«Ich kümmere mich darum.«
«Etwas anderes noch«, sagte ich.»Ich bin drei von den Kleppern zugeteilt worden, um die Sie Ihren Stall bereichert haben, das heißt, ich komme auf keine Rennbahn. Aber wenn Sie einen davon vielleicht wieder verkaufen, hätte ich Gelegenheit, bei der Auktion mit Leuten von anderen Ställen zusammenzukommen. Da hier noch drei andere Pfleger je drei Pferde betreuen, wäre ich nicht gleich überflüssig, und vielleicht bekäme ich dann ein renntaugliches Pferd anvertraut.«
«Ich verkaufe eins«, sagte er,»aber bis es zur Versteigerung kommt, das dauert. Der Antrag muß fast einen Monat vor dem Verkaufstermin beim Auktionator sein.«
Ich nickte.»Es ist zum Verzweifeln. Wenn ich bloß wüßte, wie ich an ein Pferd komme, das demnächst läuft. Am besten noch auf einer weit entfernten Rennbahn, denn mit Zwischenstation wäre es ideal.«
«Pfleger bekommen nicht einfach neue Pferde«, sagte er und rieb sich das Kinn.
«Ich weiß. Das ist Glückssache. Man kriegt sie, wenn sie kommen, und behält sie, bis sie gehen. Taugen sie nichts, hat man Pech gehabt.«
Wir standen auf. Der Retriever, der, die Schnauze auf den Pfoten, die ganze Zeit still dagelegen hatte, kam ebenfalls hoch, streckte sich, wedelte mit dem Schwanz und sah seinen Herrn vertrauensvoll an. October bückte sich, gab dem Hund einen zärtlichen Klaps und hob die Flinte auf. Ich nahm die Jagdtasche und hängte sie mir um.
Wir gaben uns die Hand, und October sagte lächelnd:
«Es interessiert Sie vielleicht, daß Inskip der Meinung ist, Sie reiten ungewöhnlich gut für einen Pfleger. Wörtlich sagte er, daß er Leuten von Ihrem Aussehen eigentlich nicht traut, aber Sie hätten Hände wie ein Engel. Passen Sie lieber auf.«
«Verflucht«, sagte ich.»Daran habe ich gar nicht gedacht.«
Er grinste und ging den Berg hinauf, während ich mich wieder bachabwärts wandte und wenig Grund zum Grinsen fand. So lustig es sein mochte, im Wolfspelz herumzulaufen — wenn ich jetzt auch noch meine Reitkünste verstecken mußte, ging das an meinen Stolz.
Die Kneipe in Slaw hatte Hochbetrieb an diesem Abend, und die Lohntüten wurden geplündert. Etwa die Hälfte von Octobers Leuten waren dort — einer hatte mich im Auto mitgenommen — und auch ein Teil der Grangerleute, einschließlich dreier Mädels, die eine Menge Zweideutigkeiten zu hören bekamen und ihren Spaß daran hatten. Hauptsächlich aber wurde immer wieder gutmütig damit geprahlt, daß die eigenen Pferde besser seien als alle anderen.
«Mein Gaul gewinnt am Mittwoch sonnenklar.«
«Klarer Fall von denkste.«
«Du mit deinem Walroß mußt doch ganz still sein.«
«Das war der Jockey, Mann, der hat den Start versaut.«
«… fett für zwei und störrisch wie ein Esel.«
Die Sprüche flogen hin und her, während die Luft stickig wurde vom Zigarettenrauch und von zu vielen Leuten auf zu engem Raum. In einer Ecke lief ein Dartspiel zwischen schlecht zielenden Gegnern, in einer anderen klackten Billardkugeln. Ich lümmelte mich auf einen Stuhl, den Arm über die Lehne gehängt, und sah Paddy und einem von Grangers Leuten bei einer scharfen Runde Domino zu. Pferde, Autos, Fußball, Boxen, Kino, das letzte Tanzfest und wieder Pferde, immer wieder Pferde. Ich hörte mir das alles an und kam lediglich zu der Überzeugung, daß die meisten hier mit ihrem Leben zufrieden, daß sie gutmütig, aufmerksam und harmlos waren.
«Du bist neu hier, was?«sagte eine herausfordernde Stimme in mein Ohr.
Ich drehte den Kopf und sah zu dem Mann hoch.»Ja«, sagte ich träge.
Seine Augen waren die ersten in Yorkshire, in denen ich etwas von der Falschheit entdecken konnte, nach der ich suchte. Ich gab ihm seinen Blick zurück, bis seine Lippen sich in der Erkenntnis kräuselten, daß ich einer von seiner Sorte sei.
«Wie heißt du?«
«Dan«, antwortete ich,»und du?«
«Thomas Nathaniel Tarleton. «Er wartete auf irgendeine Reaktion, bloß ahnte ich nicht, auf welche.
