«Danke«, sagte ich.»Und was springt für dich dabei raus?«
Soupys wulstige Lippen kräuselten sich.»Genug. Ihr Knaller habt das Risiko, ich kriege einen Anteil dafür, daß ich euch an Land ziehe. Ist doch in Ordnung, oder?«
«Klar. Und wie oft ziehst du das so durch?«Ich steckte das Kuvert mit dem Geld ein.
Er zuckte die Achseln, machte ein selbstzufriedenes Gesicht.»Typen wie dich erkenne ich auf zwei Kilometer. Inskip scheint doch nachzulassen. Das erste Mal, daß bei dem so ein falscher Fuffziger landet. Aber die Dartturnie-re, die bringen’s. Ich bin gut, verstehst du? Immer in der Mannschaft. Und in Yorkshire gibt es viele Ställe… und immer wieder geschlagene Favoriten, die den Leuten ein Rätsel sind.«
«Du bist wirklich clever«, sagte ich.
Er lächelte. Das fand er auch.
Auf dem Heimweg nahm ich mir vor, unter dem explosiven Herrn TNT eine Lunte anzuzünden.
Nach dem Angebot des Mannes mit dem schwarzen Schnurrbart beschloß ich, Becketts Manuskript noch einmal im Hinblick darauf durchzulesen, ob die elf Dopingfälle auf systematische Spionage zurückgehen konnten. Ein neuer Ansatz bringt vielleicht neue Ergebnisse, dachte ich, und um so besser kann ich entscheiden, ob ich den Spionageauftrag sausenlasse und statt dessen wie geplant in einen durch Doping aufgefallenen Rennstall gehe.
Im Bad eingeschlossen, begann ich wieder auf Seite 1. Auf Seite 67, im ersten Teil der Lebensgeschichte des fünften Pferdes, las ich:»Auf der Auktion in Ascot von D. L. Mentiff, York, für 420 Guineen gekauft; für 500 Pfund weiterverkauft an H. Humber, Posset, County Durham, blieb dort drei Monate, lief zwei Maidenrennen, ohne sich zu plazieren; weiterverkauft in Doncaster für 600 Guineen an N. W. Davies, Leeds, der ihn von L. Peterson in Mars Edge, Staffordshire, trainieren ließ; blieb dort achtzehn Monate, lief vier Maidenrennen, fünf Sieglosenrennen, ohne sich zu plazieren. Liste der Rennen siehe unten.«
Drei Monate bei Humber. Ich lächelte. Anscheinend blieben die Pferde auch nicht länger bei ihm als die Pfleger. Seite für Seite ackerte ich die Einzelheiten durch.
Auf Seite 94 las ich folgendes:»Alamo kam dann in Kelso zur Auktion, und Mr. John Arbuthnot, Berwickshire, erwarb ihn für 300 Pfund. Er wurde von H. Humber, Posset, County Durham, trainiert, aber für kein Rennen genannt, und Mr. Arbuthnot verkaufte ihn zum gleichen Preis an Humber. Einige Wochen später kam er in Kelso erneut zur Auktion. Mr. Clement Smithson, Nantwich,
Cheshire, kaufte ihn für 375 Guineen, behielt ihn den Sommer über zu Hause, schickte ihn dann zu einem Trainer namens Samuel Martin nach Malton, Yorkshire, wo er bis Weihnachten vier Maidenrennen lief, ohne sich zu plazieren (siehe Liste).«
Ich massierte meinen steifen Nacken. Wieder Humber.
Ich las weiter.
Auf Seite 180 hieß es:»Ridgeway ging dann zur Begleichung einer Schuld an den Farmer James Green, Home Farm, Crayford, Surrey. Mr. Green ließ ihn zwei Jahre auf der Koppel und anschließend einreiten in der Hoffnung, ein gutes Jagdpferd aus ihm zu machen, verkaufte ihn dann aber an Mr. Taplow aus Pewsey, Wiltshire, der ihn als Rennpferd ausbilden lassen wollte. Ridgeway wurde von Ronald Streat, Pewsey, für Flachrennen trainiert, konnte sich aber in keinem seiner vier Starts in jenem Sommer plazieren. Mr. Taplow verkaufte Ridgeway daraufhin privat an den Farmer Albert George, Bridge Lewes, Shropshire, der ihn selbst trainieren wollte, jedoch nicht die nötige Zeit fand und ihn an einen Bekannten seines Vetters in der Nähe von Durham verkaufte, einen Trainer namens Hedley Humber. Humber hielt das Pferd offenbar für unbrauchbar; es kam im November in Doncaster zur Auktion und ging für 290 Guineen an Mr. P. J. Brewer, The Manor, Witherby, Lancashire.«
Ich las das gesamte Manuskript, wühlte mich durch die Unzahl von Namen, doch Humber wurde nirgends mehr erwähnt.
Drei von den elf Pferden waren irgendwann in ihrer Laufbahn für kurze Zeit in Humbers Obhut gewesen. Das war schon alles.
