Das Krankenhaus in Phoenix rief dreimal an, ich solle herüberkommen und einige Fragen betreffs Donovans Tod beantworten.
Janice sagte ihnen, ich sei zu stark beschäftigt und würde später kommen.
Auch Schratt rief an. Janice nahm das Telefon mit in ihr Zimmer und sprach lange mit ihm. Im allgemeinen liebt sie keine langen Telefongespräche, also ahnte ich, daß die Lage in Phoenix verwickelt wurde.
Als das Hospital zum viertenmal anrief, entschloß ich mich hinzufahren, ehe sie Verdacht schöpften.
Janice wollte gern mit mir in die Stadt fahren. Schweigend und verschlossen saß sie im Wagen. Es ärgerte mich zu fühlen, daß sie mich aus dem Augenwinkel beobachtete.
Ich faßte den Entschluß, all die angehäuften Fragen zwischen uns so bald wie möglich zu klären. Ich nahm ihre Intensität übel – sie störte mich bei meiner Arbeit. Die Disharmonie im Haushalt mußte ein Ende haben!
Als wir in der Stadt ankamen, wünschte Janice im Wagen zu bleiben. Ich fragte sie nicht, warum sie ihren Sinn so plötzlich geändert oder weshalb sie darauf bestanden hatte, überhaupt mitzukommen. Ich ging ins Krankenhaus.
Am Eingang stand ein dünner, schäbig aussehender Mann mit einer Kamera und machte eine Aufnahme von mir. Das mißfiel mir sehr. Die Schwester am Empfangspult schickte mich direkt zu Dr. Higgins, dem Direktor.
In Higgins' Wartezimmer saß Schratt, verfallen und grün aussehend. Ich nickte ihm zu, aber seine unruhigen Augen schienen mich nicht zu sehen. Als ich auf ihn zuging, um mit ihm zu sprechen, öffnete Higgins eine Tür und rief mich zu sich hinein.
Webster, der Leiter der Luftlinie, war bei ihm. Webster wartete keine Formalitäten ab. »Dr. Cory«, sagte er zu mir, »Schratt erzählte mir, daß Sie die Rettungsexpedition zum Lichtwart hinauf geführt haben.«
»Ja«, erwiderte ich. »Es war das Nächstliegende. Wenn Dr. Schratt in Konapah eine Rettungsmannschaft hätte bilden müssen, wäre er viel später angekommen.«
»Wenn ich recht verstand – Sie sind nicht praktizierender Arzt in diesem Bezirk?« Higgins sprach scharf, aber ich war auf seine Frage vorbereitet.
»Ich bin Doktor der Medizin, Herr Higgins«, antwortete ich ebenso scharf wie er. »Bei einem Unfall hat jeder Arzt seine Pflicht zu erfüllen!«
Ich wandte mich an Webster. Er nickte leichthin, als hätte ich ihn aufgefordert, meine Worte zu bestätigen.
Webster war unsicher. Der Tote war zu bedeutend, als daß man die Sache mit dem gewöhnlichen Bericht hätte erledigen können. Jede Zeitung im ganzen Land würde diesen Unfall aufblasen und ausschlachten. Websters Handlungen in der Nacht des Unfalls würden in allen Einzelheiten diskutiert werden.
Donovan hätte nicht gerettet werden können, wenn sämtliche Spezialisten der Mayo-Klinik an der Stelle des Unfalls schon auf ihn gewartet hätten, und das schien Higgins zu wissen. Doch Webster war zu tadeln, daß ein alter Knacker von Arzt in der Nacht des Unfalls Dienst gehabt hatte und ein unbekannter Mediziner eine schwere Operation an einem der reichsten Männer Amerikas vornehmen mußte.
Es war günstig für mich, daß Webster dringend wünschte, die Tatsachen zu verschleiern und den Zwischenfall so schnell wie möglich abzuschließen. Aber Higgins war auf dem Kriegspfade und wollte Blut sehen. Er rief Schratt herein.
Schratt war zittrig in den Knien. Er sah für den Arzt eines Notlande-Flugplatzes alles andere als repräsentabel aus. Webster blickte ihn mit Mißfallen an, und Higgins wandte sich bei Schratts demoralisierter Erscheinung mit Widerwillen ab.
Er sagte schnelclass="underline" »Bitte, folgen Sie mir.«
Ich ging neben Webster, vor uns Higgins. Übersehen und als Nachhut hinten gelassen, wurde Schratt immer verzweifelter.
Schratt ist so unberechenbar. Ich hatte Angst, er könnte mit der Wahrheit herausplatzen, wenn er gerade einen Anfall von Reue bekam. Er hatte versucht, sein Gewissen unter Alkohol zu setzen, doch wie die meisten starken Trinker tröstete ihn das nicht, sondern verstärkte nur seine verzweifelten Gewissensbisse.
