Der Enzephalograph zeigte an, daß es schlief.
Schweigend ging ich ans Werk, verband den Verstärker mit dem Auslöser und schloß eine elektrische Birne an den Stromkreis an. Dann schaltete ich den Strom ein und beobachtete die Lampe. Da es Alpha-Frequenzen produzierte, ruhte das Hirn.
Ich pochte an das Glasgefäß, in dem das Organ hing, und es merkte die Störung sofort. Der Enzephalograph registrierte Delta-Wellen, die Alpha-Zyklen wurden ausgestoßen, der Auslöser schaltete sich in den Strom und brachte die Birne zum Leuchten!
Ich starrte auf das Wunder, ich setzte mich hin, um mich daran zu freuen.
Die Lampe ging wieder aus. Das Hirn entspannte sich. Doch als ich aufstand, fühlte es meine Bewegung, und das Licht erschien wieder.
Ich ging hinüber zu meinem Schreibtisch, um die Zeit meiner Entdeckung aufzuzeichnen, als mir eine andere Idee kam. Wenn das Hirn Empfindungen und Wahrnehmungen hatte, so dachte es systematisch. Fraglos wurde es der Störungen von außen her gewahr, sonst hätten sich seine Alpha-Wellen nicht in Beta- oder Delta-Frequenzen umwandeln können. Ganz ohne Zweifel ging ein präziser Denkprozeß in dieser augenlosen, ohrenlosen Materie vor sich.
Vielleicht fühlte es das Licht wie ein Blinder, oder vernahm es Laute wie ein Tauber. Vielleicht produzierte es in seinem dunklen, stummen Dasein Gedanken von ungeheurer Klarheit und Tiefe! Vielleicht – gerade weil es von den Störungen der Sinne abgeschnitten war – konnte es all seine Hirnenergie auf bedeutende Gedanken konzentrieren.
Diese Gedanken mußte ich kennenlernen! Doch wie konnte ich mit dem Hirn in Verbindung treten?
Es war unfähig, zu sprechen und sich zu bewegen, dennoch konnte ich vielleicht sein Denken studieren, etwas von den großen ungelösten Rätseln der Natur kennenlernen. Und das Hirn konnte vielleicht in seiner vollkommenen Einsamkeit die Antworten auf ewige Fragen gefunden haben ...
Ich hörte, daß ein Wagen hielt. Es war Schratt, der Janice nach Hause brachte. Das störte mich natürlich. Der Lärm des Autos, Janices Schritte, das betont leise Öffnen der Haustür verscheuchten meine Gedanken von ihrem schmalen Pfad.
Ich wartete, bis Janice in ihr Zimmer gegangen war, aber ich konnte mich nicht wieder konzentrieren. Ich verließ das Laboratorium und klopfte an ihre Tür.
Janice saß auf ihrem Bett, das Gesicht mir zugewandt, die Hände auf den Knien, vornübergebeugt, als drückten ihre Gedanken sie nieder.
»Entschuldige, daß ich ohne dich von Phoenix fort mußte«, sagte ich, um das Gespräch einzuleiten, das unser Verhältnis zueinander ein für alle Male klären mußte.
»Schratt hat mich nach Hause gebracht«, antwortete sie nüchtern.
»Darf ich mich setzen?« fragte ich. Monatelang war ich nicht in ihrem Zimmer gewesen.
Sie nickte und fuhr mit derselben ruhigen Stimme fort: »Schratt hat seinen Posten verloren.« Sie sah mich an, als hätte ich dieses Mißgeschick verhindern können.
»Ich weiß. Was konnte ich dagegen tun?« erwiderte ich.
Sie nickte wieder, doch nicht, um meinen Worten zuzustimmen. »Du hast nichts getan, tun ihm zu helfen.«
Einen Augenblick war ich benommen. War das ein Vorwurf von Janice?
»Hat er das gesagt?«
»Er ist verzweifelt«, antwortete sie.
»Wie die meisten Trunkenbolde – er zeigt Anzeichen von Korsakows Psychose, wenn du dich von deiner Studienzeit her an die Symptome erinnerst. Nachlassen der Beobachtungskraft, Unfähigkeit, neue Erfahrungen mit der Wahrnehmungsmasse in Wechselbeziehung zu bringen. Mutmaßungen, rückschreitender Verlust des Gedächtnisses ... kurzum, alkoholische Entzündungen aller Nerven.«
Ihr Gesicht war traurig. »Ich habe ihn eingeladen, bei uns zu wohnen«, sagte sie. »Ich hoffe, du wirst es nicht ablehnen. Er kann das Zimmer hinten hinaus zum Garten haben – da wird er dich nicht stören.«
Ihre Güte kannte keine Grenzen. Wenn ich es erlaubt hätte, würde sie das Haus mit Landstreichern vollgestopft haben!
