So einfach. Ganz einfach. Das Röhrchen ließ sich in der Mitte auseinanderziehen, und die beiden Teile, Pfeife und Schutzkappe, blieben durch die Kette verbunden. Ich setzte das Mundstück an die Lippen und blies hinein. Es gab nur einen dünnen Ton.
«Wir hören das kaum«, sagte Elinor,»aber Hunde sehr gut. Und man kann die Pfeife auch so einstellen, daß sie das menschliche Ohr besser hört. «Sie nahm sie mir aus der Hand und drehte an der in sich wiederum zweigeteilten Pfeife.»Versuchen Sie’s jetzt mal. «Sie gab sie mir wieder.
Ich blies noch einmal. Jetzt hörte es sich schon wie eine normale Pfeife an.
«Könnten Sie mir die vielleicht für einige Zeit leihen?«fragte ich.»Falls Sie sie nicht brauchen. Ich… ich möchte ein Experiment machen.«
«Ja, das geht. Mein alter Schäferhund mußte im Frühjahr eingeschläfert werden, und seitdem habe ich sie nicht mehr benutzt. Aber ich möchte sie gerne wiederhaben. In den großen Ferien bekomme ich einen Welpen, und den will ich damit erziehen.«
«Ja, natürlich.«
«Gut. Ach, und hier ist auch der Ausschnitt.«
Sie gab mir den Artikel, aber ich konnte mich nicht darauf konzentrieren. Ich sah immer nur die Bar in Humbers Superschlitten vor mir, mit ihrem Sortiment an Eispickeln, Zangen und vielerlei verchromten Utensilien. Die hatte ich nie groß beachtet, aber ein Röhrchen mit einer an beiden Enden befestigten Kette war darunter gewesen. Eine lautlose Hundepfeife.
Ich riß mich zusammen, las den Artikel über Sparking Plug und dankte ihr, daß sie ihn mir gezeigt hatte. Dann verstaute ich die Pfeife in meinem Geldgürtel und sah auf die Uhr. Schon nach halb vier. Ich würde zu spät zur Arbeit kommen.
Sie hatte mich bei October entlastet und mich auf die Pfeife gebracht. Zwei Riesengefälligkeiten. Dafür wollte ich mich gern revanchieren, und ich sah nur eine Möglichkeit.
«Nirgends finden wir eine so friedliche und ungestörte Zuflucht als in der eigenen Seele…«:, zitierte ich.
Sie sah mich verblüfft an.»Das ist die erste Frage im Preisrätsel.«»Ja. Dürfen Sie sich helfen lassen?«
«Ohne weiteres. Aber.«
«Das ist Mark Aurel.«
«Wer?«Sie war sprachlos.
«Marcus Aurelius Antonius, römischer Kaiser, 121 bis 180 nach Christus.«
«Die Selbstbetrachtungen?«
Ich nickte.
«In welcher Sprache war der Urtext? Das müssen wir auch angeben. Lateinisch, nehme ich an?«
«Griechisch.«
«Das ist ja irre. Wo sind Sie denn zur Schule gegangen?«
«In einem Dorf bei Oxford. «Zwei Jahre lang nämlich, bis ich acht war.»Und einer der Lehrer hat uns unentwegt mit Mark Aurel vollgestopft. «Aber diesen Lehrer hatte ich in Geelong gehabt.
Den ganzen Nachmittag war ich versucht gewesen, ihr die Wahrheit zu sagen, und ganz besonders jetzt. Ich konnte mich in ihrer Gegenwart einfach nicht verstellen, und schon in Slaw hatte ich mehr oder weniger so mit ihr geredet, wie mir der Schnabel gewachsen war. Es ging mir gegen den Strich, ihr etwas vorzuspielen. Aber ich sagte ihr nicht, woher ich kam und weshalb ich in England war, weil auch October es nicht getan hatte, und der kannte seine Tochter sicher besser als ich. Sie hatte gemütliche Plaudereien mit Patty, der Schwester mit dem losen Mundwerk, und vielleicht wollte er seine Ermittlungen nicht unnötig gefährden. Ich wußte es nicht. Aber ich schwieg.
«Und das ist ganz bestimmt von Mark Aurel?«hakte sie nach.»Wir dürfen nur einmal raten. Zweiten Durchgang gibt’s nicht.«»Dann würde ich nachsehen. Es steht in einem Abschnitt über die Kunst des Sichbescheidens. Wahrscheinlich habe ich es behalten, weil es ein guter Tip ist, nach dem ich mich viel zu selten richte. «Ich grinste.