Ich verlangsamte meine Schritte etwas, damit Schratt mich einholen könne. Sein Gang war unsicher, doch ich fürchtete auch, ihn zu stützen, aus Angst, er könne sich einbilden, ich wolle ihm helfen, gerade zu gehen. Sogar solch kleine Geste hätte einen Gefühlsausbruch hervorrufen können.
Higgins führte uns zur Leichenkammer. An der Tür machte Schratt eine tapfere Anstrengung, sich zu beherrschen, riß sich zusammen und hob die Schultern.
Nur die eine Leiche, mit einem Laken bedeckt, lag in dem kleinen gekachelten Raum. Ich wußte, es war Donovans Körper, denn der Stoff fiel am Fußende der Bahre zusammen, wo die Füße eines Menschen ihn natürlicherweise hochgebauscht hätten.
Higgins deckte den Körper auf, und wir starrten alle in Donovans verwesendes Gesicht. Ich fühlte, wie es mir eiskalt über den Rücken lief. An den Bandagen des Kopfes war herumhantiert worden!
Auch Schratt merkte, daß sie jetzt anders gewickelt waren. Er trat zurück, aber sein Ausdruck veränderte sich nicht. Er nahm das Unglück immer fatalistisch entgegen.
»Dr. Schratt stellt in dem Totenschein fest, daß Herr Donovan nach der Amputation beider Beine starb. Sie haben nicht zufällig diese Gliedmaßen mit heruntergebracht, Dr. Cory?« fragte Higgins.
»Falls Sie die Notwendigkeit der Amputation bezweifeln, rate ich, die Beine zu exhumieren. Sie finden sie bei der Leuchtfeuer-Station begraben«, sagte ich kalt und beleidigt.
Webster, der nichts weniger wünschte als eine weitere medizinische Untersuchung, unterbrach rasch.
»Wenn Donovan sofort gestorben wäre, könnten wir uns diese fruchtlosen post mortems sparen.« Er wandte sich zur Tür. »Ich glaube, es hat keinen Sinn, den Fall weiter zu diskutieren. Wir machen Donovan nicht wieder lebendig und können nur Streitfragen entfesseln.« Er ließ Higgins deutlich verstehen, daß er den Fall abzuschließen wünschte, aber Higgins ignorierte den Vorschlag.
»Der Bericht spricht nicht von einer Kopfverletzung«, fuhr Higgins hartnäckig fort.
»Sie fanden sicher auch, daß die Rippen gebrochen sind«, erwiderte ich ruhig, denn ich wußte, auf was er aus war. »Wünschen Sie das gleichfalls festzulegen? Versuchen Sie, mich der Nachlässigkeit zu bezichtigen? Bitte, wessen klagen Sie mich an? Ich habe alles getan, was ich tun konnte.«
Higgins überlegte. Er fühlte Schratts wachsende Panik, doch er wußte nicht, was die Ursache dazu war, und das machte ihn unsicher.
»Lassen Sie uns gehen«, drängte Webster. »Ich fühle mich etwas schlecht ... ich bin nicht gewöhnt an ...«
Er öffnete die Tür der Leichenkammer und atmete die Luft tief ein, als kämpfe er gegen eine Ohnmacht.
Wir gingen hinaus. Ich fühlte den kalten Schweiß auf meiner Stirn und wagte nicht, den Kopf zu heben, aus Furcht, mich zu verraten.
Wir gingen wieder in Higgins Büro.
»Sie täten besser daran, die Ärzte zu wechseln, Herr Webster!« Higgins mußte unbedingt einen Sündenbock schlachten. »Dr. Schratt hat ganz offensichtlich seine Pflicht vernachlässigt. Es war seine Sache, sich sofort an den Schauplatz des Unfalls zu begeben, nicht einfach jemand anderen hinzuschicken! Doch Dr. Schratt war, wenn ich recht verstanden habe ..., nicht dazu fähig ...«
Schratt hob sein schlaffes, gedunsenes Gesicht. Er sah zerknirscht aus.
»Ich sehe mich genötigt, Sie zu entlassen«, sagte Webster schnell zu ihm, froh, daß er etwas gefunden hatte, womit er Higgins beruhigen konnte. »Es tut mir leid, Dr. Schratt!«
Webster sah mich forschend an und fügte hinzu: »Da ich einen Arzt haben muß, der in der Nähe des Notlandeplatzes wohnt, würde Dr. Cory vielleicht dieses Amt übernehmen.«
Auf Beifall wartend sah er Higgins an, doch ich war in der Stimmung, alle beide in ihre Schranken zurückzuweisen.
»Ich habe kein Interesse daran«, sagte ich mürrisch und ging zur Tür.
Higgins folgte mir. Seine Haltung änderte sich sofort, als er sah, daß er mir nicht grob kommen durfte. »Dr. Cory«, sagte er in verbindlichem Ton, »Sie müssen schon entschuldigen. Sehen Sie, ich mußte doch eine Untersuchung anstellen ...«