Ich dankte Tuttle und schickte ihn in seinen Laden zurück, mit der Versicherung, ich würde ihn rufen, falls ich ihn brauchte. Er ging zögernd und hielt auf halbem Wege auf der Straße an, um mich auf meinen Hof treten zu sehen.
Wir gingen zusammen durch den hinteren Garten. Ich fürchtete mich, das Laboratorium zu betreten. Um mich auf den unvermeidlichen Schock vorzubereiten, wollte ich zuerst einen Blick durchs Fenster werfen.
In der Einfahrt stand ein neues Cadillac-Coupé, vermutlich das Yocums.
Eines der Laborfenster war eingedrückt, aber die Vorhänge waren zugezogen. Innen brannte das Licht, und es summte fortgesetzt.
Ich schloß die Hintertür auf und bat Janice, draußen zu bleiben, bis ich sie rief. Ich wollte ihr einen Anblick ersparen, der entsetzlich sein mußte. Sie aber schüttelte heftig den Kopf und preßte meinen Arm. Sie wollte mich nicht allein hineingehen lassen.
In meinem kleinen Vorraum lag Yocum, das Gesicht zur Wand gekehrt. Schratt mußte ihn dorthin gebracht haben, hatte sich aber nicht Zeit genommen, ihn mit einem Laken zu bedecken.
Schratt lag im Laboratorium, das Gesicht in einer Blutlache. Sein großer Kopf mit dem spärlichen weißen Haar war besudelt, und in seinen schweren Händen hielt er das Hirn. Er hatte die Finger tief in die weiche grauweiße Masse gegraben, sie mit aller Kraft festhaltend, als fürchte er immer noch, sie könne sich befreien und ihr verdorbenes Leben fortsetzen. Das Glasgefäß war zerbrochen, das Serum über Boden und Wände verspritzt, die elektrischen Drähte herausgerissen. Ohne Form und mit Gummiröhren gespickt sah das Hirn in seiner trägen Masse immer noch fürchterlich aus.
Ich hob Schratt auf und trug ihn in mein Schlafzimmer. Dort wuschen wir sein Gesicht und seine Hände.
Es war leicht zu rekonstruieren, was geschehen war:
Als Donovan Janice in den Hollywood-Bergen anfiel, erkannte Schratt die wütenden, neurotischen Verzerrungen auf dem Enzephalogramm. Er wußte, das Hirn war beschäftigt – es mordete wieder!
Er ergriff seine Chance, sprang zu dem Gefäß und riß es aus seinen elektrischen Verbindungen.
Sofort verließ das Hirn Janice und wandte sich gegen den Angreifer. In einer verzweifelten Anstrengung, alle seine Kraft auf den neuen Feind konzentrierend, tötete es Schratt. Doch seines Serums und seiner Pumpe beraubt, starb es selbst.
Schratts Gesicht zeigte die typischen Kennzeichen eines Todes durch Thrombose der Kranzgefäße, einschließlich der Blässe, die auf Zyanose folgt. In seiner Stirn war ein tiefer Schnitt. Doch wo sich sonst die Angst in verzerrten Zügen spiegelt, die ahnende Erkenntnis des nahen Todes, war Schratts Gesicht sehr still und sehr glücklich. Er muß schnell gestorben sein.
Als ich in sein Gesicht sah, begann mein Hirn sich zu drehen. Ich wandte mich um, von einem furchtbaren Schmerz in Stirn und Augen gepeinigt. Ich sah, wie Janice mich erschrocken anstarrte.
Mein Körper fing an, krampfhaft zu zittern. Ich streckte die Hände nach Hilfe aus, und sie trat rasch auf mich zu.
Doch bevor sie mich erreichte, verlor ich das Bewußtsein.
Erster Juni
Länger als fünf Monate war ich an mein Bett gefesselt – ich litt an der Reaktion auf die furchtbare Anspannung, der mein Hirn unterworfen gewesen. Nun bin ich auf dem Wege zur Genesung.
Ich sitze in einem Rollstuhl im Garten des Krankenhauses und diktiere Janice einen Brief.
Sie schreibt an Chloe Barton. Ich will den vertraulichen Bericht an Chloe schicken. Ich bin überzeugt, sie wird für Sternli sorgen und den Wunsch ihres Vaters erfüllen, sich um die armen Verwandten der Hinds in Reno und Seattle zu kümmern.
