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Als sie an einem Ginsterbusch vorbeikam, flog kreischend und flügelschlagend ein Vogel auf, und ihr Pferd fuhr erschrocken herum und stieg. Mit bemerkenswerter Körperbeherrschung blieb sie oben und zog sich von irgendwo unter dem rechten Ohr des Pferdes wieder in den Sattel, doch unter ihrem Tritt riß der Bügelriemen, und der Steigbügel fiel klirrend auf die Erde.

Ich blieb stehen und hob ihn auf, aber er ließ sich nicht mehr am Riemen befestigen.

«Danke«, sagte sie.»Wie ärgerlich!«

Sie sprang herunter.»Den Rest kann ich genausogut zu Fuß gehen.«

Ich ergriff den Zügel ihres Pferdes, um es für sie zu führen, doch sie nahm ihn mir gleich wieder ab.

«Sehr liebenswürdig«, sagte sie,»aber das kann ich schon selbst. «Der Weg war hier recht breit, und sie ging neben mir den Hang hinunter.

Bei näherem Hinsehen glich sie ihrer Schwester Patricia überhaupt nicht. Sie hatte glattes, silberblondes Haar, helle Wimpern, offen blickende graue Augen, einen festen, freundlichen Mund und strahlte eine Ruhe aus, in der Anmut und Zurückhaltung lagen. Unbefangen gingen wir eine Weile schweigend nebeneinander her.

«Ein herrlicher Morgen«, sagte sie schließlich.

«Herrlich«, stimmte ich zu,»aber kalt. «Die Engländer reden immer übers Wetter, dachte ich, und im November sind schöne Tage so selten, daß man erst recht darüber spricht. Zu Hause ging es auf den Sommer zu…

«Sind Sie schon lange bei uns?«fragte sie kurz darauf.

«Erst zehn Tage.«»Und gefällt es Ihnen?«

«Aber ja. Der Stall ist gut geführt.«

«Mr. Inskip würde sich freuen, das zu hören«, meinte sie trocken.

Ich warf ihr einen Blick zu, doch sie sah lächelnd vor sich auf den Boden.

Nach weiteren hundert Metern sagte sie:»Was haben Sie da für ein Pferd? Ich glaube, das kenne ich auch noch nicht.«

«Es ist erst seit Mittwoch hier…«Ich erzählte ihr das Wenige, was ich über Sparking Plugs Herkunft, seine Fähigkeiten und Möglichkeiten wußte.

Sie nickte.»Wäre schön für Sie, wenn er ein paar Rennen gewinnen könnte. Wo Sie ihn doch betreuen.«

«Ja«, sagte ich, erstaunt, daß sie so dachte.

Wir näherten uns wieder dem Stall.

«Entschuldigen Sie«, sagte sie freundlich,»aber ich weiß nicht, wie Sie heißen.«

«Daniel Roke«, sagte ich — und wunderte mich, wieso es mir nach all den Leuten, die mich in den letzten Tagen danach gefragt hatten, nur bei ihr angebracht schien, mit dem vollen Namen zu antworten.

«Danke. «Sie schwieg und sagte dann in einem ruhigen Ton, aus dem ich erfreut, aber auch belustigt das Bestreben heraushörte, mich nicht in Verlegenheit zu bringen:»Lord October ist mein Vater. Ich bin Elinor Tarren.«

Wir waren beim Hoftor angelangt. Ich ließ ihr den Vortritt, was mir ein freundliches, wenn auch unpersönliches Lächeln eintrug, und sie führte ihr Pferd über den Hof zu seiner Box. Ein wirklich nettes Mädchen, dachte ich flüchtig, als ich mich daranmachte, Sparking Plug den Schweiß abzubürsten, ihm die Hufe zu reinigen, Mähne und

Schweif auszukämmen, Augen und Maul auszuschwam-men, sein Stroh zu erneuern und ihm Wasser und Heu zu bringen, bevor ich das Pferd, das Patricia geritten hatte, ebenso versorgte. Patricia, dachte ich grinsend, war ganz und gar kein nettes Mädchen.

Als ich zum Frühstück ins Haus ging, gab mir Mrs. Allnut einen Brief, der gerade für mich gekommen war. Der Umschlag, abgestempelt in London am Tag zuvor, enthielt ein Blatt Papier mit einem einzigen maschinegeschriebenen Satz:

«Mr. Stanley wird am Sonntag um 15 Uhr bei den Victoriafällen sein.«

Ich stopfte den Brief in meine Tasche und ließ mir meinen Haferbrei schmecken.

