Выбрать главу

Erstens hatten alle Pferde Verkaufsrennen gewonnen — Rennen, nach denen der Sieger zur Versteigerung kommt. Drei Pferde waren dabei von ihren Besitzern zurückersteigert, die übrigen zu mäßigen Preisen verkauft worden.

Zweitens hatten alle Pferde in ihrer Rennlaufbahn bewiesen, daß sie im Feld gut aussehen konnten, nur beim Finish hatte es ihnen entweder an Kraft oder an Mut gefehlt.

Drittens hatte keines von ihnen je ein Rennen gewonnen außer demjenigen, für das es gedopt worden war, wenngleich sich alle hin und wieder hatten plazieren können.

Viertens, keines von ihnen hatte bei einer Quote unter 110 zu 10 gesiegt.

Octobers Notizen wie auch den Rennberichten entnahm ich, daß einige der Pferde mehr als einmal den Trainer gewechselt hatten, aber bei so mäßigen, erfolglosen Tieren war das nicht anders zu erwarten. Ebensowenig half mir die Information, daß die Pferde alle von verschiedenen Vätern und aus verschiedenen Müttern stammten, daß ihr Alter zwischen fünf und elf Jahren lag, daß sie nicht alle von einer Farbe waren. Sie hatten auch nicht alle auf der gleichen Rennbahn gesiegt, allerdings nun auch nicht alle auf verschiedenen; nach der ungefähren Vorstellung in meinem Kopf lagen die fraglichen Bahnen alle im Norden Englands — Kelso, Haydock, Sedgefield, Stafford und Ludlow. Ich wollte mir das auf einer Karte ansehen, aber im Hause Allnut gab es keine.

Ich ging zu Bett in dem überfüllten kleinen Schlafsaal, wo die Bierfahnen der Pferdepfleger alsbald den vertrauten Geruch nach Schuhcreme und Haar öl verdrängten, doch mein Vorschlag, das kleine Schiebefenster etwas mehr als nur zehn Zentimeter zu öffnen, wurde glatt abgelehnt. Anscheinend richteten sich die Jungs alle nach Paddy, dem Aufgewecktesten am Ort, und wenn Paddy mir nicht grün war, waren sie es auch nicht. Hätte ich unter diesen Umständen verlangt, das Fenster ganz zu schließen, wäre es wahrscheinlich weit aufgestoßen worden, und ich hätte frische Luft genug bekommen. Ich lächelte schief im Dunkeln, lauschte den knarrenden Sprungfedern, den schläfrigen, kichernden Stimmen, die noch einmal die Sprüche des Abends durchgingen, und während ich mich herumwälzte, um eine angenehme Lage auf der verbeulten Matratze zu finden, mußte ich an die Leute in meiner Schlafbaracke daheim denken und fragte mich, wie eigentlich für sie das Leben aussah.

Mittwoch früh bekam ich einen Vorgeschmack vom schneidenden Yorkshire-Wind, und während wir mit eisigen Händen und laufenden Nasen herumsausten, versicherte mir einer von den Jungs vergnügt, der Wind könne sechs Monate am Stück so blasen. Ich versorgte meine drei Pferde im Eiltempo, aber als der Transporter mich und eines von ihnen um halb eins abholte, dachte ich angesichts meiner dürftigen Garderobe nur noch, daß Octobers großes, viereckiges Haus oben an der Auffahrt über eine sehr gute Zentralheizung verfügen müsse.

Nach sechs oder sieben Kilometern drückte ich auf die Klingel, die in den meisten Pferdetransportern Laderaum und Fahrerhaus verbindet. Der Fahrer hielt auch prompt und sah mich fragend an, als ich neben ihm einstieg.

«Das Pferd ist ruhig«, sagte ich,»und hier hab ich’s wärmer.«

Er grinste, fuhr wieder an und brüllte fast, um den Lärm des Motors zu übertönen.»Dacht’ ich doch gleich, daß du nicht alles so genau nimmst. Das Pferd wird verkauft und soll in gutem Zustand ankommen… den Chef würd’s umhauen, wenn er wüßte, daß du vorne sitzt.«

Ich war mir ziemlich sicher, daß der Chef, also Inskip, sich darüber keineswegs gewundert hätte; nach mir selbst zu urteilen, waren Vorgesetzte nicht so naiv.

«Der Chef kann mich mal«, gab ich zurück.

Dafür sah er mich schräg an, und ich dachte bei mir, daß es doch recht einfach war, sich einen schlechten Ruf zu verschaffen, wenn man es darauf anlegte. Pferdetransportfahrer kamen scharenweise zu den Rennen und hatten, wenn sie erst mal dort waren, nichts zu tun. Sie konnten in der Kantine schwätzen, den ganzen Nachmittag konnten sie umherlaufen und reden. Dabei würde sich schnell genug herumsprechen, daß es unter Inskips Leuten offenbar ein schwarzes Schaf gab.