Janice zeigte mir einen höchst merkwürdigen Zeitungsausschnitt: »Cyril Hinds, vor einigen Monaten zum Tode verurteilt, wurde gehängt. Jedoch öffnete sich bei der Hinrichtung die Falltür nicht. Hinds mußte in seine Zelle zurückgebracht werden, und der Mechanismus der Falltür wurde repariert.
Dieser seltsame Vorgang wiederholte sich ein zweites Mal. Die Tür klemmte, der Hebel reagierte nicht auf den Druck.
Da ein Mann nur dreimal gehängt werden darf, wollte der Henker nun sichergehen. Er stützte die Falltür mit einem hölzernen Balken, den er im rechten Augenblick mit dem Fuß beiseite stieß. Dieses Mal starb Hinds.«
Ich beobachtete Janice, als sie mir die Notiz vorlas. Ihre Stirn furchte sich. Sie zerriß den Ausschnitt in kleine Fetzen und sah mich dabei mit einem schwermütigen Lächeln an.
Ich wußte, was sie dachte: Donovans unauslöschbare Energie schweift noch in dieser sterblichen Welt umher. Wieder hatte er versucht, seinen Willen durchzusetzen und Hinds vor dem Gehenktwerden zu retten! Energie kann nicht vernichtet werden.
Zweiter Juni
Higgins, der Chefarzt, besuchte mich heute, um mir zu meiner Genesung zu gratulieren. Ich bin außer Gefahr. Ich darf jederzeit das Krankenhaus verlassen, sagte er.
Er fragte, ob ich nach Washington Junction zurückginge, und als ich nein sagte, blieb er noch eine Weile sitzen, rauchte und sah aus, als wäre ihm etwas schiefgegangen. Ich mußte lachen und fragte, was er wollte.
Zögernd bot er mir zum zweitenmal Schratts freien Posten in Konapah an. Die Regierung hatte ihn beauftragt, einen fähigen Arzt zu engagieren, der ein Krankenhaus in diesem armen Lande leiten, die indianische Bevölkerung gesundheitlich überwachen und zur modernen Hygiene erziehen kann. Higgins ist überzeugt, daß sich dazu niemand besser eignet als ich.
Ich war sicher, daß er mit Janice gesprochen hatte, ehe er mich fragte.
»Warum sollen sie eigentlich nicht ruhig weitermachen mit ihrem Schlangenzauber, wenn sie daran glauben? Haben Sie nicht von den Heilungen und Genesungen durch Glauben gehört?« Ich fragte in Schratts Worten. Higgins lächelte und nickte.
»Natürlich. Ich habe nichts gegen Schlangenzauber, wenn er sterilisiert ist und man genug wirksame Medikamente hineinmischt!«
Ich bat ihn um Bedenkzeit – aber ich war schon überzeugt, daß ich den Posten annehmen werde.
Fünfter Juni
Wir haben uns entschlossen, nach Konapah zu ziehen – aber wir nehmen nichts von unserm alten Hause in Washington Junction mit. Bei den Indianern war es ein alter Brauch, alle sieben Jahre die Zelte zu verbrennen, um die bösen Geister auszuräuchern. Wir werden diesem Beispiel folgen. Schlimme Gedanken saugen sich in alten Hausrat ein. Der Hauch des Unglücks hängt daran und begleitet ihn in die neue Umgebung. Alles soll neu bei uns sein in dem blitzblanken Haus, das die Regierung für uns gebaut hat. Auch unsere Gedanken werden neue Gedanken sein.
Zehnter Juni
Morgen ziehen wir um. Ehe wir weggehen, muß ich meinen Geist ganz frei machen von dem Gedanken an das Experiment mit Donovans Hirn. Es hat bewiesen, daß die Gewebe eines menschlichen Hirns unter bestimmten Bedingungen am Leben erhalten werden können. Sonst habe ich nichts gewonnen durch dieses Experiment, außer dem Beweis, daß die wichtigste Errungenschaft, die synthetische Erschaffung geistigen Fortschritts, außerhalb unserer Reichweite liegt! Die Natur hat Grenzen gesetzt, die wir nicht überschreiten können.
Die konstruktive Phantasie des Gehirns für mechanische Erfindungen und chemische Auswertungen ist unbegrenzt – aber um Güte, Ehrlichkeit, Liebe und Menschlichkeit zu verwirklichen, muß die Menschheit sich selbst weiterentwickeln.
Der Mensch kann nur hervorbringen, was in ihm ist. Mehr nicht.