»Jetzt haben wir ihn zeit seines Lebens auf dem Halse! Nette Sache! Ich muß sein Schweigen kaufen. Er weiß, daß er zuviel weiß, und gedenkt daraus seinen Profit zu ziehen!«
Sie antwortete nicht, aber sie erblaßte, und ihr Mund wurde ganz weiß.
Es war ihr Haus. Sie konnte damit tun und lassen was sie wollte. Sie bezahlte meine Geräte und Experimente. Ich war vollkommen abhängig von ihr, und sie verlor nie ein Wort darüber. Sie hatte vielleicht überhaupt nie daran gedacht.
Aber ich mußte frei sein!
Janice wollte nicht kämpfen. Ihr Gesicht wurde weich, und sie zog sich in eine Schale zurück, in der sie kein rauhes Wort und kein harter Schlag erreichte. Sie gab ihre Persönlichkeit auf und siegte wie immer dadurch, daß sie es ablehnte, sich zu verteidigen.
»Gut«, sagte ich. »Hat dir Schratt auch erzählt, daß Webster mir das Amt angeboten hat? Vielleicht hätte ich es annehmen sollen. Vielleicht tue ich es noch.«
Sie lächelte freundlich und verstehend. Sie wußte, daß meine Arbeit all meine Gedanken und meine Zeit in Anspruch nahm. Selbst die Tatsache unserer Ehe hatte der zersetzenden Herrschaft meiner Arbeit nicht widerstehen können. Sie wußte, daß ich meine Kräfte nicht zersplittern konnte.
Erschöpft saß ich vor ihr. Ich wußte, ich konnte ihr nicht befehlen, mich zu verlassen. Selbst mein Befehl würde keine Überzeugungskraft haben. Und sie würde – hinsiechend durch die heißen Winde und die drückende Wüstenhitze – lieber sterben, als mich verlassen!
Sie hatte sich entschlossen, bei mir zu bleiben, und keine Unfreundlichkeit, keine Nichtachtung konnte sie von mir trennen. Ich hätte sie töten müssen, um mich von ihr frei zu machen.
Und auch das würde nichts nützen. Die Erinnerung an sie würde mich bis zum Ende meiner Tage verfolgen. Mein Leben war auch ihr Leben. Sie würde mich nie loslassen.
Das wußte sie, und die Fruchtlosigkeit meiner Angriffe gab ihr unerschöpfliche Kräfte.
»Also gut, laß Schratt hierbleiben.«
Ich war müde – ich gab auf. Ich hatte keine Lösung herbeigeführt. Sie hatte sich mir nur noch fester verbunden.
Fünfundzwanzigster September
Ich habe mein Bett ins Laboratorium geschafft. Ich muß so dicht wie möglich bei dem Objekt meines Experimentes sein.
Ich esse allein, verlasse das Laboratorium nie und sehe Janice und Schratt überhaupt nicht. Von Zeit zu Zeit höre ich Schratts Wagen kommen oder wegfahren. Franklin bringt mir mein Essen – er ist gut erzogen und lenkt mich nie durch ein Wort ab.
Ich habe ihm befohlen, die Nachrichten über Donovans Tod zu sammeln, und er hat Janice meinen Wunsch übermittelt. Jetzt bringt er mir fast täglich Zeitungen und Illustrierte mit Geschichten über Donovan. Ich lese sie alle, und bald werde ich so viel von Donovans Leben wissen, als seien wir intime Freunde gewesen.
Nachdem die öffentliche Neugier auf den ersten kurzen Bericht über den Absturz und seine Opfer befriedigt war, begann der Klatsch die dunklen Punkte von Donovans Privatleben zu enthüllen.
Je mehr ich über ihn lese, um so dunkler wird sein Charakter. Er war, wie alle großen Geldmacher, skrupellos bis zur Grenze des Kriminellen. Nur eine beschränkte Menge Geld kann ehrlich verdient werden. Um in dem kurzen Verlauf eines Lebens die Millionen so anzuhäufen, muß man rücksichtslos sein und kein Gewissen haben.
Niemand weiß sicher, wieviel Geld Donovan gemacht hat, jedoch er besaß das größte Warenversandhaus der Welt. Es streckte sich wie ein Tintenfisch über alle Staaten.
Donovan war Fünfundsechzig, als das Flugzeug abstürzte – kein Alter für einen Mann. Er reiste mit seinem Rechtsanwalt und zwei Piloten. Wenige Tage vor seinem Tode hatte er die Zügel des Geschäftes seinem Sohne übergeben. Das war eine Überraschung für alle – für seinen Aufsichtsrat und besonders für seine Familie.