«Der hatte einen hohlen Apfel in der Hand, gefüllt mit Schlaftabletten…«
«… wirft er die Spritze direkt einem Steward vor die Füße.«
«Gibt es denn eigentlich etwas, das noch keiner probiert hat?«fragte ich.
«Schwarze Magie höchstens«, meinte der Hübsche.
Alle lachten.
«Es könnte aber mal einer einen Dreh finden«, warf ich ein,»den keiner durchschaut und den man endlos durchziehen kann, ohne aufzufliegen.«
«Himmel«, rief der Spaßvogel,»beschrei das nicht. Der arme alte Rennsport, man wüßte ja gar nicht mehr, woran man ist. Die Buchmacher würden ausrasten. «Er grinste breit.
Der kleine Ältere war weniger amüsiert.
«Das gibt’s doch schon lange«, sagte er und nickte ernst.
«Manche Trainer haben das zu einer hohen Kunst entwickelt, aber wirklich. Die dopen ihre Pferde regelmäßig seit Jahr und Tag.«
Aber die anderen Pfleger widersprachen. Die Dopingkontrollen hätten mit der alten Garde der falschspielenden Trainer aufgeräumt; die hätten ihre Lizenz verloren und arbeiteten nicht mehr im Rennsport. Das alte Reglement sei streng gewesen, gaben sie zu, denn danach wurde ein Trainer schon wegen eines einzigen gedopten Pferdes automatisch von allen Rennen ausgeschlossen. Nicht immer aber steckte der Trainer dahinter, schon gar nicht, wenn das Pferd leistungsmindernd gedopt war. Welcher Trainer, fragten sie, würde ein Pferd verlieren lassen, das er monatelang auf Sieg trainiert hatte? Aber seit der neuen Regelung wurde ihrer Meinung nach wahrscheinlich mehr gedopt als früher.
«Ist doch klar, jetzt wissen die Leute, daß sie dem Trainer nicht gleich das Leben ruinieren, sie versauen ihm höchstens ein Rennen. Gibt weniger Gewissensbisse. Vielleicht wären auch mehr Pfleger bereit, für einen Fünfziger ein paar Aspirin ins Futter zu mischen, wenn sie wüßten, daß der Stall dann nicht zugemacht wird und ihr Job flötengeht.«
Sie unterhielten sich weiter, nachdenklich und derb, doch es war klar, daß sie über die elf Pferde, die mich beschäftigten, nichts wußten. Keiner von ihnen arbeitete für die betroffenen Ställe, und offensichtlich kannten sie die Berichte und Mutmaßungen aus der Presse nicht oder hatten sie vereinzelt über einen Zeitraum von anderthalb Jahren gelesen, anstatt wie ich alles auf einmal, in der Zusammenschau.
Die Diskussion verebbte, Gähnen machte sich breit, und als wir schwatzend schlafen gingen, seufzte ich erleichtert, weil ich den Abend hinter mich gebracht hatte, ohne groß aufzufallen.
Da ich genau darauf achtete, was die anderen Pfleger taten, zog ich auch am nächsten Tag keine neugierigen Blik-ke auf mich. Am frühen Nachmittag holte ich Sparking Plug aus dem Stall, führte ihn im Führring herum, hielt ihm den Kopf, während er gesattelt wurde, führte ihn wieder herum, hielt ihn, als der Jockey aufsaß, führte ihn auf die Bahn und schaute dann von der Tribüne fürs Stallpersonal aus dem Rennen zu.
Sparking Plug gewann. Ich freute mich. Ich nahm ihn am Ausgang vom Geläuf wieder in Empfang und führte ihn in den großen Absattelring für den Sieger.
Colonel Beckett erwartete uns dort, auf einen Stock gestützt. Er klapste das Pferd, gratulierte dem Jockey, der seinen Sattel abnahm, um zur Waage zu gehen, und meinte ironisch zu mir:»Damit wäre wenigstens etwas vom Kaufpreis wieder reingeholt.«
«Es ist ein gutes Pferd und für den Zweck goldrichtig.«
«Schön. Brauchen Sie sonst noch was?«
«Ja. Noch viel mehr Einzelheiten über die elf Pferde… wo sie gezogen wurden, was sie gefressen haben, ob sie mal krank waren, wo ihre Transportfahrer Rast gemacht haben, woher ihr Zaumzeug stammt, ob sie auf der Bahn beschlagen wurden und von welchem Schmied… all diese Sachen.«
«Ist das Ihr Ernst?«
«Ja.«
«Aber sie hatten doch nichts gemeinsam, außer daß sie gedopt waren.«
«Wie ich das sehe, muß die Frage heißen, was hatten sie gemeinsam, damit sie gedopt werden konnten?« Ich streichelte Sparking Plugs Nase. Er war nervös und aufgeregt nach seinem Sieg. Colonel Beckett sah mich nüchtern an.
«Mr. Roke, Sie werden Ihre Informationen bekommen.«
Ich lächelte.»Vielen Dank. Und auf Sparking Plug passe ich jetzt auf. Der holt Ihnen den Kaufpreis leicht wieder raus.«
«Pferde wegführen«, rief ein Funktionär; und nach einem müden Winken von Colonel Beckett brachte ich Sparking Plug zurück zu den Stallungen und führte ihn, bis er sich beruhigt hatte.
