Warum Donovan, ein Mann, dessen einziger Ansporn sein ganzes Leben hindurch eine unersättliche Gier nach Macht und immer mehr Macht gewesen war, plötzlich seine Autorität aufgab, konnten die Zeitungen nicht erklären. Er hatte den Flug nach seinem Haus in Miami unternommen, ohne seiner Familie oder seinen Freunden etwas davon zu sagen. Man munkelte von einem Streit mit seinem Sohn und seiner Tochter. Eine Zeitung machte eine Andeutung über eine Krankheit, aber niemand wußte etwas Bestimmtes.
Mich hat eine tiefe Neugierde für Donovans Lebensgeschichte gepackt. Die Gesetze menschlicher Gefühle sind unbekannt, hier aber bietet sich mir eine Gelegenheit, die Geheimnisse eines Hirns zu durchdringen, vielleicht die Faktoren zu entdecken, die seine Fähigkeiten bestimmen.
Welche chemische Reaktion löst den Erfolg aus? Welche ist verantwortlich für unsere Fehlschläge? Welche erzeugt Glück, welche Unglück?
Donovans Hirn könnte die Antwort geben.
Stunden um Stunden lasse ich den Enzephalographen durch meine Finger laufen und versuche eine Beziehung zu finden zwischen den Kurven der Feder und den Gedanken, die sie ausdrücken müssen.
Wir wissen: Wenn sich das Hirn einen Baum vorstellt, sind diese Kurven verschieden von denen, die bei dem Gedanken an ein Pferd oder ein Auto erscheinen. Ein gefühlsmäßiger Ausbruch von Haß zieht andere Linien als ein Ausbruch von Freude.
Es liegt innerhalb der erreichbaren Möglichkeit, einen Kode zu finden, der die Beziehung zwischen dem Lesen des Enzephalographen und dem geistigen Bild übersetzt. Wenn ich den Schlüssel finden könnte, würde sich das Hirn mit mir in Verbindung setzen.
Ich kann nicht zu ihm sprechen, denn es hat kein Organ, um zu hören. Es kann nicht sehen, es kann nicht schmecken. Doch zweifellos ist es empfindlich gegen Berührung. Wenn ich an das Glas klopfe, empfängt das Hirn die Tonwellen und reagiert.
Wenn es denkt – ein Prozeß, den ich nicht veranlassen, nur voraussetzen kann – könnte ich mich ihm durch Klopfzeichen verständlich machen. Das Problem ist nur: Wie bekomme ich eine Antwort?
Dreissigster September
Tagelang habe ich versucht, dem Hirn in Morsezeichen denselben Satz zu übermitteln:
. - - . - . . . . . - . . - - . - - .
- . . - - - - . - - - . . . - . - - - .
Achtung, Donovan! Achtung, Donovan!
Der Enzephalograph hat reagiert, aber immer verschieden, in Beta- und Delta-Frequenzen. Niemals kam zweimal dasselbe Muster.
Mir fiel ein, das Hirn verstände vielleicht die Morseschrift nicht. Donovan wußte wahrscheinlich nichts von Telegrafie. Eine einfache Erklärung für den Fehlschlag!
Wenn das Hirn also nur aufnehmen kann, was es gelernt hat, müßte es doch immerhin möglich sein, die Summe seines Wissens durch Training zu erweitern.
Geduldig begann ich, die Morse-Signale an den Glasbehälter zu klopfen: . – A, – . . . B.
Unermüdlich setzte ich das tagelang fort, wann immer ich fand, daß die Birne am Relais brannte, um mir mitzuteilen, daß das Hirn wach sei. Manchmal war ich entmutigt, denn kein Zeichen wies darauf hin, daß das Hirn verstand, was ich wollte.
Doch es schien mich zu beobachten. Die Beta-Kurven waren glatt und präzis, als sei es darauf konzentriert, was ich tat. Wenn ich aufhörte zu klopfen, verwandelten sich die Frequenzen auf dem Papier. Donovans Hirn versuchte vielleicht, mir eine Botschaft zu senden.
Zweiter Oktober
Ich wiederholte die Morsezeichen Tausende von Malen, gewohnheitsmäßig, manchmal halb im Schlaf. In meinen Träumen wurde ich selbst ein Instrument, das die Zeichen unablässig wiederholte. Da ich die Buchstaben des Alphabets wieder und wieder klopfte, hätten sie ins Hirn eines Babys eingehen müssen. Ein so wendiges und intelligentes Hirn wie das Donovans mußte merken, daß Methode darin war, mußte sich daran erinnern, sogar automatisch, mußte die Bedeutung entziffern.