«T.N.T.«, sagte Paddy entgegenkommend und sah von seinen Steinen auf.»Soupy. «Sein rascher Blick streifte uns beide.
«Hochexplosiv, der Herr«, murmelte ich.
Soupy Tarleton zeigte ein kleines raubtierhaftes Lächeln, wohl um mich zu beeindrucken. Er war ungefähr in meinem Alter, aber ein heller Typ, mit der rötlichen Gesichtsfarbe, die mir bei so vielen Engländern schon aufgefallen war. Seine hellbraunen Augen standen ein wenig vor, und ein schmaler Oberlippenbart zierte den wulstigen, feucht aussehenden Mund. Am rechten kleinen Finger trug er einen schweren Goldring, am linken Handgelenk eine teure goldene Uhr. Seine Kleidung war aus gutem Tuch, sehr modisch, und die wunderschöne, mit Webpelz gefütterte Steppjacke, die er über dem Arm trug, mußte ihn drei Wochenlöhne gekostet haben.
Er machte keine Anstalten, sich mit mir anzufreunden. Nachdem er mich so eingehend gemustert hatte wie ich ihn, nickte er lediglich, sagte:»Bis dann «und schob ab, um beim Billard zuzusehen.
Grits kam mit einem kleinen Bier von der Theke und setzte sich neben Paddy auf die Bank.
«Soupy darfst du nicht trauen«, erklärte er mir freundlich, nichts als Güte in dem grobknochigen, unintelligenten Gesicht.
Paddy legte eine doppelte Drei an, drehte sich zu uns um und warf mir einen langen, prüfenden Blick zu.
«Um Dan brauchst du dir keine Gedanken zu machen, Grits«, sagte er.»Der ist wie Soupy. Die passen gut zusammen. Gleich und gleich gesellt sich gern, das weißt du.«
«Aber du hast doch gesagt, ich soll Soupy nicht trauen«, wandte Grits ein und sah beunruhigt von einem zum anderen.
«Ganz recht«, meinte Paddy nur. Er legte eine Drei-Vier an und konzentrierte sich aufs Domino.
Grits rückte ein Stück näher an Paddy heran und warf mir einen wirren, verlegenen Blick zu. Dann hatte er plötzlich nur noch Augen für sein Bierglas und sah mich nicht mehr an.
Genau das war der Moment, glaube ich, wo aus dem Spiel für mich Ernst wurde. Ich mochte Paddy und Grits, und drei Tage lang hatten sie mich ohne weiteres akzeptiert. Jetzt sah Paddy mich als jemanden, der Fäden in Richtung Soupy spann, und hatte sich konsequent von mir abgewandt. Ich hätte darauf gefaßt sein müssen, aber es traf mich, und es war ein Vorgeschmack dessen, was kommen sollte.
Colonel Becketts Stabsarbeit blieb weiterhin erstklassig. Nachdem wir einmal die Offensive ergriffen hatten, zögerte er nicht, den Angriff massiv zu unterstützen; sobald er also von October erfuhr, daß ich mit drei unnützen Pferden im Stall festsaß, traf er Anstalten zu meiner Befreiung.
Am Dienstag nachmittag — ich war seit einer Woche dort
— hielt mich Wally, der Futtermeister, an, als ich mit zwei Eimern Wasser über den Hof kam.
«Dein Pferd in der 17 wird morgen abgeholt«, sagte er.
«Du mußt dich also bis Mittag dranhalten, ihr fahrt um halb eins. Das Pferd kommt in einen Rennstall bei Nottingham. Ihr ladet es aus und bringt dafür ein neues mit. Okay?«
«Okay«, sagte ich. Wally wahrte Distanz zu mir; doch übers Wochenende hatte ich mich damit abgefunden, daß ich nun mal ein gewisses Mißtrauen erregen mußte, auch wenn es mir gegen den Strich ging.
Fast den ganzen Sonntag über hatte ich die Rennberichte studiert, für die anderen im Haus eine ganz normale Beschäftigung, und als am Abend alle in die Kneipe zogen, machte ich mich mit dem Bleistift konzentriert an die Arbeit und nahm die elf Pferde und ihre forcierten Siege unter die Lupe. Richtig war, wie ich den Zeitungsausschnitten in London schon entnommen hatte, daß zu jedem Pferd ein anderer Besitzer, Trainer und Jockey gehörte, doch traf es nicht zu, daß sie überhaupt nichts gemeinsam gehabt hätten. Als ich den Umschlag mit meinen Aufzeichnungen zuklebte und ihn zusammen mit Octobers Notizbuch unter ein paar Rennberichtsjahrgängen in der Jagdtasche verstaute, weg von den neugierigen Blicken der angeheiterten Heimkehrer, war ich im Besitz von immerhin vier, wenn auch wenig hilfreichen Übereinstimmungen.