«Wissen Sie«, sagte sie zögernd,»es geht mich ja nichts an, aber ich meine, Sie hätten einiges erreichen können. Sie scheinen mir wirklich intelligent zu sein. Wie kommt es, daß Sie in einem Stall arbeiten?«
«Ich arbeite in einem Stall«, sagte ich wahrheitsgemäß, wenn auch nicht ohne Ironie,»weil es das einzige ist, was ich gelernt habe.«
«Werden Sie das bis an Ihr Lebensende tun?«
«Wahrscheinlich.«
«Und können Sie damit zufrieden sein?«
«Das hoffe ich doch.«
«Ich hätte nicht gedacht, daß das so ein Nachmittag wird«, sagte sie.»Offengestanden, ich hatte etwas Angst. Und dann war es ganz leicht mit Ihnen.«
«Na, sehen Sie«, meinte ich fröhlich.
Sie lächelte. Ich ging zur Tür und öffnete sie, und sie sagte:»Ich bringe Sie am besten runter. Die Hütte muß ein Irrgartenspezialist entworfen haben. In den oberen Etagen hat man schon halb verdurstete Besucher aufgegriffen, die seit Tagen abgemeldet waren.«
Ich lachte. Sie ging mit mir durch die verzweigten Korridore, die Treppe hinunter, durch die Eingangshalle zum Ausgang, und erzählte mir wie einem Gleichgestellten zwanglos von ihrem Leben hier. Durham sei die älteste englische Universität nach Oxford und Cambridge, meinte sie, und die einzige, an der man Geophysik studieren könne. Sie war wirklich nett.
Vor der Tür gab sie mir die Hand.
«Auf Wiedersehen«, sagte sie.»Es tut mir leid, daß Patty so gemein zu Ihnen war.«
«Mir nicht. Sonst hätte ich heute nachmittag nicht hier sein können.«
Sie lachte.»Ein ziemlich hoher Preis.«
«Den war es wert.«
Ihre grauen Augen, fiel mir auf, waren dunkelgrau gefleckt. Sie sah zu, wie ich aufs Motorrad stieg und den Helm aufsetzte. Dann winkte sie kurz und ging wieder hinein. Schon fiel die Tür hinter ihr zu.
Kapitel 14
Auf der Rückfahrt machte ich in Posset halt, um zu sehen, ob October zu meiner Theorie von vor acht Tagen Stellung bezogen hatte, aber es war keine Post für mich gekommen.
Obwohl ich schon spät dran war, schrieb ich ihm noch. Mir ging Tommy Stapleton nicht aus dem Kopf, der gestorben war, ohne weitergegeben zu haben, was er wußte. Ich wollte nicht den gleichen Fehler machen. Und sterben noch viel weniger. Ich schrieb sehr schnell.
«Der Auslöser ist, glaube ich, eine lautlose Pfeife, wie man sie zur Hundedressur nimmt. Humber hat so eine in der Bar seines Wagens liegen. Erinnern Sie sich an Old Etonian? In Cartmel werden morgens vor den Pferderennen Hunderennen abgehalten.«
Nachdem ich den Brief aufgegeben hatte, kaufte ich mir eine große Tafel Schokolade, dazu den Comic für Jerry und versuchte möglichst unauffällig in den Stall zurückzukommen. Cass erwischte mich trotzdem und meinte säuerlich, den nächsten Samstag bekäme ich wohl kaum frei, da er mich Humber melden werde. Ich seufzte resigniert, machte mich an die mehr als reichliche Arbeit und spürte, wie die kalte, schmuddelige, aggressive Atmosphäre wieder von mir Besitz ergriff.
Aber etwas hatte sich geändert. Die Pfeife lag wie eine Bombe in meinem Geldgürtel. Mein Todesurteil, wenn ich damit erwischt wurde. Nahm ich zumindest an. Ich mußte erst noch prüfen, ob ich keinen falschen Schluß gezogen hatte.
Tommy Stapleton hatte wahrscheinlich geahnt, was ablief, und war geradewegs zu Humber gegangen, um ihn zur Rede zu stellen. Er konnte nicht wissen, daß er es mit Männern zu tun hatte, die auch vor einem Mord nicht zurückschreckten. Aber weil er umgekommen war, war ich gewarnt. Ich lebte seit sieben Wochen unbehelligt in ihrer Nähe, denn ich hatte aufgepaßt, und da ich bis zum Schluß unentdeckt bleiben wollte, überlegte ich am Sonntag reiflich, wie ich die Probe aufs Exempel machen konnte, ohne aufzufliegen.
Sonntag nachmittag gegen fünf kam Adams mit seinem blitzenden grauen Jaguar in den Hof gefahren. Wie immer schlug mir sein Anblick aufs Gemüt. Er begleitete Humber bei der üblichen Stallkontrolle und blieb lange vor Mickeys Box stehen. Weder er noch Humber gingen hinein. Humber war seit dem Tag, als er mir geholfen hatte, den ersten Tränkeimer mit Beruhigungsmittel hineinzustellen, mehrmals in der Box gewesen, aber Adams noch überhaupt nicht.