Wir machten halt, um in einem Fernfahrercafe etwas zu essen, und ein Stück weiter dann noch einmal, damit ich mir zwei Wollhemden, einen schwarzen Pullover, dicke Socken, Wollhandschuhe und eine Strickmütze kaufen konnte, wie die anderen Pfleger sie an diesem kalten Morgen getragen hatten. Der Fahrer, der mitgekommen war, um sich ein Paar Socken zu kaufen, sah auf mein Zeug und meinte, ich hätte wohl ganz schön Geld. Ich grinste bedeutungsvoll und sagte, man müsse eben wissen, wo es zu holen sei, worauf er sichtlich noch mehr an mir zweifelte.

Mitte des Nachmittags rollten wir in den Hof eines Rennstalls in Leicestershire, und hier zeigte sich, wie hervorragend Becketts Stabsarbeit war. Das Pferd, das ich mit zurücknehmen und fortan betreuen sollte, war ein fähiger

Hürdler, der, in Jagdrennen noch sieglos, am Anfang seiner Karriere als Steepler stand, und er war mit sämtlichen Nennungen an Colonel Beckett gegangen. Wie ich von seinem bisherigen Pfleger, der ihn mir mit saurer Miene übergab, erfuhr, konnte er also in allen Rennen starten, für die sein Vorbesitzer ihn gemeldet hatte.

«Und wo wäre das?«fragte ich.

«Ach, der kommt rum — Newbury, Cheltenham, San-down und so weiter, und nächste Woche soll er in Bristol ran. «Traurig gab der Pfleger mir das Strickhalfter in die Hand.»Mir ist schleierhaft, wieso der Alte sich auf einmal von ihm trennt. Das ist ein Prachtkerl, und wenn er jemals auf der Rennbahn nicht so gut und so gepflegt aussieht wie jetzt, bekommst du es mit mir zu tun, verlaß dich drauf.«

Ich hatte schon festgestellt, wie sehr im Rennsport die Pfleger an ihren Pferden hingen, und ich glaubte dem Mann aufs Wort.

«Wie heißt er denn?«fragte ich.

«Sparking Plug… Gemein, den so zu nennen… He, Sparks, alter Freund… hm, mein Alter… he, Alter…«

Liebevoll streichelte er die Nase des Pferdes.

Wir luden ihn in den Transporter, und diesmal blieb ich hinten, wo ich hingehörte, um auf ihn aufzupassen. Wenn Beckett sich das Unternehmen ein Vermögen kosten ließ — denn billig kam man an ein so ideales Pferd nicht innerhalb von Tagen —, dann sollte das Vermögen auch in guten Händen sein.

Ehe wir zurückfuhren, warf ich einen Blick auf die Straßenkarte im Fahrerhaus und sah zu meiner Freude, daß alle Rennbahnen im Land darauf mit Tusche markiert waren. Ich lieh sie mir sofort aus und studierte sie während der Fahrt. Die Bahnen, für die Sparking Plug laut seinem

Pfleger genannt war, lagen fast alle im Süden. Fahrten mit Übernachtung, wie gewünscht. Ich grinste.

Die fünf Rennbahnen, auf denen die elf Pferde gesiegt hatten, lagen jedoch nicht alle so weit nördlich, wie ich angenommen hatte. Ludlow und Stafford konnte man noch beinah zum Süden rechnen, zumal ich bei meinem Englandbild unwillkürlich von Harrogate ausging. Auf der Karte schienen die fünf Bahnen in keiner Beziehung zueinander zu stehen: Weit davon entfernt, einen säuberlichen Kreis zu bilden, aus dem sich ein Mittelpunkt hätte ableiten lassen, waren sie mehr oder weniger in einem Bogen von Nordosten nach Südwesten angeordnet, und ihre Lage sagte mir nichts.

Den Rest der Rückfahrt verbrachte ich — wie überhaupt den größten Teil meiner Arbeitszeit — damit, daß ich mir alles, was ich von den elf Pferden wußte, durch den Kopf gehen ließ und auf eine Eingebung wartete wie ein Angler auf den Fisch, als müßten sich all die unzusammenhängenden Fakten plötzlich zu einem schlüssigen Gesamtbild fügen. Aber eigentlich rechnete ich noch nicht damit, denn ich hatte ja kaum angefangen, und selbst elektronische Gehirne finden erst Lösungen, wenn man sie ausreichend mit Daten füttert.

Am Freitag abend besuchte ich wieder die Kneipe in Slaw und schlug Soupy beim Dartspiel. Er stöhnte, wies auf den Billardtisch und rächte sich umgehend. Dann tranken wir ein Bier zusammen und glotzten uns an. Wir machten wenig Worte und brauchten auch keine; bald stand ich wieder auf, um den Dartspielern zuzusehen. Sie waren so schlecht wie in der Woche zuvor.