Ich rieb mir die vom Schlafmangel entzündeten Augen, und plötzlich schrillte ein Wecker in dem stillen Haus.
Überrascht sah ich auf die Uhr. Halb sieben schon. Ich stand auf, streckte mich, benutzte das Bad als Bad, schob das Manuskript unter die Schlafanzugjacke und den Pullover, den ich darüber trug, und schlurfte gähnend in den Schlafsaal zurück, wo die anderen bereits aufgestanden waren und mit verquollenen Augen in ihre Kleider stiegen.
Im Hof unten war es so kalt, daß alles, was man anfaßte, den Fingern die Wärme zu rauben schien und jeder Atemzug schneidend in die Brust drang. Ausmisten, aufsatteln; raus aufs Moor, galoppieren, führen, zurück zum Stall, Schweiß ausbürsten, Pferd einstellen, mit Futter und Wasser versorgen, dann frühstücken. Das gleiche fürs zweite Pferd, das gleiche fürs dritte Pferd, dann Mittagessen.
Während wir aßen, kam Wally herein und wies zwei andere und mich an, das Sattelzeug zu säubern, und nachdem wir unsere Pflaumen mit Eiercreme verdrückt hatten, gingen wir in die Sattelkammer und machten uns ans Werk. Es war schön warm dort, weil der Ofen brannte, und ich legte meinen Kopf auf einen Sattel und schlief fest ein.
Einer der anderen stieß mich an und sagte:»Wach auf, Dan, wir haben viel zu tun«, womit er mich aus meinen Träumen riß, aber noch ehe ich die Augen aufschlug, meinte der andere:»Ach, laß ihn, der macht schon genug«, und dankbar überließ ich mich wieder dem Schlaf. Viel zu schnell war es vier Uhr, kamen die drei Stunden Abendstallzeit, danach um sieben das Abendbrot, und wieder war ein Tag fast vorbei.
Die meiste Zeit dachte ich darüber nach, daß Humbers Name dreimal in dem Manuskript auftauchte. Ich sah eigentlich nicht ein, warum dem mehr Bedeutung zukommen sollte als der Tatsache, daß vier von den elf Pferden zum Zeitpunkt ihres Dopings Preßfutter bekommen hatten. Bedenklich war nur, daß mir der Name beim ersten und zweiten Lesen glatt entgangen war. Zwar hatte ich keinen
Grund gehabt, auf den Namen Humber zu achten, bevor ich ihn und sein Pferd gesehen und mit seinem Pfleger gesprochen hatte, aber wenn mir ein Name entgangen war, der dreimal vorkam, konnte ich auch andere übersehen haben. Nur wenn ich eine Liste von allen im Manuskript erwähnten Namen anlegte, konnte ich sehen, ob sonst noch einer in Verbindung mit mehreren Pferden auftauchte. Ein Elektronenrechner hätte das in Sekunden erledigt. Mich würde es wohl wieder eine Nacht im Bad kosten.
Über tausend Namen standen in dem Manuskript. Ich schrieb die Hälfte davon Mittwoch nacht heraus, schlief ein wenig, ergänzte die Liste in der Nacht auf Freitag und fiel wieder ins Bett.
Am Freitag schien zur Abwechslung die Sonne, und der Morgen auf dem Moor war schön. Ich ließ Sparking Plug in der Mitte des Lots traben und dachte über die Liste nach. Außer Humbers Namen tauchte nur ein einziger noch in Verbindung mit mehr als zwei Pferden auf. Aber dieser eine war ein gewisser Paul J. Adams, und ihm hatten zu verschiedenen Zeiten gleich sechs der Pferde gehört. Sechs von elf. Das konnte kein Zufall sein. Es war einfach zu ungewöhnlich. Ich war mir sicher, die erste entscheidende Entdeckung gemacht zu haben, auch wenn mir nicht einging, wie der Umstand, daß Paul J. Adams einmal für ein paar Monate ein Pferd besessen hatte, erklären sollte, daß es ein oder zwei Jahre später gedopt werden konnte. Ich grübelte den ganzen Vormittag vergebens darüber nach.
Da es draußen schön war, fand Wally, das sei die Gelegenheit für mich, ein paar Decken zu schrubben. Gemeint waren die Stalldecken der Pferde; man mußte sie auf dem Beton im Hof ausbreiten, mit einem Schlauch abspritzen, mit einem langstieligen Besen und Waschmittel schrubben, wiederum abspritzen und sie zum Abtropfen über den
Zaun hängen, bevor sie zum Trocknen in die warme Sattelkammer gebracht wurden. Niemand machte das gern, und Wally, der mich seit Sparking Plugs Niederlage noch unfreundlicher behandelte (wenngleich er nicht so weit gegangen war, mir die Schuld daran zu geben), sagte mir mit kaum verhohlener Abneigung, heute sei ich eben an der Reihe.