An diesem Abend, dem Abend zwischen den beiden Renntagen, waren viel mehr Pfleger in der Herberge, und ich brachte das Gespräch wieder aufs Doping, versuchte außerdem aber auch den Eindruck zu erwecken, ich sei nicht unbedingt der Meinung, ablehnen zu müssen, wenn mich jemand bitten würde, ihm für fünfzig Pfund zu zeigen, in welcher Box ein bestimmtes Pferd stand. Dafür erntete ich ziemlich viele mißbilligende Blicke, aber auch einen sehr aufmerksamen von einem kleinwüchsigen Pfleger, der regelmäßig die zu groß geratene Nase hochzog.
Am nächsten Morgen im Waschraum benutzte er das Becken neben meinem und zischelte:»War das dein Ernst gestern abend, fünfzig auf die Hand, und du zeigst auf eine Box?«
Ich zuckte die Achseln.»Warum denn nicht?«
Er sah sich verstohlen um. Es war zum Lachen.»Ich könnte dich vielleicht mit einem zusammenbringen, den das interessiert — wenn wir halbe-halbe machen.«
«Halbe-halbe?«fuhr ich ihn an.»Wofür hältst du mich?«
«Na gut… ich will fünf«, gab er nach und zog die Nase hoch.
«Ich weiß nicht…«
«Ein reelles Angebot«, murmelte er.
«Man darf doch nicht jedem zeigen, wo ein Pferd steht«, sagte ich tugendhaft und trocknete mein Gesicht ab.
Er starrte mich verblüfft an.
«Unter sechzig geht’s auf keinen Fall, wenn du fünf abhaben willst.«
Er wußte nicht, ob er lachen oder fluchen sollte. Ich ließ ihn damit allein und machte mich auf den Weg, um Sparking Plug heim nach Yorkshire zu bringen.
Kapitel 5
Am Freitag abend war ich wieder in Slaw in der Kneipe und glotzte den zurückglotzenden Soupy an.
Am Sonntag hatte das halbe Personal ab Mittag frei, um zu dem Fußballspiel und dem Dartturnier nach Burndale zu fahren, und da wir beides gewannen, wurde anschließend kräftig gefeiert und Bier getrunken. Die Jungs aus Burndale meinten lediglich, daß ich neu sei und Gift für ihre Chancen in der Dartliga, schenkten mir sonst aber kaum Beachtung. Bei ihnen gab es keinen Soupy, auch wenn October von Dopingfällen in dem Ort gesprochen hatte, und kein Mensch interessierte sich dafür, ob ich ein krummer Hund war.
In der Woche darauf versorgte ich meine drei Pferde, las die Rennberichte, strengte meinen Kopf an und kam zu nichts. Paddy blieb kühl und ebenso Wally, dem Paddy offensichtlich von meinem Draht zu Soupy erzählt hatte. Wally zeigte sein Mißfallen, indem er mir zusätzliche Nachmittagsarbeit aufbrummte, so daß ich jeden Tag in den eigentlich zur Entspannung gedachten freien Stunden zwischen Mittagessen und der Abendstallzeit um vier den Hof fegen, Sattelzeug putzen, Hafer quetschen, Stroh häckseln, Inskips Wagen waschen oder die Fenster der Boxen reinigen mußte. Ich erledigte das alles klaglos und dachte bei mir, daß ich mich bei elf Stunden täglich mit Recht über zuviel Arbeit beschweren konnte, wenn ich einmal einen Grund brauchte, Krach zu schlagen und abzuhauen.
Freitag mittag reiste ich jedoch wieder mit Sparking Plug, diesmal nach Cheltenham, und es war nicht nur der Transportfahrer dabei, sondern auch Grits mit seinem Pferd und der Reisefuttermeister.
In den Rennbahnstallungen erfuhr ich, daß an diesem Abend ein Essen zu Ehren des Champion-Jockeys der vergangenen Saison gegeben wurde, und die Pfleger, die über Nacht dort blieben, wollten zur Feier des Tages auf ein Tanzfest gehen. Grits und ich fuhren also, nachdem wir unsere Pferde versorgt, Abendbrot gegessen und uns feingemacht hatten, mit dem Bus in die Stadt und bezahlten unseren Eintritt zu dem Tanz. Der Saal war groß, die Band war laut und heiß, aber noch tanzten nicht viele Leute. Die Mädels standen in kleinen Gruppen da und sahen zu den größeren Gruppen junger Männer hinüber, und gerade noch rechtzeitig unterdrückte ich die Bemerkung, wie seltsam ich das fand; Grits dachte sicher, ich hielte es für normal. Ich ging mit ihm in die Bar, wo Pfleger von der Rennbahn bereits mit den Einheimischen ins Gespräch kamen, und gab ihm ein Bier aus, obwohl es mir leid tat, daß er mit ansehen würde, wie ich den Abend zu nutzen gedachte. Der arme Grits war hin- und hergerissen zwischen Treue zu Paddy und augenscheinlicher Sympathie für mich, und ich würde ihn schwer enttäuschen. Am liebsten hätte ich ihm alles erklärt. Ich war versucht, den Abend harmlos zu gestalten. Aber wie konnte ich es rechtfertigen, eine einmalige Gelegenheit verstreichen zu lassen, nur um mir vorübergehend die Achtung eines unbedarften Pferdepflegers zu erhalten, so sympathisch er mir auch sein mochte? Ich mußte mir zehntausend Pfund verdienen.