Wieder begann ich: Achtung, Donovan! Kannst du verstehen? Donovan! Wenn du verstehst, denke dreimal an einen Baum, Donovan. Dreimal Baum, Baum, Baum.
Ich beobachtete den Enzephalographen. Die Feder bewegte sich krampfhaft und formte ein Zeichen – dreimal dasselbe Zeichen! Die wilden Delta-Wellen schüttelten die Feder wie im Aufruhr.
Erschöpft fiel ich auf mein Bett, nicht imstande, meine Gedanken zu ordnen. Hatte ich mich geirrt? Hatte das Hirn mir wirklich geantwortet? Der Enzephalograph hatte dreimal dieselbe Kurve gezeichnet – aber war das tatsächlich ein Beweis, daß Donovan verstand?
Theoretische Begriffe ohne den experimentellen Beweis sind bedeutungslos. Ich durfte mich nicht mit Vermutungen abgeben. Ich kann nur den Beweis anerkennen, den meine Instrumente erbringen.
Wieder versuchte ich es: Denke dreimal an einen Baum. Baum, Baum, Baum. Das Zeichen erschien – einmal – zweimal – dreimal! Das gleiche Zeichen!
Dann flossen die Alpha-Zyklen in Beta-Frequenzen, glatt, wiederholend. Das Hirn war erschöpft in Schlaf gefallen.
Ich konnte seinen tiefen Schlummer messen. Die Deflektionen wurden weiter. Das Hirn träumte. Die Feder auf dem Papierstreifen bewegte sich wild. Das Hirn hatte einen Alptraum!
Dritter Oktober
In derselben Nacht – gestern nacht – ging ich in Schratts Zimmer hinter der Garage. Ich war zu Ende mit meiner Kunst – ich mußte ihn sprechen.
Das Hirn hatte meinem Befehl gehorcht und die Worte wiederholt, die ich ihm zu denken befahl. Wie aber konnte ich seine eigenen Gedanken übersetzen, die zweifellos auf dem Papierstreifen niedergekritzelt waren?
Es war drei Uhr morgens. Der Himmel war klar. Die Kälte ließ den Sand unter meinen Füßen knistern.
Ich trat ohne zu klopfen in Schratts Zimmer. Er schlief fest, sein Mund stand offen. Sein Gesicht war dünner, aber er sah gesund aus. Die gedunsene Haut hatte sich gefestigt und in seine rauhen Wangen war etwas Farbe gekommen. Janices heiliger Einfluß hatte ihn vermutlich vom Alkohol ferngehalten.
Plötzlich schlug er die Augen auf und starrte mich an, als sei ich ein Geist. Als ich seinen Namen nannte, setzte er sich auf, aber er starrte mich weiter an.
»Kommen Sie mit«, sagte ich. Meine Stimme klang rauh.
Ich mußte Schratt erschreckt haben, denn ich las in seinen Augen Furcht und Mißtrauen. Ich blickte in einen bodenlosen Abgrund: Er hatte Angst, ich könnte ihn aufschneiden, um ihn in eine meiner Versuchsröhren zu stecken. Er hielt mich für fähig, alles zugunsten meiner Forschungen zu tun.
»Ich möchte Ihnen etwas zeigen«, sagte ich.
Der erschreckte Blick wich nicht aus seinen Augen, doch er kroch aus dem Bett und zog einen schmutzigen alten Bademantel über. Er schien ernsthaft nachzudenken, denn seine Stirn war gefurcht. Endlich setzte er sich hin und sagte mit verzweifelter Entschlossenheit: »Ich interessiere mich nicht für Ihre Experimente, Patrick.«
Er hatte sich dafür entschieden, sich an meiner Arbeit nicht zu beteiligen. Er war jetzt, da er in meinem Hause wohnte, mehr von mir losgelöst, als er es früher war, wenn er aus dem Laboratorium stürmte, entschlossen, mich nie wiederzusehen.
»Sie müssen mir helfen, Schratt. Ich komme ohne Sie nicht weiter.«
Das war die schmeichelhafteste Bitte, die ich mir ausdenken konnte.
Er war sichtlich bewegt, doch er zog den Bademantel fester um seinen fetten Körper und schüttelte, immer noch trotzig, den Kopf.
Für ihn wie für mich war die ganze Welt ein Laboratorium. Ich handelte, er aber schreckte vor neuem Wissen zurück. Er hatte sich in mönchische Abgeschiedenheit zurückgezogen, hatte als Wissenschaftler entsagt.
»Sie wissen, ich verabscheue Ihre Forschungen, Patrick. Sie können der Menschheit nicht helfen! Sie können nichts anderes als das Unheil fördern. Sie würden die Welt zur Barbarei zurückführen!«