Es regnete stark, als ich am nächsten Nachmittag den Bach entlangspazierte. Ich war vor October an der kleinen Böschung und wartete auf ihn, während sich die Regentropfen einen Weg in meinen Kragen suchten. Er kam wieder mit seinem Hund den Berg herunter; sein Wagen, sagte er, stehe oben an der wenig befahrenen Straße.

«Wir unterhalten uns aber besser hier, wenn es Ihnen nicht zu naß ist«, fügte er hinzu,»sonst sieht uns vielleicht jemand im Auto hocken und wundert sich.«

«Es ist mir nicht zu naß«, versicherte ich ihm lächelnd.

«Gut… also, wie kommen Sie voran?«

Ich sagte ihm, was ich von Becketts neuem Pferd hielt und von den neuen Möglichkeiten, die es mir bot. - Er nickte.»Roddy Beckett war im Krieg berühmt für die Geschwindigkeit und Präzision, mit der er Versorgungsgüter nachschob. Wenn er das Sagen hatte, geriet niemand an die falsche Munition oder an lauter linke Stiefel.«

«Einige Zweifel an meiner Ehrlichkeit habe ich schon mal geweckt«, sagte ich,»aber die kann ich diese Woche in Bristol und nächstes Wochenende in Burndale noch verstärken. Da nehme ich am Sonntag an einem Darttur-nier teil.«

«In Burndale gab es schon öfter Dopingfälle«, meinte er nachdenklich.»Vielleicht beißt einer an.«

«Wäre nicht schlecht.«

«Konnten Sie mit den Rennberichten was anfangen?«fragte er.»Haben Sie über die elf Pferde noch mal nachgedacht?«

«Ich habe an kaum etwas anderes gedacht«, sagte ich,»und ich halte es für möglich, auch wenn die Chance vielleicht nicht groß ist, daß Sie beim nächsten Pferd, das an die Reihe kommt, einen Dopingtest vornehmen können, bevor es an den Start geht. Immer vorausgesetzt, es gibt ein nächstes Pferd… Aber ich wüßte nicht, was dagegen spricht, da den Verantwortlichen noch nie etwas passiert ist.«

Er sah mich gespannt an, während der Regen von der heruntergeklappten Krempe seines Hutes troff.

«Sie haben eine Spur?«

«Nicht direkt. Es ist nur ein statistischer Anhalt. Aber ich könnte mir denken, daß das nächste Pferd ein Verkaufsrennen entweder in Kelso, Sedgefield, Ludlow, Stafford oder Haydock gewinnt. «Ich erläuterte ihm die Gründe für meine Annahme und fuhr fort:»Es müßte doch möglich sein, vor allen Verkaufsrennen auf diesen Bahnen generell Speichelproben zu nehmen — bei einer zweitägigen Veranstaltung gibt’s ja doch nur immer eins —, und man kann die Proben ja wegwerfen und die Untersuchungskosten sparen, wenn, ehm… kein Dopingverdacht aufkommt.«

«Ziemlicher Aufwand«, meinte er langsam,»aber wenn es was bringt, läßt sich das auch machen.«

«Vielleicht stoßen die Chemiker auf etwas Brauchbares.«

«Ja. Aber auch sonst sind wir schon ein ganzes Stück weiter, wenn wir ein gedoptes Pferd abpassen können, statt nur hilflos dazustehen, wenn wieder eins aufgetaucht ist. Menschenskind«, er schüttelte gereizt den Kopf,»daß wir da nicht längst dran gedacht haben. Jetzt, wo Sie es sagen, liegt es auf der Hand, das so anzugehen.«

«Bis jetzt hat ja auch noch keiner wirklich alle verfügbaren Informationen vor sich gehabt und bewußt nach einem gemeinsamen Faktor gesucht. Das Problem ist quasi immer von der anderen Seite angegangen worden, indem man bei jedem neuen Fall die Frage stellte, wer hatte Zugang zu dem Pferd, wer hat’ s gefüttert, wer gesattelt und so weiter.«

Er nickte düster.

«Und noch etwas«, sagte ich.»Die Chemiker meinten doch, da keine Droge nachzuweisen sei, sollten Sie nach mechanischen Einwirkungen suchen… Wissen Sie, ob die Pferde äußerlich genauso gründlich untersucht worden sind wie die Jockeys und ihre Ausrüstung? Mir kam neulich abend der Gedanke, daß ich mit einem Wurfpfeil ohne weiteres ein Pferd in die Flanke treffen könnte, und genauso könnte jeder gute Schütze da ein Gummigeschoß landen. So etwas würde wirken wie ein Hornissenstich… das macht jedem Pferd Beine.«