig in seinem Vorauswissen – und alle Furcht, Donovan könne zurückkehren, wich aus meinem Herzen.
Als wir vor unserm Haus in Washington Junction hielten, kam Tuttle aus seinem Laden zu uns gelaufen. Er war erleichtert, daß ich kam. Er und Phillips hatten sich schon Sorgen um Schratt gemacht. Sie hatten gerade ein Gespräch nach dem Roosevelt-Hotel angemeldet. Schratt hatte meine Adresse bei Tuttle deponiert, im Falle man ihn drei Tage nicht sehen sollte, hatte ihnen aber ausdrücklich verboten, das Haus zu betreten.